‚Klassik am Odeonsplatz‘: Die Zeit läuft davon

München – Dass der Freistaat einen in der Verfassung festgeschriebenen Kulturauftrag hat, haben Veranstalter und Oppositionspolitiker in den letzten 14 Monaten häufig zitiert. Durchgedrungen sind sie bei Markus Söder damit allerdings nicht. Der Ministerpräsident hält dafür Fußball für ein Menschenrecht. Und so kam es vergangene Woche zum Kotau vor der Uefa.

Je 14.000 Zuschauer dürfen zu den vier Spielen der Fußball-EM in die Allianz Arena, nach gegenwärtigem Stand mit Test und einer „gesicherten Zerstreuung der Zuschauer vor und nach dem Spiel“. Das Gedrängel in der U-Bahn mag man sich trotzdem nicht wirklich vorstellen.

Deklariert ist das Ganze als „Pilotversuch“, damit niemand Ansprüche auf Gleichbehandlung geltend machen kann. Für andere kulturelle (und sportliche) Freiluftveranstaltungen gilt hingegen die Grenze von 500 Zuschauern bei festen Sitzplätzen. Das bringt auch die Veranstalter von „Klassik am Odeonsplatz“ ins Schwitzen. Natürlich hat sich die Agentur, die seit zwei Jahrzehnten mit der Durchführung betraut ist, seit Monaten darüber Gedanken gemacht, wie man das Großereignis am 9. und 10. Juli unter Coronabedingungen durchführen könnte.

„Wir haben alles vorbereitet“, sagt Bernd Roos von Pro Events: „Auf einer Fläche für sonst 8.000 Leute könnten am Freitag und Samstag nur 2.000 sitzen, so dass man alle Hygieneabstände einhalten würde.“ Da aber die beiden Konzerte vor je 2.000 Zuschauern nicht wirtschaftlich sind, plant Pro Events an beiden Tagen ein Doppelkonzert: „Wir denken da an zwei Termine um 17 und 20.30 Uhr. Auf diese Weise kämen immerhin noch 8.000 Zuschauer in den Genuss des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks oder der Münchner Philharmoniker – statt wie sonst 16.000.“

Mit aktuell geltenden Regeln unwirtschaftlich

Mit den derzeit zugelassenen 500 Zuhörern wären die Konzerte unwirtschaftlich. „Das geht definitiv nicht“, sagt Roos. Pro Events müsse aus den Einnahmen für die Eintrittskarten Firmen für Ton, Bestuhlung und Licht bezahlen. „Wir können es trotz der knappen Zeit aber noch stemmen, wenn wir diese Woche vom Freistaat ein OK für die Planung mit insgesamt 8.000 Zuschauern bekämen. Danach geht es aber nicht mehr: Wir brauchen eine längere technische Vorlaufzeit, um alle Firmen zu engagieren. Und auch das Ticketing kann man nicht über Nacht machen.“

Eine neue Verordnung nach einem Kabinettsbeschluss am 21. Juni käme jedenfalls zu spät. Allerdings wären die möglichen vier Konzerte bereits fast ausverkauft. Viele treue Besucher haben ihre Karten der ausgefallenen Saison 2020 für dieses Jahr behalten und nicht zurückgegeben. „Aber auch für die muss man ja neue Tickets ausstellen, sie über ihre verschiedenen Möglichkeiten rechtzeitig informieren und die Abwicklung dann organisieren“, sagt Roos.

Enttäuscht ist man bei Pro Events, dass „König Fußball“ mit 14.000 Zuschauern stattfinden darf, aber ein Klassikkonzert unter Einhaltung aller Hygienevorschriften und sogar open air nicht genehmigungsfähig sein soll. Die Agentur hat sich auch für die Organisation der Fan-Meeting-Points im Alten Botanischen Garten und am Odeonsplatz beworben. Aber auch diese wurden nicht genehmigt.

„Oper für alle“: Nach derzeitigem Stand nicht genehmigungsfähig

Für „Klassik am Odeonsplatz“ werden Karten verkauft, „Oper für alle“ ist dank eines Großsponsors traditionell gratis. In diesem Jahr wären eine konzertante „Aida“ unter Zubin Mehta am 17. Juli und eine Übertragung von „Tristan und Isolde“ mit Anja Harteros und Jonas Kaufmann geplant – als Abschiedsvorstellung von Kirill Petrenko und Nikolaus Bachler am 31. Juli.

Nach derzeitigem Stand wäre „Oper für alle“ nicht genehmigungsfähig. Die Staatsoper könnte allerdings 500 Stühle auf den Max-Joseph-Platz stellen und die Besucher – anders als sonst – registrieren.

Das ist offenbar auch geplant. „In Zusammenspiel mit den Genehmigungsbehörden sind die Vorbereitungen für die Veranstaltung in vollem Gange“, teilt Staatsopern-Sprecher Christoph Koch mit. „Auf der Grundlage unserer Erfahrungen mit Vorstellungen im Innenraum erarbeiten wir außerdem Konzepte für Freiluftveranstaltungen.“ Koch geht davon aus, dass die Besucherobergrenze in den kommenden Wochen weiter angehoben wird, wenn das Infektionsgeschehen stabil auf niedrigem Niveau bleibt.

Das Gärtnerplatztheater hat sich von seinem Open Air zum Saisonbeginn bereits verabschiedet. Die Stadt plant eine Wiederholung des „Sommers in der Stadt“ als Ersatz-Wiesn, der Freistaat bereitet einen „Kultursommer“ vor, zu dem Details am Donnerstag bekannt gegeben werden sollen. Im vergangenen Jahr traten hier allerdings gratis Musiker und Kleinkünstler auf, die nur wenige Tage später bei privaten Veranstaltern gegen Eintritt zu hören waren. Das ist ein unnötig geschäftschädigender Umgang mit einer ohnehin gebeutelten Branche.

Lockere Regeln bei Nachbar Österreich

Freie Veranstalter halten sich daher zurück. Bisher hat nur der Münchner Konzertverein e.V. ein Programm mit 17 Terminen im Brunnenhof der Residenz angekündigt. Hier sind 410 Plätze genehmigt. Der Mitveranstalter Helmut Pauli betont allerdings, dass diese Konzerte nur dank Sponsoren und privaten Förderern möglich seien. Pauli kritisiert wie Roos von Pro Events die schwierige Planbarbeit wegen der kurzfristigen Entscheidungen der Politik.

Österreich geht mit Veranstaltungen an der frischen Luft und in Theatern erheblich lockerer um. Hier dürfen nach gegenwärtigem Stand die Hälfte der Plätze besetzt werden: In geschlossenen Räumen sind maximal 1.500 Personen erlaubt, im Freien 3.000. In beiden Fällen gilt eine Test- und Maskenpflicht. Die Salzburger und Bregenzer Festspiele sowie die Innsbrucker Festwochen für Alte Musik sollen ohne weitere Einschränkungen vor vollen Rängen stattfinden.

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