Die Streitigkeiten sind Vergangenheit

Fury in the Slaughterhouse sind nicht nur auf den Bühnen zurück, sondern haben nun auch neue Musik im Gepäck: Die Kultrocker aus Hannover veröffentlichten in der vergangenen Woche – nach 13 Jahren – wieder ein Album mit dem Titel "NOW". Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news verraten Sänger Kai Wingenfelder (61) und Gitarrist Christof Stein-Schneider (58), was sie über alternative Konzertformate in der Corona-Pandemie denken und warum Handys "die schlimmste Droge" sind. Außerdem sprechen sie über bandinterne Streitigkeiten – und warum diese längst der Vergangenheit angehören.

Nach 13 Jahren kommt ein neues Studioalbum – ausgerechnet in der Corona-Pandemie. Ist das für Sie ein guter oder schlechter Zeitpunkt?

Kai Wingenfelder: "NOW", wie das Album heißt, beschreibt den Zeitpunkt, in dem wir uns gerade befinden. Klar hätte man es verschieben können, aber das wollten wir nicht. Wenn die Menschen schon im Lockdown zu Hause bleiben, teilweise mit Ausgangssperren, sollen sie doch wenigstens mit der Musik, die sie lieben, durch die Küche tanzen. Vielleicht können wir da etwas Gutes tun, wenn wir es jetzt veröffentlichen.

Wie war es, für das Album wieder gemeinsam im Studio zu stehen?

Christof Stein-Schneider: Eigentlich wollten wir ja nicht mehr ins Studio, weil diese Zeit uns alle immer genervt hat. Das Livespielen hat uns aber wieder großen Spaß gemacht. Unser Management hat dann gesagt: Jungs, wenn ihr weiterhin live spielen wollt, müsst ihr auch irgendwann wieder ein neues Album aufnehmen. Da haben wir uns schwergetan. Unser Management hat aber den Kontakt zum Produzenten Vincent Sorg hergestellt. Bei einer Test-Session mit ihm haben wir festgestellt, dass es im Studio auch Spaß machen kann. Wir haben mit der neuen Platte lange hinter dem Berg gehalten, weil wir dem Frieden selbst nicht wirklich getraut haben. Aber jetzt ist alles wunderbar. Außerdem hat sich bestätigt: Sag niemals nie.

Wingenfelder: Alte Erinnerungen kamen da auch nicht hoch, alles war neu. Außerdem haben wir bei der Gelegenheit festgestellt, dass wir uns seit vier Jahren nicht mehr gestritten haben. Möge es so weitergehen! Wir hatten eine ausgesprochen schöne, harmonische, sehr kreative und auch wahnsinnig lustige Zeit im Studio, was man auf dem Album auch hört. Wir hatten einfach gute Laune.

Woran liegt es, dass es jetzt weniger Streitigkeiten gibt?

Stein-Schneider: Man weiß es nach all der Zeit und gerade jetzt in der Pandemie mehr zu schätzen, was man hat, anstatt zu überlegen, was sein könnte und wo sich etwas hin entwickeln könnte. Wenn du uns sechs in einen Raum sperrst, kommt einfach Fury in the Slaughterhouse dabei raus. Das ist ein großartiges Geschenk. Es wäre eine Schande, das mit Füßen zu treten und nicht weiter zu nutzen, um anderen Menschen Spaß und Freude zu bereiten.

Wingenfelder: Mit zunehmendem Alter lernt man, dass es Dinge gibt, über die man sich nicht aufregen oder streiten muss, weil sie es nicht wert sind. Man konzentriert sich mehr auf die wesentlichen Dinge und fokussiert sich auf Prioritäten. Deswegen können wir auch friedlicher miteinander umgehen. Früher haben wir uns wegen Dingen in die Wolle bekommen, da kann ich heute dezent drüber lächeln und ein Bier aufmachen.

Wie ist es für Sie momentan, keine Konzerte spielen zu können?

Wingenfelder: Musiker überleben nur durch Livespielen, mit physischen Platten verdient man ja kein Geld mehr.

Stein-Schneider: Mit den Zahlen, mit denen du es heute in die Top Ten schaffst, hättest du es früher nicht mal in die Top 100 geschafft. Die Wertschöpfung für Musik hat sich komplett verändert.

Wingenfelder: Und jetzt sind wir auch noch für zwei Jahre so gut wie arbeitslos. Viel schlimmer ist es aber für uns, dieses Gefühl beim Livespielen nicht mehr zu haben. Wir wissen, dass das unseren Fans genauso fehlt. Es gibt viele Menschen in diesem Land, die unterschätzen, was Musik für Menschen bedeutet. Auch das Gemeinschaftserlebnis, gemeinsam auf ein Konzert zu gehen. Kultur ist so wichtig für eine Gesellschaft. Und die geht momentan leider den Bach runter.

Was halten Sie denn von alternativen Konzertformen, etwa Onlinekonzerten?

Wingenfelder: Christof und ich haben einmal ein Online-Konzert gespielt. Aber ich mag dieses Gefühl nicht. Man sitzt vor dieser Kamera und weiß eigentlich gar nicht, ob einem überhaupt jemand zuhört. Ich kann das verstehen, wenn Musiker das machen müssen, um wenigstens ein bisschen Kleingeld zu verdienen. Wir haben als Band das Glück, so situiert zu sein, dass wir das alles gerade noch überleben können. Dieses Jahr kriegen wir finanziell noch die Kurve, nur nächstes Jahr haben wir ein Problem, falls es so weitergeht.

Stein-Schneider: Schön sind interaktive Formate, bei denen man mit Fans zum Beispiel chatten kann. Es macht Spaß, wenn man das Gefühl eines virtuellen Lagerfeuers hat, an dem man sich unterhalten kann. Das finde ich spannend. Das Positive an Corona ist, dass wir auf neue Kommunikationsformen kommen. Ich merke zum Beispiel, dass ich zu Leuten wieder Kontakt aufbaue, mit denen ich nichts mehr zu tun hatte. Telefonieren hasse ich. Aber jetzt sitze ich plötzlich wieder mit mehreren Leuten in einer Runde, von denen ich lange nichts gesehen und gehört habe. Da habe ich trotz virtueller Umgebung das Gefühl, es findet eine Form von Nähe statt.

Könnten Sie sich Konzerte mit Maske und Abstand vorstellen?

Stein-Schneider: Wir würden jede Chance annehmen. Ich habe etwa große Hoffnung für unsere Strandkorb-Open-Airs. Die Tierärztliche Hochschule in Hannover hat außerdem Hunde trainiert auf Corona. Wenn das wirklich funktioniert, könnte bei den Besuchern ein Abstrich von der Stirn gemacht werden, dem Hund vorgehalten werden und dieser erschnüffelt das Virus. Das geht schneller als jeder Test.

Wingenfelder: Wer will mit Maske ein Konzert besuchen? Dann darf man auch nicht mitsingen. Ich mag solche Halbheiten nicht: entweder ganz oder gar nicht. Das macht einen auch nicht glücklich. Da gibst du Geld aus und kriegst nichts dafür. Sitzkonzerte sind ja in Ordnung, da kann man auch im Stehen applaudieren. Aber ich möchte kein Konzert spielen, bei dem die Leute Maske tragen müssen und sich nicht bewegen dürfen.

Die Musikbranche hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Die sozialen Medien sind immer wichtiger geworden. Welche Rolle spielen Instagram und Co. für Sie?

Stein-Schneider: Wir haben die wichtigsten 15 Jahre verpasst bei der Entwicklung von Social Media, weil es uns da als Band nicht gab. Was ich vermisse, sind redaktionelle Systeme: Dass gesteuert wird, wer was verbreiten kann. Dass die sozialen Medien teilweise ein unkontrollierter Müllplatz sind, finde ich sehr anstrengend.

Wingenfelder: Mein Bruder und ich haben zwischenzeitlich eine eigene Band aufgemacht und hatten nichts anderes als soziale Medien. Facebook war unsere Promo-Maschine. Mit unseren Alben haben wir es bis in die Top Ten geschafft. Es hat also auch seine positiven Seiten. Wenn ich mir dann aber meine Kinder anschaue, fällt mir auf, dass man viel zu viel Zeit damit verbringt. Die fehlt dann leider in der persönlichen Kommunikation.

Stein-Schneider: Das Handy ist die schlimmste Droge, die die Menschheit bisher erfunden hat. Ich merke auch an mir selbst, wie sehr ich in das Feld der Eitelkeiten gezogen werde. Facebook und Co. sind für mich Drogendealer. Man darf nicht kiffen, aber die dürfen reicher und mächtiger werden. Das ist verheerend.

Wingenfelder: Es ist wirklich gefährlich: Diese Droge funktioniert bei jedem. Kiffen kann man mit 17 oder mit 70, die Wirkung ist die gleiche. Bei den sozialen Medien ist es ganz genauso. Wir sind dagegen nicht gefeit.

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