„Nach hinten zu schauen nützt nichts“

Als Barbara Ghesla damals am 22. Dezember 1997 wie gewohnt zur Arbeit ging, konnte sie nicht ahnen, was auf sie zukommen wird. Sie war Polizistin.

„Ich habe jemanden an dem Tag am Zollamt in Höchst festgenommen, alseine Meldung über einen Einbrecher in Hard kam“, erzählt sie. Die damals25-Jährige funkte ihre Kollegen an, um zu schauen, ob es jemand übernehmenkönnte, denn mit einem Gefangenen auf der Rückbank dürfte sie im Normalfallkeine Einsatzfahrt machen.

„Keiner von den anderen hatte Zeit, also habe ich nach Absprache mit der Zentrale denEinsatz übernommen.“ Ihr Partner saß hinten mitdem Sträfling, während Ghesla mit Blaulicht und 90 km/h auf der Betonstraße inHard fuhr. Etwa zehn Meter vor ihr, auf der Höhe, wo heute der Supermarkt Lidlsteht, fuhr ein Fahrzeug aus der Stoppstraße auf ihre Fahrbahn. „Ich habesofort eine Vollbremsung gemacht. Dennoch sind wir ins Schleudern gekommen undseitlich in einen Baum gefahren“, schildert die Vorarlbergerin. Der Insasse undder Polizist konnten aussteigen und die Feuerwehr verständigen. „Sie habeneineinhalb Stunden gebraucht, um mich da herauszuschneiden. Ich hatte einenoffenen Schädelbruch.“ Sie wurde daraufhin sofort ins LandeskrankenhausFeldkirch geflogen. „Die Feuerwehr Hard hat alles ausgeleuchtet“, fügt siehinzu.

Von neu auf alles lernen

Nach derOperation wurde Barbara Ghesla ins künstliche Koma versetzt. Nach zwei Wochen wurde die Aufwachphaseeingeleitet. Nach sechs Wochenwachte die Harderin schließlich auf. Das Schädelhirntrauma hatte aber deutlicheSpuren hinterlassen: „Ich konnte nichts. Weder schlucken, sprechen noch michbewegen.“ Es war ein kompletter Neubeginn. Ghesla musste viele Sachen neulernen. „Ich war wie ein Baby. Ich musste die ganzen Stufen nochmaldurchmachen, nur dass es viel schneller ging wie eigentlich“, erzählt sie. Ihrelinke Körperseite war komplett gelähmt durch die Blutungen in der rechtenHirnhälfte, da diese ja gegengleich verknüpft sind. Auch mit einer Amnesiekämpfte Ghesla. „Ich habe nichts mehr gewusst, was vor dem Unfall war. Meineganzen Erinnerungen waren weg – und sind es heute noch“, schildert sie. „MeinenMann habe ich damals nicht erkannt und ich habe komischerweise Französischgesprochen.“ „Ich habe mich in meinem eigenen Körper fremd gefühlt“, erklärt dieheute 50-Jährige. Dennoch hat sie es geschafft, sich wieder ins Lebenzurückzukämpfen. „Der Wille war einfach da. Entweder du hast ihn oder nicht, dahelfen auch keine Medikamente.“ Sie hatte gerade ihren 43. Reha-Besuch.Physiotherapie wird sie ebenfalls ihr Leben lang brauchen – jeden Tag.

Volle Kraft voraus

Nach demUnfall übte sie verschiedene Tätigkeiten aus: Erst war sie im Innendienst beider Polizei, dann Sprechstundenhilfe und in einem Fitnesscenter. Seit sechsJahren arbeitet sie mittlerweile bei Doppelmayr in Wolfurt, wo sie bei ihrenKollegen auf große Toleranz stößt. „Ich müsste nicht arbeiten, da ich schon2001 frühpensioniert wurde. Aber es tut gut, gebraucht und akzeptiert zuwerden. Es ist vor allem auch wichtig, sich selbst zu akzeptieren und denBlick nach vorne zu richten“,erzählt Ghesla. Nebenher arbeitet sie als Schwimmlehrerin imBehindertenschwimmverein, denn sie war früher Leistungsschwimmerin im BregenzerVerein. Dadurch und durch ihre Beiträge in der Zeitschrift „Schädelhirntrauma-News“versucht sie anderen Menschen mit Beeinträchtigung Mut zu machen. Amwichtigsten ist ihr, den anderen zu vermitteln: „Nach hinten zu schauen nützt nichts.“

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