Live-Album von Neil Young: Tot und lebendig

Für Neil Young scheint die Vorstellung bizarr zu sein, der Welt seine Kunst vorzuenthalten. Seit Jahren bringt er ein neues Album nach dem anderen raus – und zusätzlich zahlreiche Aufnahmen aus früheren Zeiten. Nun sind innerhalb eines Monats die Mitschnitte zweier Auftritte dazugekommen, als LP, CD und Konzertfilme.

Beim ersten drängt sich die Frage auf: Muss das wirklich sein? „Way Down In The Rust Bucket“ rumpelt zwei Stunden lang unerquicklich vor sich hin. Neil Young hat es 1990 mit Crazy Horse aufgenommen, der Band, von der er sich Jahrzehnte lang immer wieder begleiten ließ.

Setlist besteht zum großen Teil aus schwächeren Stücken von „Ragged Glory“

Das Live-Album demonstriert, wie rätselhaft diese Arbeitsbeziehung ist: Plumper lässt sich kaum rocken. Die Rhythm Section kloppt sich hölzern von Viervierteltakt zu Viervierteltakt und Young gniedelt, meist schon vor der ersten Strophe, seine seltsam eckigen, schlichten, fast immergleichen Gitarrensoli.

Das funktioniert allenfalls bei einem großen Riff-Song wie „Cinnamon Girl“, doch die Setlist bestand zum großen Teil aus den deutlich schwächeren Stücken des kurz zuvor erschienenen Albums „Ragged Glory“. Nur selten entsteht ein wenig rustikaler Charme wie bei „Homegrown“, in voller Länge ist „Way Down In The Rust Bucket“ schwer genießbar.

 

Aber das Gegenstück dazu ist „Young Shakespeare“: Der Titel ist nicht Ausdruck rückblickenden Größenwahns, vielmehr entstand Youngs Aufnahme im Shakespeare Theatre in Stratford. Hier spielte der Kanadier im Januar 1971 ein Solo-Konzert, also in der Zeit zwischen seinen beiden stärksten Alben: Zwei Monate zuvor war „After The Gold Rush“ erschienen, doch auch Songs des nächstens Albums „Harvest“ waren schon im Programm.

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Young platzt fast vor berechtigtem Selbstbewusstsein

Der Film entstand damals als Mitschnitt fürs deutsche Fernsehen und wurde erst jetzt veröffentlicht. Die Soundqualität des Gesangs ist toll, das Repertoire ebenso, allen voran „Old Man“, „Ohio“ und „Don’t Let It Bring You Down“. Young platzt fast vor berechtigtem Selbstbewusstsein und ist zudem witzig, etwa als er das Publikum vor der Schlussnummer „Sugar Mountain“ auffordert mitzusingen. Der Song war noch unveröffentlicht und unbekannt, die Zuschauer sollten sich den Text während des ersten Durchgangs einprägen. „Ihr seid doch alle Universitätsstudenten“, sagte Young.

Doch so intelligent sein Publikum auch gewesen sein mochte: Young sang die Refrains weitgehend allein.

Neil Young: „Way Down In The Rust Bucket“ (in mehreren Formen: 2 CDs, 4LPs oder Deluxe-Edition mit beidem plus DVD, bei Reprise Records/Warner Music); Neil Young: „Young Shakespeare“ (LP und CD bei Reprise Records/Warner Music, DVD nur online via neilyoungarchives.com)

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