Was steckt hinter dem Bonnie-und-Clyde-Syndrom?

  • Der neue Kölner „Tatort: Der Reiz des Bösen“ lässt nicht nur die Kommissare versuchen, das Bonnie-und-Clyde-Syndrom zu verstehen.
  • Eine Brieffreundschaft mit einem Gefängnisinsassen ist auch im wirklichem Leben möglich, doch es steckt einiges an Verantwortung dahinter.
  • Darsteller Roland Riebeling verteidigt den Charakter Jütte, der als Vorbild dienen kann.

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Im neuen „Tatort“ aus Köln versuchen die Kommissare Ballauf und Schenk, die Faszination von Frauen für Schwerverbrecher zu verstehen. Die muss nicht immer tödlich enden, kann aber als psychische Krankheit auftreten. Assistent Jütte kann hingegen endlich einen traumatisierenden Mordfall lösen. Ist er jetzt ein neuer Mensch? Hintergründe zum Kölner „Tatort: Der Reiz des Bösen“.

Was ist Hybristophilie?

In „Der Reiz des Bösen“ erklärt die Therapeutin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler) den Kommissaren das Verhalten der Frauen mit Hybristophilie – nach den griechischen Wörtern die Zuneigung (philia) zu einem Menschen, der aus böswilliger Überheblichkeit handelt (hybristes). Das auch Bonnie-und-Clyde-Syndrom genannte Phänomen ist zwar in Film und Literatur beliebt (der amerikanische Filmklassiker „Bonnie und Clyde“romantisiert die Beziehung des brutalen Verbrecherpärchens Bonnie Parker und Clyde Barrow), aber wenig erforscht. Es beschreibt ein psychologisches Krankheitsbild, bei dem sich – zumeist Frauen – von Gewalttätern auch sexuell angezogen fühlen.

Oft beschränken sich die „Beziehungen“ auf Briefe, wie die oft zitierten Liebesbriefe, die Serienmörder wie Charles Manson ins Gefängnis geschickt bekamen.

Als Gründe werden Unsicherheit vermutet, ein schwaches Selbstwertgefühl, das reale Partnerschaft vermeidet und sich aus der Ferne die ideale Beziehung herbeiphantasieren kann. Gleichzeitig erlaubt diese Art der Fernbeziehung eine starke imaginierte Kontrolle über den eingesperrten „Partner“ – weshalb im „Tatort“ Ines (Picco von Groote) über jeden Schritt Bassos (Torben Liebrecht) informiert werden will, nachdem er bei ihr eingezogen ist. Evolutionspsychologisch lässt sich hinter der sexuellen Anziehungskraft eine extreme Form der Fixierung auf Alphatiere sehen, die die eigene Sicherheit und Gesundheit ausblendet. Auch ein romantisiertes Helfersyndrom kann eine Rolle spielen, die Überzeugung, den Gewalttäter auf den rechten Weg führen zu können.

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Gibt es so ein Brieffreundschaftsportal wirklich?

Im „Tatort“ hat die Gefängnistherapeutin das Portal ins Leben gerufen, über das Insassen Brieffreundinnen außerhalb der JVA finden. In Deutschland ist das Projekt Brückenbau des Schwarzen Kreuzes für gläubige Christen eine organisierte Möglichkeit, ehrenamtlich eine Brieffreundschaft zu Strafgefangenen zu pflegen.

Der Verein ist Teil der evangelischen Diakonie Deutschlands und weist auf seiner Webseite auf wichtige Aspekte hin, die Interessierte berücksichtigen sollten: „Mit ein paar Briefen ist es nicht getan. Eine gründliche Ausbildung, Bereitschaft zum Austausch mit der Geschäftsstelle, Mitgliedschaft im Schwarzen Kreuz und anderes mehr gehören dazu. … Sie sollten außerdem in der Lage sein, etwa alle zwei Wochen einen Brief zu schreiben.“

Außerdem haben viele Justizvollzugsanstalten eine Anlaufstelle für ehrenamtliche Mitarbeiter, an die man sich wenden kann.

Wo ist die Wurst?

Nachdem die Kommissare Ballauf und Schenk eine unbekannte und beeindruckende Seite ihres Assistenten kennengelernt haben, laden sie Jütte zu einem persönlichen Gespräch bei Bier am Rheinufer ein – eigentlich eine klassische Szene für die Wurstbude. Stattdessen genießen die drei Männer den nächtlichen Blick auf Stadt und Dom bei einem Sixpack vom Steinmäuerchen – der Platz der Wurstbude ist leer. Der Grund: Im Juli 2020 hatten die Betreiber der „Wurstbraterei“ bekannt gegeben, nach 13 Jahren in Rente gehen zu wollen – neben dem Alter zementierten die Coronakrise und der Tod ihrer 33-jährigen Tochter an einem Hirntumor im Frühjahr 2020 die Entscheidung des Betreiberpaares Eva und Ralf Jäger-Vosen. Jetzt steht ihre Wurstbratei im Freilichtmuseum Kommern in der Eifel.

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Was sagt Darsteller Roland Riebeling über den neuen Jütte?

In „Der Reiz des Bösen“ erfährt man, wie es zu dem Herzinfarkt kam, der aus Ballaufs und Schenks Assistent Norbert Jütte einen so tiefenentspannten Ermittler gemacht hat. Darsteller Roland Riebeling, der im Dezember 2020 an Corona erkrankte und monatelang an den Symptomen litt, verteidigt im Interview mit dem Mediendienst teleschau die Geruhsamkeit: „Jütte ist eine Nebenfigur, die unsere Hauptfiguren zu ungewöhnlichen Reaktionen herausfordert, weil sie sich eben anders verhält als im fiktiven Kriminalkosmos üblich. Er dramatisiert nicht, sondern er sucht im Climax-Moment die Entspannung. Er gießt erst mal einen Tee auf, wenn die anderen in hektische Action verfallen.“

Das mache ihn besonders realistisch: „Es arbeiten nicht immer alle am Anschlag, das muss aber auch nicht sein. Jütte hat den Preis dafür bezahlt, dass er mal anders drauf war. Insofern könnte man ihn auch als klugen Charakter bezeichnen.“

Das mache ihn geradezu zu einem Vorbild: „Jütte hat Qualitäten, die heute nicht mehr so anerkannt werden: Ruhe, Akribie, aber auch eine gute Intuition, die aus der Ruhe erwächst. Unsere Gesellschaft, gerade unser Arbeitsleben, ist mittlerweile ziemlich überdreht. Alles muss immer schneller, weiter und höher gemacht werden. Optimierung ist das Wort unserer Zeit. Das macht nur leider keine glücklichen Menschen aus uns, weil es auf Dauer ungeheuer anstrengend und im Endeffekt gar nicht zu schaffen ist. Jütte erinnert uns daran, dass es noch andere Wege gibt, mit der Welt da draußen umzugehen.“

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