Was sind Sans-Papiers? Drei Fragen zum Schweizer "Tatort: Schoggiläbe"

  • Der neue Schweizer „Tatort“ handelt von einem Generationenkonflikt in einer familiengeführten Schokoladenfabrik.
  • Auch soziale Probleme im wohlhabenden Zürich spielen eine Rolle.
  • Wir beantworten die drei wichtigsten Fragen zum Krimi „Schoggiläbe“.

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Die Debatte um die sogenannten Sans-Papiers ist hochaktuell. Die Regisseurin überraschte die Zuschauer mit einem ungewohnten Stilmittel.

„Tatort“: Was sollten die direkten Worte in die Kamera?

Eine Besonderheit von „Schoggiläbe“, die vielen Zuschauern wohl eher unangenehm aufgefallen sein dürfte, sind die direkten Ansprachen: Beide Kommissarinnen wenden sich – in ihrer Rolle – zur Kamera und sprechen das Publikum direkt an: Tessa Ott erklärt, dass ihre Familie jetzt zu den 100 reichsten der Schweiz gehört, Isabelle Grandjean erzählt von einem Obdachlosen, der vor ihrer Haustür gesessen habe.

Die Methode stammt aus dem Theater und wird als Durchbrechen der „vierten Wand“ bezeichnet, also der imaginären Grenze zwischen Darstellern und Publikum, die eigentlich dafür sorgt, dass das Geschehen auf der Bühne (oder dem Bildschirm) seine eigene Realität bildet. Der Kunstgriff kann eine ironische Brechung der Geschichte sein, wird aber auch dazu benutzt, den Zuschauern etwas zu erklären oder besonders eindringlich zu machen.

Einer der berühmtesten Verfechter dieser Form war Bertolt Brecht, der mit seinem epischen Theater gesellschaftliche Veränderung bewirken wollte, um den Zuschauern den Unterschied zwischen Bühne und echtem Leben zu verdeutlichen.

Es ist vor allem diese Wirkung, wegen der das Stilmittel in „Schoggiläbe“ als störend empfunden werden kann: Anstatt den Zuschauern zu erlauben, sich in einem Sonntagabendkrimi zu verlieren, wird die Illusion für eine sozialkritische Botschaft aufgehoben.

Zürich-"Tatort" ist ein Krimi auf Daily-Soap-Niveau – doch er hat eine Stärke

In „Schoggiläbe“ gibt es auffallend viele Frauenrollen. Ist das Zufall?

Nein, der Schwerpunkt ist beabsichtigt und wird auch in den kommenden Schweizer Folgen eine Rolle spielen: Beim Dreh wird auf ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis weiblicher und männlicher Mitarbeiter geachtet.

Viviane Andereggen, die Regisseurin der ersten beiden Krimis, sagt über die Hauptfiguren in den Presseinformationen: „Die Fragen nach dem filmischen, westeuropäischen Blick auf weibliche Figuren und die Funktion im Kontext mit dem generellen Gesellschaftsbild standen für mich im Mittelpunkt bei der Vorbereitung auf den Zürich-Tatort. Mir war wichtig, zu zeigen, dass die Hauptfiguren ambivalent und vielschichtig sind, mit einer selbstbewussten Weiblichkeit und einer Freude und Stolz, Frau zu sein.“

Die 1985 in Zürich geborene Filmemacherin kritisiert, dass das Fernsehen dabei der Realität hinterherhinkt: „Im Zuge dessen wurde mir wieder einmal bewusst, dass es keine Normalität darstellt, Frauen mit Selbstbewusstsein in Führungspositionen im TV darzustellen. Wenn wir unsere Gesellschaft betrachten, sehen wir langsam, aber sicher immer mehr Wissenschaftlerinnen, Ingenieurinnen, Ärztinnen, Geschäftsführerinnen, Inhaberinnen, etc., die mit Freude und Enthusiasmus ihren Beitrag für unsere Gesellschaft leisten. Doch dies ist meines Erachtens noch nicht genug im TV angekommen und muss, davon bin ich persönlich überzeugt, weiterhin forciert werden.“

Was sind Sans-Papiers?

Die Haushälterin des Toten wird in „Schoggiläbe“ als eine „Sans-Papiers“ bezeichnet, als „Papierlose“. So werden im französischen Sprachraum illegale Einwanderer bezeichnet, also Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigungen. Ihre Zahl lässt sich schwer schätzen, in der Schweiz sollen es laut „Neue Zürcher Zeitung“ 58.000 bis 105.000 Menschen sein, davon in Zürich etwa 10.000.

Da Sans-Papiers oft in der Gastronomie oder – wie im „Tatort“ – in der Kinderbetreuung arbeiten, wurden sie von der Pandemie besonders schwer getroffen. Viele berufstätige Eltern entließen sie, als zunehmend von zu Hause aus gearbeitet wurde.

Das Thema ist hochaktuell, gerade wird in der Stadt die Einführung einer „Züri City Card“ debattiert: Eine Art Personalausweis, den alle Bewohner Zürichs unabhängig von ihrer Legalität benutzen können, um etwa Handyverträge oder Versicherungen abschließen, aber auch medizinische Betreuung erhalten und Anzeigen bei der Polizei aufgeben zu können, ohne als Sans-Papiers eine Ausweisung befürchten zu müssen.

Die Idee geht auf das US-amerikanische Konzept der Urban Citizenship zurück, die allen Stadtbewohnern eine Teilhabe am rechtlichen und sozialen Leben ihrer Stadt ermöglichen soll, weil ein Gemeinwesen nicht funktionieren könne, wenn ein großer Teil aus Angst etwa Krankenhäuser meidet oder keine Notfälle meldet.

Anders als in US-amerikanischen Großstädten ist der Anteil der Sans-Papiers in Zürich allerdings verhältnismäßig klein: In der größten Stadt der Schweiz Leben etwa 415.000 Einwohner, die Zahl der Sans-Papiers wird auf 10.000 geschätzt.

Die City Card ist umstritten, Gegner weisen darauf hin, dass sich eine Stadt nicht vom landesweit geltenden Ausländerrecht abnabeln kann. Auch ein nicht zu bewältigender Ansturm von illegalen Arbeitern nach Zürich wird befürchtet.

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