Vom gelernten Kaufmann zum Neonazi: Der Fall "Philip Schlaffer"

In der zweiten Ausgabe von „Jenke. Crime“ offeriert Akademikersohn Philip Schlaffer Einblicke in sein einstiges Leben als Neonazi bei den „Werwölfen Wismar“ sowie als Anführer des erstaunlich spießigen Rockerclubs „Schwarze Schar“. Auch Schlaffers Eltern, die vorgeben, lange nichts bemerkt zu haben, lässt TV-Generalist Jenke von Wilmsdorff zu Wort kommen.

„Ist es möglich, dass aus schweren Jungs irgendwann wieder brave Jungs werden?“ Diese Frage stellt Allzweck-Journalist Jenke von Wilmsdorff am Beginn der zweiten Ausgabe von „Jenke. Crime“. Nach Ex-Drogenbaron und –Schmugglerkönig Hubertus Becker in der Auftaktfolge war es am Dienstagabend die Biografie von Ex-Neonazi Philip Schlaffer, derer sich der TV-Tausendsassa in seinem neuen vierteiligen Format annahm.

Unten Hakenkreuz und Nazi-Mucke, oben „Tagesschau“

Seine Kindheit verbringt Schlaffer mehrheitlich in Stockelsdorf bei Lübeck. „Er ist wirklich behütet aufgewachsen und war kein Raufbold“, erzählt seine Mutter, einst technische Zeichnerin, heute.

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Dass sich der Sohnemann ab dem 15. Lebensjahr zunehmend radikalisiert und schrittweise zum veritablen Neonazi avanciert sowie sein Geld mit dem Vertrieb von illegaler Musik und Mode verdient, wollen die Eltern nicht bemerkt haben. Auch die Hakenkreuzfahne im Keller des Hauses, wo Philip seine Nazifreunde versammelt, kommt ihnen nicht allzu eigenartig vor. „Wir haben hier wirklich hartes Zeug gesungen, während mein Vater oben die ‚Tagesschau‘ gekuckt hat“, verrät der Junior.

„Jenke. Crime“: Der „Werwolf“ träumt vom Bürgerkrieg

Als gelernter Kaufmann für Groß- und Außenhandel hätte Philip Schlaffer durchaus Karriere machen können – doch der Jugendliche zieht es vor, in der Hansestadt Wismar sein Unwesen zu treiben. Dort widmet er sich ab Mitte der 2000er-Jahre voll und ganz der Kameradschaft „Werwölfe Wismar“. Die Neonazis sprechen kollektiv dem Alkohol zu, leben den Fremdenhass und träumen in der „Wolfshöhle II“ – „unserem Wohnzimmer“, so Schlaffer – vom Bürgerkrieg.

2006 wird Schlaffers „Werwolfshop“ zum Ziel einer Demo gegen Rechtsextremismus. Das davon existierende Internetvideo, das Schlaffer & Co. am Rande der Demo zeigt, wie sie versuchen, mit Baseballschlägern gegen die Demonstranten vorzugehen, aber von der Polizei mit gezogenen Waffen daran gehindert werden, macht den Glatzkopf über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.

„Schwarze Schar“ mischt Wismar auf

Als ein Mitglied der rechten Szene getötet wird, beschließt Schlaffer kurzerhand, den Neonazis den Rücken zu kehren, um es mit Drogenhandel und Prostitution zu versuchen. Im Alter von 30 Jahren gründet er den Rockerclub die „Schwarze Schar“, dessen Mitglieder sich zunächst vorrangig aus Leuten der „Werwölfe Wismar“ rekrutieren.

"Jenke. Crime": Aufstieg und Fall des einstigen Drogenbarons Hubertus Becker

Die Truppe formiert sich rasch in der Stadt, die zum Tatort ihrer dunklen Machenschaften wird. „Ich hab gedacht, mir kann keiner was, das ist meine Stadt“, so Schlaffer, der bald auch Schutzgeld erpresst, eine Reinigungsfirma mit Hausmeisterservice gründet und sich an einer Diskothek beteiligt. „Er hat mir nie verraten, was er genau macht und wo er so hinfährt. Geschlagen hat er mich aber auch nie, jedoch reden konnte man mit ihm nicht wirklich“, erinnert sich eine Ex-Freundin.

Ganz schön spießig, diese Rocker

Während die Mitglieder der „Schwarzen Schar“ nach außen hin auf harte Jungs und dicke Hose machen, herrscht im Inneren pures Spießertum. Unter Schlaffers Führung muss etwa jedes Mitglied vier Mal wöchentlich ein Fitnesscenter besuchen, um ja in Form zu bleiben.

Auch weitere schräge Regeln werden implementiert: So ist das Lästern über andere Clubmitglieder, aber auch Tragen von Jogginghosen zur Rockerkutte strengstens verboten, während Zuspätkommen mit Geldstrafen geahndet wird. Noch heute findet Schlaffer, dass man zu einem Termin stets 15 Minuten zu früh kommen müsse.

Philip Schlaffer Mutter: „Waren tolle Eltern“

„Philips Freunde waren stets freundlich und höflich – wir konnten da nicht böse sein“, lässt Schlaffers Mutter Von Wilmsdorff wissen. Der Sohnemann kommt der naiven oder sich unwissend gebenden Mutter zu Hilfe: „Nach vorne waren wir auch gesellige, lustige Typen. Auch das Böse hat seinen Charme“, sagt er.

„Was ist dann schiefgelaufen?“ wollte Von Wilmsdorff von den Altvorderen wissen. „Ich kann das nicht beschreiben, wir waren ja immer an seiner Seite. Und ich finde schon, dass wir tolle Eltern waren“, antwortete die Mutter. Richtig warmherzig sei er dem Sohn gegenüber aber nicht gewesen, gestand hingegen der Vater. Er tue sich schwer, hier seine Gefühle zu erkennen und zu spüren.

Sinneswandel bei Philip Schlaffer – hinter Gittern

Nach sechs Jahren als Rockerboss war Schlaffer einigermaßen am Ende. Mit dem Terminus „Gangster-Burnout“ bringt er einen am Dienstagabend zum Schmunzeln. Aber Schlaffer leidet damals plötzlich unter Schlafstörungen und anderen Problemen, auf die er nicht näher eingeht.

„Funktionieren und hart sein – das ging nicht mehr, ich habe eine Rolle gespielt“, so Schlaffer, der in dieser Zeit dünnhäutig wird. Zwei Mitglieder der „Schwarzen Schar“, die im verwanzten Auto zu viel preisgeben, bringen ihren Boss ins Gefängnis. Über 160 Straftaten werden dem Club zugeschrieben. Doch der Chef selbst hat einigermaßen Glück und muss nur für drei Jahr hinter Gittern. Dort entscheidet er sich aber für ein Leben ohne Verbrechen, mit dem er schließlich im Januar 2016 außerhalb der Gefängnismauern loslegt.

Ehering statt Schlagring

Schlaffer zieht wieder zu seinen Eltern nach Stockelsdorf, um dort neu durchzustarten. Aus seinem alten Nazi-Bunker im Keller bespielt er jetzt seinen YouTube-Kanal, mit dem er vorrangig aufklären will.

Darüber hinaus leistet der heute 43-Jährige Präventionsarbeit als Deeskalationstrainer und arbeitet viel mit Kindern, die durch Gewalt auffällig wurden. Der Stockelsdorfer lebt zudem in einer Beziehung und hat eine Stieftochter. „Ich versuche mich so weit wie möglich, da rauszuhalten. Das ist seine Vergangenheit, und ich hab ja einen ganz anderen Philip kennengelernt“, sagt seine Lebensgefährtin, die die Historie gern ausblendet.

Geblieben sind Philip Schlaffer noch unzählige Tattoos, deren Motive aber zum Teil bereits „übermalt“ sind. Die Unterschrift von Adolf Hitler am Arm oder jene von Heinrich Himmler im Genick kann man heute nicht mehr erkennen. Auch die Namen seiner einstigen Gangmitglieder, die ihm, „dem Verräter“, heute in erster Linie den Tod wünschen, hat er unkenntlich machen lassen. Geblieben sind Schaffer eigentlich nur die Eltern und Pünktlichkeit.

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