Psychologin über Erfolg: "Zuseher erlebt sich mit Fernbedienung als machtvoll“

  • Ab 21. Januar heißt es für zwölf mehr oder weniger Prominente wieder „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“.
  • Das Format geht bereits in die 15. Staffel, die Zuschauer lieben das Dschungelcamp wie kaum eine andere deutsche Produktion.
  • Eine Psychologin erklärt, warum ausgerechnet die Deutschen den Dschungel so lieben, wie wichtig die Moderatoren sind und welche Rolle Ekel und Voyeurismus spielen.

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Es geht wieder los. „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“, besser bekannt als das Dschungelcamp, startet am 21. Januar mit zwölf mehr oder minder Prominenten. Im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA ist das Format in Deutschland ein Riesenerfolg. 2022 geht die Sendung in die 15. Staffel, in den USA gab es beispielsweise nur zwei.

Doch warum liebt gerade das deutsche Publikum das Dschungelcamp so sehr? Welche Faktoren tragen zum Erfolg des Formats bei? Und welche Rolle spielen Ekel und Machtgefühle? Psychologin und TV-Expertin Ruth Marquardt gibt im Interview Antworten.

Frau Marquardt, ab 21. Januar heißt es wieder „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“. Gerade das deutsche Publikum liebt das Dschungelcamp, mehr als viele andere Nationen. Warum eigentlich?

Ruth Marquardt: Dieses Phänomen habe ich ebenfalls beobachtet. Im Vergleich zu anderen Ländern hat das Dschungelcamp hierzulande den wohl größten Marktanteil mit etwa 40 Prozent. Vor allem die 14-19-Jährigen nehmen dieses Format sehr gut an. (Die Marktanteile der jeweiligen Folgen variieren und liegen nicht konstant bei diesem Wert, Anm. d. Red.)

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Denn wir Zuseher wollen hinter die scheinbar perfekte Promi-Fassade schauen. Das kann man im Dschungelcamp in Dauerschleife tun, Psychologen sprechen hier auch vom „Dauerbeobachter-Prinzip“. Außerdem ist bei der Sendung ein bisschen Game-Show dabei, und natürlich eine Prise Ekel. Das Fremde und Exotische, das lockt uns magisch an. In diesem Jahr geht es zum ersten Mal nicht nach Australien, sondern nach Südafrika – und auch dieses ferne Land fasziniert die Zuseher. Würde die Sendung im Schwarzwald aufgezeichnet, würde das die Menschen niemals so sehr interessieren. Wir lieben das Andersartige!

Ein wichtiges Pfund für den Erfolg der Sendung bilden die zwei hervorragenden Moderatoren mit ihren witzigen Gags. Es gibt für die Zuseher – gerade in diesen Zeiten – auch etwas zu lachen.

Gibt es etwas, das die deutsche Show besonders auszeichnet? In anderen Ländern, wie den USA, war das Dschungelcamp ja ein regelrechter Flop.

Zum einen werden spannende Charaktere in ungewöhnlichen Settings gezeigt, zum anderen sind meiner Meinung nach die Moderatoren Sonja Zietlow und Daniel Hartwich der ausschlaggebende Faktor. Wir kennen das auch aus der Serie „Die Zwei“. Diese Sendung floppte weltweit – außer in Deutschland. Hier punktete der Wortwitz in der deutschen Synchronfassung.

Beim Dschungelcamp hat zunächst Dirk Bach mit seiner Witzigkeit und Skurrilität das Format geprägt, jetzt ist Daniel Hartwich an der Seite von Sonja Zietlow zuständig für die Lacher. Beiden gelingt es sehr gut, komisch und spontan zu sein und das Ganze witzig zu konnotieren. In den anderen Ländern ist das Dschungelcamp den Menschen langweilig geworden, oder es ist von Beginn an nicht gut angelaufen.

Als möglicher Faktor sehen Experten in anderen Ländern die harte TV-Konkurrenz, wie etwa „Survivor“. Wenn ein Sender solch ein Top-Format präsentiert, das die Zuschauer gut annehmen, kann es ein zweites Format wie Dschungelcamp sehr schwer haben.

Jetzt startet die 15. Staffel des Dschungelcamps: Es läuft immer im Januar, immer mit ähnlichen Promis, immer mit denselben Moderatoren. Man könnte meinen, das Format langweilt die Zuseher langsam. Oder sehnen sich die Deutschen gerade nach diesem Altbekannten?

Das spielt bestimmt eine Rolle. Wir Menschen, vielleicht wir Deutschen, mögen eine gewisse Gewöhnung, etwas, worauf wir uns verlassen können. Konnten wir schon in den vergangenen Jahren über eine Sendung lachen, wissen wir in etwa, was auf uns zukommt. Die Formate werden immer wieder angepasst, auch das ist wichtig bei aller liebgewonnenen Gewohnheit: der Wow-Faktor mit kleinen Überraschungen und Neuerungen. Hier prüft ein Sender sicher ganz genau, welche Arten von Dschungelprüfungen gut ankommen und welche nicht. Als Zuseher sitzt man kuschelig auf der Couch und kann sich denken „Oh Gott ist das peinlich, zum Glück passiert mir das nicht“.

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Die Zuschauer mögen es auch, abstimmen zu können, sich beteiligen zu können. In anderen Ländern wurde das Dschungelcamp als reine Aufzeichnung ausgestrahlt, das kam bei weitem nicht so gut an. Der deutsche Zuseher kann sich mit seiner Fernbedienung und seinem Handy als machtvoll erleben, indem er jemanden aus dem Camp wählen oder wiederholt in Prüfungen schicken kann.

Ganz offensichtlich sehen sich Millionen Menschen das Dschungelcamp an, geben das aber nur ungern zu oder sagen, sie schauen es nur „ironisch“. Warum schämen sich die Leute?

Wir wollen uns grundsätzlich selbst im besten Licht darstellen. Als Menschen, die sich intellektuell fortbilden und erfolgreich sind, vielleicht als Menschen, die nie selbst etwas so Ekliges tun würden. Zu diesem Wunsch nach guter Außendarstellung passt das Format nicht wirklich: Hier geht’s ums Fremdschämen, die Sendung ist angemessen eklig und man gibt nicht gerne zu, dass einem das gefällt. Aber wir sehen es trotzdem, genau das macht uns ja zu Menschen. Wir sind nicht perfekt und wir sehen anderen nicht perfekten Menschen dabei zu, wie sie Schwächen zeigen, scheitern oder sich bekriegen. Darum geht es im Dschungelcamp. Die Promis versuchen bis zuletzt, ihre feinpolierte Medien-Fassade aufrechtzuerhalten, indem sie sich Haare einpflanzen lassen. Harald Glööckler lässt sich extra die Schweißdrüsen botoxen. Aber was an Verletzlichkeit und Unperfektion dahintersteckt, das will das Publikum natürlich sehen.

Ekel und Voyeurismus scheinen eine zentrale Rolle beim Zuschauer zu spielen. Warum fasziniert das die Menschen und wie weit darf ein Format gehen, um die Gunst des Publikums nicht zu verspielen?

Wir schauen uns gerne an, was andere Menschen machen. Es ist ein Drang von uns, etwas Neues von anderen und über andere zu erfahren. Das Andersartige fasziniert uns auch im Camp. Unsere Aufmerksamkeit geht dahin, wo etwas Dramatisches passiert.

Was uns zu viel wäre? Beispielsweise, wenn Kinder oder Tiere von etwas Schlimmem betroffen sind. Das wäre für die meisten Zuschauer vermutlich die Grenze: Würde ein Tier für alle sichtbar für eine Dschungelprüfung geschlachtet werden, würden die Zuschauer vermutlich empört reagieren. Hier sehen wir die filetierten Ekel-Happen, wie sie noch für den Zuschauer gerade so verdaulich mundgerecht serviert werden, im wahrsten Wortsinne. Das können wir Menschen ganz gut aushalten, und wir bleiben dabei innerhalb unserer Komfortzone. Aber bei Verletzungen der Teilnehmer oder wenn Menschen, Kinder oder Tiere ernsthaft zu Schaden kämen, wäre dies sicherlich ein No-Go.

Was müssen die Promis, die in den Dschungel ziehen, mitbringen, um beim Publikum anzukommen?

Wichtig ist ein gewisser Glam-Faktor und etwas Geheimnisvolles. Viele der Promis kennt man zwar, ohne zu viel über sie zu wissen. Ein gutes Beispiel ist für mich Eric Stehfest. Spätestens seit „Let’s Dance“ ist er einem breiten Publikum bekannt, er hat sich aber auch schon öffentlich sehr verletzlich gezeigt. Einerseits ist er also berühmt und erfolgreich, andererseits wird es spannend, wie es ihm ergeht, wenn es ans Eingemachte geht.

Harald Glööckler beispielsweise kennt in Deutschland jeder. Er steht also für diesen klassischen Glam-Faktor. Gerade der Kontrast zwischen dem Perfekten, dem Extravaganten, wofür Glööckler steht einerseits und dem kargen und unberechenbaren, ekligen und herausfordernden Camp andererseits reizt die Menschen. Die Frage, die sich alle stellen, lautet: Wird er scheitern?

Der Cast ist das Wichtigste beim Dschungelcamp. Wie sieht die perfekte Zusammensetzung der Teilnehmer aus?

Es braucht auf jeden Fall ein paar sehr bekannte Prominente – wie in diesem Jahr Herr Glööckler oder Lucas Cordalis –, ein paar Mittelbekannte, einige, die sich in Erinnerung rufen, und der Rest darf aus beinahe Unbekannten bestehen. Die Zusammensetzung sollte einem Dorf entsprechen: Es gibt einen Menschen mit Häuptlingscharakter, dann den Underdog, eine Camp-Mutti oder einen Camp-Vati. Würden nur gleiche Persönlichkeitstypen, wie Alphamännchen, im Camp sein, wäre das schnell langweilig. Außerdem gibt es immer eine Persönlichkeit, die per se dagegen ist, sich weigert und nicht im Team arbeitet. Diese Mischung führt zu Sprengstoff und Krawall.

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Herumschreien, sich zurücknehmen oder alles still über sich ergehen lassen: Mit welcher Strategie kommen die Kandidatinnen und Kandidaten am ehesten zur Krone?

Zurückhaltung kann dazu führen, dass die Zuschauer zu Beginn testen, inwieweit man diese Person durch eine Prüfung herausfordern und testen kann. Sollte es jemand sein, der sich gar nicht provozieren lässt, wird es dem Zuschauer schnell langweilig. Eine Entwicklung eines Kandidaten zu sehen, finden Zuschauer wiederum spannend. Unberechenbarkeit ist auch eine mögliche Strategie. Zuschauer lieben Überraschungen, ob in Form von Tränen, Heldentaten oder einem kompletten Zusammenbrechen.

Denken Sie, das Format wird sich in den kommenden Jahren auch bei uns überholen und die Zuschauer langweilen?

Im Moment sieht es nicht danach aus. Aber wenn ein Sender den aktuellen Zeitgeist in der Gesellschaft nicht berücksichtigt, könnte so ein Format nicht einfach unverändert weiterlaufen.

Gerade in der jetzigen Pandemiezeit ist das Bedürfnis, aus sicherer Distanz exotische Geschichten erzählt zu bekommen und Menschen in herausfordernden Situationen zu sehen, groß. Wir hungern danach, uns einmal mit etwas anderem als der Pandemie zu beschäftigen.

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