Mietwahnsinn im Berliner "Tatort": Wer hat den Immobilienhai vom Balkon geschubst?

„Die dritte Haut“ behandelt die heißen Themen Wohnungsmarkt und Obdachlosigkeit. Dieser Berliner „Tatort“ inszeniert meisterhaft eine schwermütige Kälte – unterstützt von Jazz-Klängen. Gegen zwei thematische Vorgänger kommt „Die dritte Haut“ allerdings nicht an.

Eigentlich sollen die eigenen vier Wände einen Menschen umhüllen und schützen wie die eigene Haut oder die Kleidung – daher stammt die Bezeichnung von einer Wohnung als „dritter Haut“. Aber wenn ein „Tatort“ den Titel „Die dritte Haut“ trägt, dann ist es um den Zustand dieser Haut natürlich schlecht bestellt: Sie ist verletzt, hat Risse, sie leidet an einer bösartigen Krankheit namens Mietwahnsinn. Willkommen in Berlin.

Los geht es damit, dass die Wohnung der Familie Wagner zwangsgeräumt wird. Busfahrer Otto (Peter René Lüdicke) muss mit Frau und Tochter mitten in der Nacht raus aus dem Haus im Berliner Wedding. Die Firma Ceylan Immobilien hat das Gebäude übernommen, will alles luxussanieren und ekelt jetzt alle Mieter raus.

Frau Kirschner (Friederike Frerichs) zum Beispiel, die Witwe, die seit fast 60 Jahren in ihrer Wohnung lebt und der die geschäftige junge Mitarbeiterin von Ceylan Immobilien treuherzig erklärt, in der Firma nenne man die reizende alte Dame „ein Verwertungshemniss“. Oder Jenny Nowack (Berit Künnecke), die alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern, deren Mietvertrag dummerweise nur auf den Namen des Ex-Partners lief.

„Tatort: Die dritte Haut“ aus Berlin: Aus Menschen werden „Verwertungshemnisse“

Dass es solchen Mietern unmöglich ist, eine bezahlbare neue Unterkunft zu finden, interessiert natürlich niemanden. Jedenfalls nicht, bevor nicht Cem Ceylan (Murat Dikenci) tot auf dem Gehweg liegt. Der Juniorchef der Immobilienfirma wurde von einem Balkon seines Investmentobjekts in den Tod geschubst.

Kommissarin Nina Rubin (Meret Becker) und Kollege Robert Karow (Mark Waschke) beginnen nicht nur, in den Schicksalen der Mieter zu forschen, sondern auch in den Machenschaften der Patriarchin Gülay Ceylan (Özay Fecht). Die Mutter des Toten war es Leid, sich jahrelang nur für ihre kleine Hausverwaltung abgerackert zu haben. Sie will endlich auch „ein Stück vom Kuchen“, den der Berliner Wohnungsmarkt für Investoren darstellt. Cem hat ihr dabei geholfen, ebenso Schwiegersohn Thomas (Florian Anderer).

Nur Tochter Yeliz (Sesede Terziyan) scheint von den Geschäftspraktiken des nicht sehr familiären Familienunternehmens entsetzt, in dem vorbestrafte Zuhälter als Bodyguards und Umzugsunternehmer zugleich fungieren, um die „Verwertungshemnisse“ aus dem Weg zu räumen.

In diesem „Tatort“ müssen alle frieren

Berlin ist in diesem „Tatort“ eine Stadt, in der alle frieren. Auch wenn es um die „dritte Haut“ gehen soll, wird viel auf Straßen herumgelaufen. Alle sind hier Unbehauste, die sich zu elegischen Jazzklängen (Musik: Max van Dusen) auf der Suche befinden. Dazu gehören natürlich vor allem die Kündigungsopfer. Aber das betrifft auch Yeliz, die von den spärlich vorhandenen mütterlichen Gefühlen Gülay Ceylans wenig abbekommt, weil die dem Lieblingssohn Cem vorbehalten waren.

Sogar Kommissarin Rubin bibbert unter Wolldecken und wärmt sich beim gefühlsbefreiten Sex mit Kollege Karow auf. Anderes Haus, andere Gegend, ähnliche Methoden: Offenbar soll Nina Rubin mit einer sogenannten kalten Entmietung mürbe gemacht werden, der beliebten Vergraulmethode, bei der regelmäßig die Heizung „ausfällt“.

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Der systemrelevante Busfahrer

Busfahrer Otto hat sein ganzes Leben gearbeitet. „Bin sogar ’systemrelevant'“, sagt er, „trotzdem kann ich mir in Berlin keine Wohnung leisten. Da stimmt doch was nicht.“ Richtig. Da läuft etwas grundsätzlich falsch. Weshalb die Berliner Medien immer neue Geschichten erzählen müssen von abstrusen Eigenbedarfskündigungen und absurden Wohnungssuchen, von kalten und warmen Entmietungen (bei denen es zu Bränden kommt), Zwangsräumungen und Notunterkünften.

„Die dritte Haut“ ist die Bebilderung dieser Berichte – und das ist das Problem. Das Thema Obdachlosigkeit haben in jüngster Zeit auch der Kölner „Tatort: Wie alle anderen auch“ und „Unten“ aus Wien behandelt. Beiden gelangen eindringliche Porträts der Opfer. Und gerade für den „Tatort“ aus Berlin sind Miete und die damit verbundene Obdachlosigkeit eigentlich Pflichtthemen.

Gegen die beiden Vorgänger allerdings fällt „Die dritte Haut“ trotz einer überraschenden Auflösung ab – zu fremd bleiben die Beteiligten. So fremd wie die dokumentarisch eingefügten Kurzaufnahmen von echten Obdachlosen und von den Flyern an Berliner Stromkästen, mit denen verzweifelt nach einer Wohnung gesucht wird.

Perfekt inszenierte Kälte

Im Bestreben, die Härte dieser Stadt, den Pragmatismus ihrer Bewohner noch in der schwierigsten Lebenssituation und die Gefühllosigkeit der Strippenzieher zu zeigen, schießen Regisseur Norbert ter Hall und Drehbuchautorin Katrin Bühlig über ihr Ziel hinaus.

Jeder kämpft und leidet hier für sich allein, in makellos inszenierter Kälte. Die tolle Hausgemeinschaft, von der Busfahrer Otto schwärmt, wird behauptet, nicht erlebt. Der leidenschaftliche Mietrebell, der gegen die Machenschaften der Ceylans protestiert, entpuppt sich als Witzfigur.

„Die dritte Haut“ hat etwas vom Besuch in einer halbleeren Jazzbar weit nach Mitternacht. Man lauscht den traurigen Klängen, schwelgt in der Schwermut und bewundert das gekonnte Arrangement. Dann tritt man in der Morgendämmerung vor die Tür und in einen Hundehaufen, schimpft auf die Großstadt und ihre besch… Realität – und geht seines Weges.

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