Medizin-Lektionen aus der DDR – die dritte Staffel ‚Charité‘ startet

Die junge Ärztin Ella Wendt (Nina Gummich) kommt aus der Provinz an die renommierte Berliner Charité – und erlebt, wie das Krankenhaus ins Kräftespiel des Kalten Kriegs gerät. Plötzlich verläuft die Sektorengrenze mitten durchs Klinikgelände. Die fiktive Figur Wendt trifft in der dritten Staffel von „Charité“ auf historische Kapazitäten wie den Serologen und Gerichtsmediziner Otto Prokop (Philipp Hochmair), den Gynäkologen Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) und die Kinderärztin Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf). Es geht um Medizingeschichte, Politik – und Liebe.

„Charité“- Regisseurin Christine Hartmann über Drehs im Lockdown

AZ: Frau Hartmann, Sie sind mit dem Dreh von „Charité“ in Tschechien unmittelbar vor dem ersten Lockdown im März 2020 fertig geworden.
CHRISTINE HARTMANN: Wir haben in Prag gedreht und sind gerade noch rausgekommen. Die Kostüme mit den Lkws aber nicht mehr. Wir konnten dann aber wenigstens den Schnitt der „Charité“ fertigstellen.

Sie sind den Grenzschließungen gerade noch zuvorgekommen.
Im Schnitt war es fast gruselig. In der ersten Folge haben wir eine Polio-Erkrankung. Es spielt ja 1961, ab zwei Wochen vor dem Mauerbau bis zum Oktober. Anfang der 60er Jahre ist tatsächlich Polio noch mal aufgeflackert, vor allem in Westdeutschland, weil man dort nicht geimpft hat. Also wurden alle Freibäder geschlossen, die Schulen zugemacht – da denkt man sich: Irgendwie erkenne ich da Parallelen.

Man zuckt richtig zusammen – es ist ja alles da: die Menschen mit Masken, das Virus, das sich ausbreitet, es kommt ja sogar zu einer Triage-Situation. Haben Sie das im Schnitt noch mehr auf die aktuelle Entwicklung zugeschnitten?
Das war wirklich Zufall, die Gegenwart hat uns überrollt. Die Geschichte wiederholt sich wahrscheinlich immer wieder. Aber angepasst haben wir nichts, das stand so schon in den Drehbüchern.

Der zweite Zufall ist ja, dass durch Corona die Charité mit ihrem Wissenschafts-Superstar-Virologen Christian Drosten extrem in die Öffentlichkeit geraten ist.
Ich weiß nicht, ob die Leute nicht langsam sagen, ihnen reicht es mit der Charité. Ich hoffe, dass man die dritte Staffel trotzdem noch gerne anschaut.

Eine Szene bleibt als besonders hart in Erinnerung: Es geht um einen Bergarbeiter, der mit kaputter Lunge eingeliefert wird. Sind solche Szenen beim Dreh auch so hart?
Das war selbst beim Dreh sehr zwiespältig. Man ist da natürlich sehr kopfgesteuert und gibt die Anweisungen, wie man es haben möchte. Aber die Szene war extrem anrührend, das hat keinen kalt gelassen. Vor allem mit dem Wissen, dass diese Dinge wirklich passiert sind. Diesen Wismut-Fall haben wir uns ja nicht aus den Fingern gesaugt, damals haben wirklich sehr viele Arbeiter den Bergbau mit ihrem Leben bezahlt.

Die erste weibliche „Charité“- Regisseurin

Die Charité wird zwischen den Kräften der Weltpolitik aufgerieben. Sie sind die erste Frau, die bei „Charité“ Regie führt – sind deshalb die beiden Heldinnen, gespielt von Nina Kunzendorf und Nina Gummich, deutlich positiver gezeichnet als die Männer, die am Anfang ziemliche Ekel sind?
Das war in den Figuren angelegt. Dr. Ingeborg Rapoport war einfach eine Vorreiterin, indem sie gefordert hat: Die Gynäkologie muss näher an die Neonatologie, also die Neugeborenenabteilung, heran. Es war lange ein großes Streitthema, ob ein Kinderarzt bei der Geburt dabei sein muss. Die Gynäkologen waren schlecht darauf zu sprechen, wohl, weil sie sich kontrolliert gefühlt haben. Und Dr. Ella Wendt, die Figur von Nina Gummich, ist am Anfang sehr naiv und unbedarft, sie freut sich, dass sie an das renommierte Haus kommt. Sie wird dann aber noch erwachsen, bekommt eine andere Ernsthaftigkeit.

Wo haben Sie in Prag gedreht, in einem alten Krankenhaus?
Das ist ein leerstehendes Kloster, da wurden auch schon die Innenaufnahmen für Staffel zwei gedreht. Wir haben aber andere Räume benutzt. An der echten Charité könnten wir ja nicht drehen, weil wir den Betrieb lahmlegen würden. Wir haben versucht, im Szenenbild mit einer gewissen Genauigkeit zu arbeiten. Das Büro von Kraatz kommt dem wirklichen ziemlich nahe. Auch das Aussehen des Geburtsraums.

Die Berliner Mauer wurde direkt an der Charité hochgezogen…
Die Charité war unmittelbar vom Mauerbau betroffen. Vor der Mauerschließung haben sich reihenweise Ärzte und Pflegepersonal in den Westen abgesetzt. Nach dem Mauerbau musste sich die Charité überlegen, wie sie sich politisch positioniert. Es ist aber keine Geschichte über die DDR und die Missstände, die sich immer mehr ergeben haben. Es gab ja durchaus auch Leute, die Hoffnung hatten, dass ein positiver Effekt erzielt werden kann. Durch Dr. Ingeborg Rapoport versuche ich, dem Sozialismus ein Stück näherzukommen, auch den Grundgedanken zu erklären: Warum gab es denn damals auch Anhänger dieser Idee? Dieses Miteinander, dieses Gemeinsame beim Staatsaufbau. Andererseits versuche ich natürlich auch, das unter sehr kritischen Aspekten zu sehen. Es ist eine Gratwanderung. Ich wusste, ich durfte nicht die Arroganz haben, mit dem Wissen von heute die Charité 1961 zu erzählen.

Lesen Sie auch

TV-Comeback für Fernseh-Richter Alexander Hold

„Die dritte Staffel ist ein Ensemblestück“

Vom Personal der ersten Staffeln kannte man Kapazitäten wie Virchow und Sauerbruch – bei der dritten ist das anders. Kannten Sie einen der Namen?
Ich kannte sie erstmal auch nicht. Medizinern sagen die Namen aber was. Mitja Rapoport war ein führender Biochemiker, und Otto Prokop hat den Grundstein für die moderne Forensik gelegt. Aber in den 60er Jahren gab es nicht die einschneidenden medizinischen Erfolge, von den

en die ersten beiden Staffeln erzählt haben. Die dritte Staffel ist ein Ensemblestück. Klar: Ella Wendt führt durch die Folgen, aber ich habe mehrere Hauptfiguren. Ich habe versucht, sie alle zu verstehen, ich wollte, dass sie eine Transparenz bekommen und mehrdimensional werden. Was man auch sieht: Politik und Medizin sind oft sehr nah miteinander verbunden.

Das letzte Mal, dass eine deutsche Krankenhausserie so erfolgreich war, war „Die Schwarzwaldklinik“ in den 80ern, sehr erfolgreich ist heute auch „In aller Freundschaft“. Haben Sie die „Schwarzwaldklinik“ im Kopf gehabt, als sie an Ihre Charité-Arbeit gingen?
Davon habe ich mich vollkommen befreit. Wir arbeiten mit einem historisch sehr relevanten Thema, da trägt man eine gewisse Verantwortung. Die „Schwarzwaldklinik“ war eine bessere Daily Soap. Wir arbeiten sowohl historisch als auch medizinisch genau und zeigen beispielsweise, wie man einen Pneumothorax wirklich behandeln muss. In der „Schwarzwaldklinik“ war es wichtiger, welches Auto Sascha Hehn fährt. Ich habe eher Serien wie Steven Soderberghs „The Knick“ angesehen. Auch wenn „Charité“ damit nicht vergleichbar ist, fand ich die Figurenführung bei Soderbergh sehr interessant und mutig.

Nächstes Projekt: ein Fasching-Tatort

Mit diesem Telefoninterview unterbreche ich Sie schon bei den nächsten Schneidearbeiten – woran arbeiten Sie?
Ich mache einen Münchner „Tatort“. Ich habe schon etliche „Tatorte“ realisiert, aber dies ist jetzt mein erster Münchner. Obwohl ich gebürtige Bayerin bin, habe ich in Bayern bisher relativ wenige Filme gedreht. Die Episode heißt „Kehraus“ und spielt im Fasching, mit Nina Proll in der Hauptrolle. Ausstrahlungstermin ist wahrscheinlich zum Fasching 2022.

Was kommt danach?
Nach dem „Tatort“-Schnitt werde ich eine Mini-Serie für die ARD entwickeln, für die wir gerade grünes Licht bekommen haben: über den ersten Deutschen im Weltraum, Sigmund Jähn. Viele denken, der Westdeutsche Ulf Merbold sei der erste Deutsche im Weltraum gewesen. Die Serie handelt von Jähn und Merbold, die eine sehr berührende Freundschaft verband, und über den Optimismus der 70er Jahre, den Weltraum zu erobern – ein Thema, das gerade heute mit Elon Musk aktueller ist denn je.

Im Anschluss an die beiden Auftaktfolgen läuft heute um 21.50 Uhr die Dokumentation „Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg“.

Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel