Charlotte trinkt, Udo singt: Der Hamburger "Tatort: Alles kommt zurück" wirkt wie eine abgedrehte Weihnachtsfeier

Kommissarin Charlotte Lindholm reist zu einem Blind Date nach Hamburg. Aber ihre Internet-Affäre liegt tot im Bett. Dafür trifft sie Udo Lindenberg. Und wird des Mordes verdächtigt. Regisseur Detlev Buck durfte sich mit seinem ersten „Tatort“ so richtig austoben. Herausgekommen ist ein surreales Rotlicht-Märchen.

Eine KritikvonIris Alanyali

Kommissarin Charlotte Lindholm hat Lust auf Liebe. Lust auf Lust. Die ehrgeizige Alpha-Frau, die am liebsten alleine arbeitet, alles besser weiß und ihre Ermittlungen stur und kopfbetont führt, hat sich in einem schicken Hamburger Hotel zum Date mit einem Unbekannten verabredet, den sie nur aus einem Online-Chat kennt.

Maria Furtwängler erstmals als Ko-Produzentin im „Tatort“

Einmal total loslassen! Völlige Hingabe! Handschellen! Schlüpfrige Textnachrichten, die man sonst nur aus Sexskandalen kennt! Und nicht vom Telefon der eleganten Kommissarin, die jetzt mit ansehen beziehungsweise -hören darf, wie eine boshafte Kollegin das ganze Ermittlungsteam am Intimchat teilhaben lässt. Während Lindholm im blutigen Seidenkleid tatenlos dabeistehen muss. Denn ihr Date liegt erstochen im Hotelbett, und die Kommissarin ist die Hauptverdächtige.

So geht er los, der neue „Tatort“ aus Hannover, mit dem sich Maria Furtwängler ein Weihnachtsgeschenk gemacht hat: In „Alles kommt zurück“ tritt sie erstmals auch als Ko-Produzentin auf. Was bedeutet, dass ihre Arbeit vor Drehbeginn begann und nach Drehbeginn weiterging. Das muss die Zuschauer natürlich nicht interessieren, es bedeutet allerdings, dass sie dem Film einen deutlicheren persönlichen Stempel aufdrücken konnte als sonst, wenn sie „nur“ die Hauptdarstellerin ist. Sie ist gewissermaßen die Hauptverdächtige.

Nicht ohne Stolz deutet Maria Furtwängler in den Presseinformationen an, dass der Weihnachts-„Tatort“ sowohl seinen Gaststar Udo Lindenberg als auch Star-Regisseur Detlev Buck ihrer Initiative zu verdanken hat. Die Idee, mit einem „skurrilen“ Hamburger Gespann einen „skurrilen“ Hamburger „Tatort“ zu fabrizieren, geht allerdings nicht auf.

Udo-Lindenberg-Duett als Fremdschäm-Moment

Die Geschichte (von Uli Brée, Autor mehrerer Wiener „Tatorte“) gerät ausgerechnet unter Bucks Regie und mit Udo Lindenbergs Gastauftritten zum zerfahrenen Lokalkoloritskokolores, den die Stadt Reeperbahn-Touristen und Udo-Fans aus Süddeutschland vorspielen sollte, die sich über den eleganten Hauptspielort Hotel Atlantic freuen dürfen – bekanntlich Lindenbergs Wohnort –, und über das Rotlichtmilieu, das mit so überraschenden Einfällen wie einer Karaoke-Bar voller asiatischer Touristen in rotem Licht präsentiert wird. Wo außerdem Kida Ramadan als Barbesucher Jimmy auf ein Udo-Lindenberg-Duett mit der Kommissarin besteht, was für einen besonderes verkrampften Fremdschäm-Moment sorgt.

Dabei ist der Kern der Geschichte rund um Charlotte Lindholm richtig gut: Die Kommissarin, die so schlecht in Teamarbeit ist, erfährt, was es bedeutet, wenn man nicht allein ermitteln will, sondern muss. Weil keiner da ist, keiner einem glaubt, und man zu allem Übel auch nur deshalb in der Misere sitzt, weil man ein einziges Mal leichtsinnig war, einmal aus sich raus wollte.

Und dann muss Lindholm nicht nur gegen Indizien, die alle gegen sie sprechen, kämpfen, sondern auch gegen eine Hamburger Kommissarin, die den Fall bewusst sabotiert. Gespielt wird sie von Anne Ratte-Polle als rotgelocktem Feuerteufel: Jana Zimmermann ist noch energischer, noch ehrgeiziger als Lindholm, noch weniger an Vorschriften und Teamarbeit interessiert. Sie ist so unsympathisch, wie es sonst nur selbstherrliche Polterkerle sind – in mehrfacher Hinsicht ein Highlight dieses „Tatort“. Für die Rolle war eigentlich ein Mann vorgesehen, aber mit dieser Besetzungsidee hatte Detlev Buck einen wirklich ziemlich genialen Regieeinfall.

Auch Jens Harzer in der Rolle als Zimmermanns Kollege und Gegenpol Ruben Delfgau schützt den „Tatort“ vor dem Einsturz. Er ist der nachdenkliche Zuhörer und Beobachter, an den Lindholm sich wendet – erst aus ermittlungstechnischem Selbsterhaltungstrieb, dann ganz privat. Eine spröde Beziehung, die einen reizvollen Kontrast zum überspannten Rest bildet.

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Mehr Psychothriller als Krimi

Denn in „Alles kommt zurück“ kehrt nicht nur Charlotte Lindholms Vergangenheit zurück, nachdem sich der Verdacht bestätigt, dass sie in eine Falle gelockt wurde, weil sich jemand an der Kommissarin rächen will. Der „Tatort“ ist das wilde Sammelsurium eines Filmfans, der sich als Gast-Star-Regisseur so richtig austoben durfte. Der Krimi als Hotelfilm wird mit einer Prise Horror (Bezopfte Zwillinge in leeren Gängen) und Psychothriller (finstere Gestalten in dunklen Hoodies) aufgepeppt und kippt mit einer gehörigen Portion Surrealismus ins Absurde. Aber nicht in die künstlerisch wertvolle Version von Absurdität.

Das Problem sind dabei nicht die Einzelteile – im Gegenteil: Zu den Höhepunkten des Films gehören die Szenen im Haus eines Zuhälters, der Kommissarin Lindholm mehr über ihre Hotelleiche erzählen kann. Dort sieht es aus wie am Set einer Softporno-Variante von „Alice im Wunderland“, mit dem von Detlev Buck persönlich als Mix aus Autohaus-Showmaster und Puffmutter gespieltem Hausherrn. Das Problem ist das Fehlen eines biederen „Tatort“-Bürokraten, der die schillernden Fäden in seiner strengen Hand zusammenhält und zu einem festen Zopf flicht. Stattdessen gerät „Und alles kommt zurück“ zur trunkenen Weihnachtsfeier ausgelassener Gaststars. Und Udo? Udo ist der gute Hotelgeist, der ein paar Mal durch die Geschichte huscht und nuschelt und der Kommissarin mit einem Song von seinem letzten Album den Weg weist: „Kompass“.

In einer selten ruhigen Szene aber sitzt er am Klavier und tröstet Charlotte Lindholm mit der anrührenden Ballade „Wieder genau so“, die von der Sinnlosigkeit des Bereuens und Bedauerns handelt. Da ist „Alles kommt zurück“ dann doch kurz ein richtig schöner Weihnachts-„Tatort“.

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