H.P. Baxxter: "Wenn mal einer was gesagt hat, warst du sofort im Verschwörungsbereich"

  • Von der Bühne auf die Kinoleinwand: Mit „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ ist nun eine Doku über eine Band erschienen, über deren Musik sich viele lustig machen, deren – vor allem auch internationale – Erfolge allerdings beeindruckend sind.
  • Im Interview verraten die Filmemacherin und Frontmann H.P. Baxxter, wie es zur Zusammenarbeit kam, wie viel Authentizität die Zuschauer erwarten dürfen und warum Corona gerade der Kulturszene so zu schaffen machte.

Scooter um den Frontmann H.P. Baxxter mischen seit 30 Jahren die Charts und die Bühnen auf. Da wurde es eigentlich höchste Zeit, die Geschichte der Band auch filmisch festzuhalten. Die Corona-Pandemie drohte jedoch, dem Projekt einen Strich durch die Rechnung zu machen, denn vor allem die Musikbranche stand fast komplett still.

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Doch sowohl Filmemacherin Cordula Kablitz-Post als auch H.P. Baxxter machten aus der Misere nicht nur etwas Gutes, sondern vielleicht sogar das Beste. Denn „FCK 2020 – Zweieinhalb Jahre mit Scooter“ ist mehr als nur eine weitere Band-Doku. Der Film ist ein Dokument einer Zeit, die so – hoffentlich – nie wieder kommt.

„FCK 2020“ war als „normale“ Band-Doku geplant, ist aber über weite Strecken ein Corona-Tagebuch geworden. Wer hatte die Idee dazu, wer kam auf wen zu?

Cordula Kablitz-Post: Die Idee war ursprünglich, ähnlich wie bei den Toten Hosen, einen Tour-Film zu machen [„Weil du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour“, Anm. d. Red.]. Ich wusste, dass H.P. vor der Kamera super ist und ich war neugierig, mehr zu erfahren: Was ist das für ein Künstler und wie er hat er es geschafft, so lange erfolgreich zu sein? Vor allem auch international – das gelingt ja nicht so vielen deutschen Bands. Wir haben ein Jahr gebraucht, bis die Finanzierung stand, und natürlich hat es mich dann sehr gefreut, dass H.P. zugestimmt hat. Und dann kam Corona. Man musste plötzlich komplett umdisponieren. Aber ich habe schon sehr viele dokumentarische Formate und Filme gemacht und im Endeffekt kann so eine Krise auch immer was Gutes sein, weil man aus der Routine rausgerissen wird und die Chance hat, Künstler so zu erleben, wie sie sich selbst wahrscheinlich noch nie erlebt haben.

Sie haben beide an der hochgelobten Reihe „Durch die Nacht mit …“ gearbeitet. Kannten Sie sich daher – auch wenn es keine gemeinsame Folge war?

Kablitz-Post: Es gab insofern die Verbindung, als dass ich ja wusste, dass du [H.P.] vor der Kamera super funktionierst. Das Format „Durch die Nacht mit …“ ist sehr speziell: Alles passiert sehr ungeplant und es ist sehr authentisch. So zu arbeiten hat mich schon immer gereizt – soweit es überhaupt möglich ist, mit der Kamera die Wahrheit einzufangen, das echte Leben. Der eine kann das besser, der andere schlechter – aber du [an H.P. gewandt] kannst das wirklich gut. Ich hatte das Gefühl, dass du das Team dann irgendwann auch vergessen hast. Du warst so, wie du warst – und je länger wir dich beobachtet haben, desto mehr wurde mir auch klar: Du spielst nichts, du bist so, wie du bist.

H.P. Baxxter: Ja, das war die einzige Befürchtung, die ich vorher hatte: Ob man wirklich die Kamera vergisst. Das finde ich unheimlich wichtig, denn wenn es so aufgesetzt wirkt, dann kann man sich das auch schenken. Es war aber tatsächlich so: Fünf Minuten nach Drehbeginn denkt man noch mal kurz an die Kameras, aber schon hat man’s vergessen, und danach macht man einfach so seinen Kram und es läuft, wie es läuft.

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Baxxter: „Kommt das jetzt ein bisschen unsympathisch rüber?“

Fantastisch für die Zuschauer sind natürlich die vielen privaten Einblicke. Die Jugendbilder, frühere Band-Projekte – aber vor allem auch Ihre Mutter, die Verwandtschaft. War es schwer, alle zu überzeugen?

Baxxter: Da habe ich wirklich zuerst gedacht, wenn meine Mutter dabeiwäre, wäre das natürlich toll, andererseits wird es dann doch sehr privat. Aber im Endeffekt muss man es einfach riskieren. Und im Nachhinein finde ich es natürlich unheimlich gut – und auch super integriert in den Film.

Kablitz-Post: Wir hatten von Anfang an besprochen, dass ich ein Gesamtporträt machen möchte. Wir wollten zeigen, was backstage los ist, aber wir wollten noch ein bisschen tiefer gehen – und im Idealfall zeigt man dann was Privateres. Da hat uns Corona in die Hände gespielt, denn dadurch wurde immer mal wieder ein Drehtag frei und wenn die Frage aufkam: „Na, was machst du denn heute?“ – „Ich fahre nach Saint-Tropez“, hieß es: „Okay, wir kommen mit.“ Oder: „Wir drehen jetzt ein Musikvideo in Schweden.“ – „Alles klar, wir sind dabei!“ Es hat sich einfach immer was ergeben und wir haben geschaut, was so passiert. Wir haben es als „auf Sicht fahren“ bezeichnet.

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Baxxter: Ja, du konntest ja nie planen und es musste alles spontan passieren.

Auch wenn Authentizität natürlich wichtig ist für eine Doku: Gab es Momente, die Sie lieber nicht in der Endfassung gesehen hätten?

Baxxter: Ich habe immer gesagt, Cordula entscheidet als Regisseurin, was rein soll und was nicht. Ich habe vielleicht einmal angemerkt: „Meinst du nicht, das kommt jetzt vielleicht ein bisschen unsympathisch rüber?“ Dann sagte sie aber: „Nein, das relativiert sich im gesamten Film.“ Man kann es dann nicht mehr ändern, und es ist auch besser so, als wenn man irgendwas beschönigt oder weglassen würde.

Kablitz-Post: Die besondere Qualität des Films ist, dass er Ecken und Kanten zeigt. Das ist ja bei jedem Menschen so, niemand ist nur nett. Und es gibt nun mal Streit und Konflikte – das passiert in jeder Band und bei jeder Zusammenarbeit.

Bei der Ankunft für ein Konzert in Tallinn haben Sie tatsächlich ordentlich gemotzt.

Baxxter: Ja, klar. Die Nerven gehen auf Grundeis, wenn du nach so langer Zeit mal wieder spielst. Ich war tierisch nervös und wusste überhaupt nicht, ob ich das noch hinkriege.

Kablitz-Post: Du standest sehr unter Druck und wusstest ja nicht mal, ob du die Texte noch kannst. Das war letztendlich kein Problem, aber in dem Moment war das ja nicht klar. Ihr hattet 18 Monate kein richtiges Konzert mehr gespielt.

Bemerkenswert auch Ihre Nervosität vor Rock am Ring.

Baxxter: Ich wusste nicht, wie die Leute reagieren. Für mich war Rock am Ring natürlich der Inbegriff von Rock, schon seit meiner Jugend. Vor dem Auftritt war ich mir einfach nicht sicher, ob das funktioniert. Einerseits gab es Erfahrungen von ein paar anderen Festivals dieser Richtung, dass es gut laufen kann – aber ein Rest Unsicherheit bleibt. Nach so ein, zwei Songs war mir klar: Der Laden läuft. Diese wahnsinnige Masse von Menschen war nun wirklich nicht alltäglich – und ich brauchte ein, zwei Stücke, um richtig reinzukommen.

„Wenn mal einer was gesagt hat, warst du sofort im Verschwörungsbereich“

Das über allem schwebende Thema ist natürlich Corona. Als Musiker und Filmschaffende kennen Sie die Teile der Branche, die besonders gelitten haben. Warum ist es nicht gelungen, den Kulturbereich zu stützen? So viele Menschen arbeiten darin – warum gab es trotzdem keine starke Lobby?

Baxxter: Ich glaube, das ist in Deutschland das Grundproblem – das hat alles einfach keinen hohen Stellenwert. In England zum Beispiel hat die Popmusik einen ganz anderen Status als hierzulande, da hat sie eine viel höhere Bedeutung. Hier ist alles eher so Beiwerk und nicht so wichtig, und so wurde das dann ja auch kommuniziert während der Krise. Es wurde nie wirklich drüber gesprochen, obwohl ja die Veranstaltungsbranche ein großer Wirtschaftszweig ist …

Kablitz-Post: … der einfach auch Arbeitsplätze schafft. Till Brönner hat dazu ein sehr gutes Statement abgegeben, aber das verhallte dann auch irgendwie. Alle fanden das super, aber passiert ist trotzdem nichts. Es gibt einfach keine Lobby, außerdem galten Kunst und Kultur als „nicht systemrelevant“. Künstler sind vielleicht auch einfach zu sehr Einzelgänger oder Individualisten, als dass man sich da gemeinsam wie eine Gewerkschaft verstehen würde. Vielleicht ist es auch die Konkurrenz untereinander. Es ist jedenfalls sehr schwer, Zusammenschlüsse unter Künstlern zu schaffen.

Baxxter: Ja, und wenn mal einer was gesagt hat, so wie Nena, warst du ja sofort im Verschwörungsbereich. Und ganz ehrlich: Ich mach ja nicht 30 Jahre Musik und arbeite an meiner Karriere und dann sowas. Mich hat ja auch vieles genervt und ich war oft kurz davor, was zu sagen, dachte dann aber: Ne, du sagst jetzt nichts. Da sieht man, wo man an die Grenzen kommt.

Kablitz-Post: Sie hat ja vor allem gesagt, dass es sie ärgert, den Abstand im Publikum zu sehen. Du hast auch gesagt, du willst keine Konzerte mit zwei Metern Abstand zwischen den Leuten spielen.

Baxxter: Genau, das mache ich nicht.

Kablitz-Post: Das war in Deutschland schon erschreckend zu sehen, wie schnell man sich an das alles gewöhnen konnte. Es hieß ja auch „das neue Normal“. Das war wirklich eine schlimme Zeit und ich bin sehr froh, dass es dann doch jetzt wieder ein anderes „neues Normal“ gibt.

Rente? „Irgendwann erledigt sich das von selbst“

Ob auf der Bühne, im Film oder hier im Gespräch: Wer Sie erlebt, dem kommt das Wort „Rente“ kaum in den Sinn. Trotzdem nagt der Zahn der Zeit ja an uns allen und Sie werden im nächsten Jahr 60 – denken Sie manchmal ans Aufhören?

Baxxter: Keine Ahnung. Ich überlasse das ein bisschen dem Zufall und vor allem auch der Fitness. Irgendwann erledigt sich das dann von selbst. Im Moment bin ich gut dabei, alles läuft super, und über so was mache ich mir jetzt gar keine Gedanken. Ich wurde das ja auch schon vor 20 Jahren gefragt. Manche, wenn man zum Beispiel an Mick Jagger denkt, kriegen das mit Bravour hin. Aber ob ich das so lange mache, weiß ich nicht – gerade bei dem Tempo, das ich auf der Bühne habe. Aber man wird sehen …

Vielen Dank für das Gespräch!

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