Exzentrik und Künstlichkeit: Fassbinder im Akademietheater

1971. Eine Welt zwischen gesellschaftlichen Aufbrüchen und Kaltem Krieg. Die Revolution der 68er war gescheitert, doch der Kampf um Veränderung wurde weitergeführt. Das ist über ein halbes Jahrhundert her. 1971 wurde Rainer Werner Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ uraufgeführt. Im Akademietheater ließ Regisseurin Lilja Rupprecht am Dienstag das Stück so alt aussehen, wie es ist. Die Tränen sind getrocknet. Petra von Kants Mode erweist sich als altmodisch.

Es ist eine Welt, in der man noch „Mannequin“ sagt, Flugtickets per Telefon bestellt und eine lesbische Beziehung für Aufregung sorgt. Die Ausstattung von Anna Ehrlich (Bühne) und Annelies Vanlaere (Kostüme) versucht, der vergangenen Zeit ein Schnippchen zu schlagen, indem sie auf Exzentrik und Künstlichkeit setzt. In diesem Kunstraum agiert Dörte Lyssewski als erfolgreiche Modedesignerin Petra von Kant wie ein Gespenst, ein Vampir, der seine eigene Blutarmut durch das Aussaugen anderer bekämpft. Annamária Láng ist die stumme, erniedrigte Dienerin, Nina Siewert die junge, verheiratete Geliebte, die die Tricks der Manipulation noch besser beherrscht als Petra.

Es wird – sparsam untermalt von Viktoria Mezovskys Live-Musik – viel geredet. Petras Aufriss-Spruch lautet „Erzähl‘ mir aus Deinem Leben“, doch eigentlich geht es immer nur um sie. Sie – das ist ziemlich unverhohlen Rainer Werner Fassbinder selbst, der sich in dem bald danach auch erfolgreich verfilmten Stück in Eigentherapie begab und die Beziehungen und Abhängigkeiten seiner Clique analysierte. Deswegen ist die Einarbeitung von Fassbinder-Interviews in einer Zwischenszene, in der Stefanie Dvorak (sonst Petras Freundin Sidonie) die Fragerin und Norman Hacker (sonst Petras Mutter) den Befragten spielen, der einzige wirklich gelungene Kunstgriff der Inszenierung. In den Antworten ahnt man die Abgründe und Einsamkeiten eines Lebens, das sich Kompromissen verweigerte.

Auf der Bühne sieht man dagegen trotz aller Grenzgänge und Entäußerungen der hervorragenden Charakterdarstellerin Lyssewski ein recht konventionelles Beziehungsdrama, in das in einer grotesken Maskenszene noch Safira Robens als Petras Tochter dazustößt. Angesichts der tausendfachen Probleme, mit denen unsere Gesellschaft heute zu kämpfen hat, stoßen Petra von Kants bittere Tränen eher bitter auf. Tatsächlich sind es Krokodilstränen. Nachdem sich Petras Bitternis um die Entscheidung der Geliebten, wieder zu ihrem Ehemann zurückzukehren, gelegt hat, wird die stumme Dienerin ins Visier genommen: „Erzähl‘ mir aus Deinem Leben“. In Annamária Langs Gesicht spiegelt sich Skepsis, Unglauben und Freude. Nun schlägt ihre Stunde! Sie öffnet den Mund. Und: Blackout. – Viel Applaus, doch wenig Begeisterung unter den Premierengästen.

(S E R V I C E – Rainer Werner Fassbinder: „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, Regie: Lilja Rupprecht, Bühnenbild: Anna Ehrlich, Kostüme: Annelies Vanlaere, Video: Moritz Grewenig, Mit Dörte Lyssewski, Nina Siewert, Annamária Lang, Norman Hacker, Safira Robens und Stefanie Dvorak. Live-Musik: Viktoria Mezovsky, Akademietheater. Nächste Vorstellungen am 9., 14. und 29. September, )

(APA)

Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel