Wiebke Puls in den Kammerspielen: Sie kam, sah und weinte

Zunächst mal ist es einfach wieder schön, in das Schauspielhaus der Kammerspiele eintreten zu dürfen. Der im Jugendstil eingerichtete Raum gibt sich entspannt, still und ruhig und lechzt doch insgeheim nach Publikum, das ist doch einfach zu spüren, ganz bestimmt! Außerdem ist es ganz reizend, Wiebke Puls zu sehen. Allein steht sie oben auf der Bühne, heißt den Gast unten willkommen und bittet höflich, wie es auch im Programm angekündigt war, um einen Euro für ihre gleich darauffolgende Darbietung.

„Money makes me cry“ heißt die Performance, die Wiebke Puls sich mit dem Regisseur Jan Bosse bereits 2005 für das Schauspielhaus Hamburg ausgedacht hat. Damals neigte sich die Zeit von Intendant Tom Stromberg ihrem Ende zu; die Tränen, die Wiebke Puls damals für eine Zuschauerin oder einen Zuschauer vergoss, waren also vielleicht Abschiedstränen? Alles geht ja mal zu Ende, kaum was bleibt für immer bestehen. Was traurig ist. Da kann man schon mal ein paar Tränen vergießen.

Der ganz harte Lockdown scheint vorbei

Jetzt aber bahnt sich ein Ende der Pandemie-Zeit an, ein vorläufiges zumindest, oder besser, die ganz harten Lockdown-Zeiten scheinen doch erstmal vorbei zu sein. In den Theatern wird wieder physisch-live vor Publikum gespielt, nach Volkstheater und Residenztheater ziehen die Kammerspiele jetzt nach. Wiebke Puls macht im Schauspielhaus den Anfang, in einer entfernten Eins-zu-Eins-Konstellation, die nun wahrlich keinerlei Virenübertragungsgefahr birgt. Die Münze steckt man in einen Klingelbeutel, den sie einem mit einem langen Stab hinhält wie eine vorsichtige Ministrantin bei der Kirchenkollekte.

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Man darf sich hinsetzen, wo man will, meint Wiebke Puls, vorne, hinten, auf den Rängen, wie es einem beliebt. Und während man sich zentral in eine der vorderen Reihen hinsetzt, kommt kurz der Gedanke auf, ob diese Wahl nicht schon ein zentraler Punkt dieser Performance ist. Denn will man möglichst nah dransitzen, wie ein tränengieriger Voyeur (könnten in der ersten Reihe nicht sogar die Tränen auf einen tropfen?) oder doch ihr und einem selbst lieber ein bisschen Distanz gönnen? Weinen ist doch was sehr Intimes. Wer Anstand besitzt, schaut da nicht drauf, schon gar nicht aus unmittelbarer Nähe.

Tränen – oder Technik?

Wie auch immer: Der grüne Vorhang wird aufgezogen wie die Jalousie in einer Peep-Show. Wiebke Puls im wunderschönen blauen Abendkleid steht da. Konzentriert sich, verengt die Augen, beginnt zu weinen. Freudentränen angesichts der Lockerung der Maßnahmen sind das sicherlich nicht. Welchen inneren Schmerz sie da aufruft, weiß man nicht. Oder ist das einfach nur Technik? Wurde uns nicht glaubhaft vorgesungen: Tränen lügen nicht? Die Illusion oder das echte Gefühl sind jedenfalls perfekt.

Den Drang, Wiebke Puls zu trösten, darf man genauso unterdrücken wie den Impuls, Zugabe zu rufen. Für einen Euro eine Minute Weinen, basta. Ob darin eine Kritik an unserer Dienstleistungsgesellschaft steckt, in der (fast) alles käuflich ist – die Lebensmittel, der BMW, der Sex, die Kunst, die Tränen – oder ob da einem einfach mal ein Moment mit einer tollen Schauspielerin geschenkt wurde, ein Moment, nach dem man sich überlegt, wieso so wenig (kollektiv) Trauer gezeigt wird, wann man selbst zuletzt geweint hat und ob es einem nicht ständig zum Heulen zumute ist – es bleibt alles in der Schwebe.

Sie kam, sah und weinte. Und ging. Oder frei nach Kafka: Im Theater gewesen. Geweint. Also: Wiebke Puls hat geweint. Ein Taschentuch für eigene mitfühlende Tränen bekam man vorab gereicht, aber es blieb leider ungenutzt. Vielleicht braucht man es ja ein andermal, wer weiß. Danke jedenfalls für die kleine (Impf-)Dosis „Kunst“. Größere Dosen sind im Anmarsch. Für ein paar Euro mehr.

Münchner Kammerspiele, weitere Aufführungen: Mi, 9.6., und Do, 17.6., von 18 – 21 Uhr; Eintritt (fast) frei – bringen Sie einen Euro mit. Tickets auf der Webseite.

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