Über den Gemeinsinn

Ganz eindeutig und klar positioniert sich Sahra Wagenknecht in ihrem neuen Buch gegen die Selbstgerechten in Politik und Gesellschaft, die mit ihren Lifestyle-Diskussionen und ihrer Kapitalgier die Gesellschaft immer mehr spalten statt solidarisch nach soliden gemeinschaftlichen Lösungen zu suchen.

Wagenknecht präsentiert geradlinige Antworten

Wagenknecht bringt die Dinge auf den Punkt. Wo andere in intellektueller Eitelkeit verkomplizieren und in essayistischer Belesenheit weit ausholen, antwortet sie geradlinig auf die Frage, warum das soziale Miteinander längst verloren gegangen ist.

Leidenschaftlich und pointiert stellt sie anhand vieler Bespiele die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte dar und analysiert ironisch die Narrative von einst, die dem Turbokapitalismus immer noch den Rücken stärken, obwohl die Zeiten, als ein Tellerwäscher noch Millionär werden konnte, längst vorbei sind.

Identitätskultur statt Solidarität

In den elf Kapiteln ihres klar gegliederten Buches arbeitet Wagenknecht ihren persönlichen Missmut ab. Sie plädiert durchaus „für eine liberale, tolerante Linke“, die sie aber weder bei den Linksliberalen noch der liberalen Linken findet. Sie vertreten längst nicht mehr die Interessen der Arbeiter.

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Statt Solidarität heißt die Parole heute Identitätskultur. Ausgerichtet auf Selbstverwirklichung individueller Befindlichkeiten, spaltet diese die Gesellschaft durch die Überbewertung von Minderheiten immer mehr. Wörter wie Gemeinschaftsgeist und Gemeinsinn kommen im Alltag fast gar nicht mehr vor.

Der linksliberale Kosmopolitismus ist gesellschaftlich zum Abgrenzungsmerkmal nach unten geworden, der das eigene Elitebewusstsein stärkt. Unter dem Label Neoliberalismus gibt man sich weltoffen und verweigert Solidarität im eigenen Land.

Gespaltene Gesellschaft

Gleichzeitig schnappt durch neue Bildungsprivilegien und die Auflösung von Familienstrukturen die Armutsfalle immer öfter zu. Die Trennung zwischen Arm und Reich tritt immer stärker zu Tage. Durchmischte Wohnviertel werden rarer, Menschen aus unterschiedlichen Schichten treffen sich nur noch in der Gastronomie oder beim Paketservice.

„Die offene Gesellschaft hat sich in eine gespaltene verwandelt“, sie wurde durch die Zuwanderung intensiviert, die besser gestellte junge Menschen aus ihren Heimatländern abzieht und das Lohndumping in Deutschland verstärkt.

Das linksliberale Weltbürger-Gehabe ist für Sarah Wagenknecht nichts anderes als die Rechtfertigung globalen Renditestrebens ohne staatliche Einschränkungen.

Kritik an „Fridays for Future“

Finanzkapitalismus und Globalisierung der Großunternehmen degradieren die Arbeiter zu Lohnsklaven, die ohne gewerkschaftlichen Schutz von den Arbeitgebern bis auf das absolute Existenzminimum ausgenutzt werden.

Genauso kritisch sieht Wagenknecht die „Fridays for Future“-Bewegung, die die Ängste der Arbeiter um ihre Arbeitsplätze völlig ignoriert und die falschen Strategien verfolgt.

Wagenknecht bringt es auch hier auf den Punkt. Warum wird nicht endlich das 1-Liter-Auto auf den Markt gebracht statt immer noch größere Elektro-SUVs mit riesigem Energiebedarf und Batteriemüll in Folge?

Ein Programm auf der Basis von Vertrauen

Mit Kritik allein gibt sich Sarah Wagenknecht aber nicht zufrieden. Als Politikerin mit Visionen plädiert sie im zweiten Teil ihres Buches für „Ein Programm für Gemeinsamkeit, Zusammenhalt und Wohlstand“ auf der Basis von Vertrauen.

„Je mehr Menschen sich verbunden fühlen, desto größer wird die Hemmschwelle, sich über den Tisch zu ziehen.“ Nicht die Globalisierung, sondern Nationalstaat und Wir-Gefühl schaffen Identifikation, Bindung und Schutz.

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Das A und O einer funktionierenden Wirtschaft und Gesellschaft sieht Wagenknecht im Leistungseigentum. Wer Leistung in einem Unternehmen erbringt, soll auch von der positiven Unternehmensentwicklung profitieren.

„Der Kapitalismus funktioniert am besten in wettbewerbsintensiven Industrien, in denen Gesetze und starke Gewerkschaften für steigende Löhne und hohe Sozial- und Umweltstandards sorgen.“

Anders produzieren statt anders konsumieren

Entschieden argumentiert sie gegen rein gewinnorientierte Spekulationen, aber auch gegen die gängige Selbstbedienungspraxis, in der Minderheiten ständig Subventionen beanspruchen, ohne selbst Leistung einzubringen.

Statt unsinniger Konsumprodukte fordert sie eine Verbesserung der Gebrauchsgüter und statt fragwürdiger Start-ups zum schnellen Geldabsahnen langfristige sinnvolle Innovationen. „

Wir müssen nicht anders konsumieren, sondern vor allem anders produzieren. Unsere Wirtschaft muss regionaler werden, ungiftiger, ressourcenschonender. Wir brauchen Produkte, die möglichst lange ihren Dienst tun.“

Sahra Wagenknecht: „Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“ (Campus Verlag, 345 Seiten 24,95 Euro)

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