‚Shiva Baby‘ von Emma Seligman: Der liebenswerte Lügenwahnsinn

Nach tollem Sex mit einem tollen Typen, der ihr nicht nur ein teures Armband schenkt, sondern für den Liebesdienst auch den Liebeslohn in die Hand drückt und sich mit einem innigen Kuss verabschiedet, muss Danielle schnell zum ersten Tag der Shiva, der einwöchigen jüdischen Trauerzeit nach Tod eines Verwandten. Diesem Max (Danny Deferrari) aber, eine Mischung aus Kunde und Liebhaber, erzählt sie von einem Brunch mit wichtigen Leuten, schließlich hat sie sich ihm gegenüber als Jurastudentin ausgegeben.

Also, schnell raus aus den verführerischen Klamotten und rein ins brave Outfit mit Hochsteckfrisur und dann mit den Eltern zur buckligen Verwandtschaft. Kaum angekommen taucht ausgerechnet das männliche Prachtstück Max auf, leider mit schöner, blonder Gattin und Baby. Ein Schock.

Emotionales Chaos mit Witz, Bösartigkeit und schwebender Leichtigkeit

Das emotionale Chaos inszeniert Regisseurin Emma Seligman in ihrem ersten langen Film mit Witz, Bösartigkeit und schwebender Leichtigkeit: eine Super-Kombination. Mit Wonne schaut man sich an, wie die umwerfende Rachel Sennott verzweifelt versucht, sich mit Lügen durchzulavieren und sich dabei immer mehr in die Tinte reitet und in Erklärungsnöte kommt, wenn es darum geht, wo sie den hübschen Kerl das erste Mal traf oder wenn es um ihre Zukunft nach dem Genderstudium geht, was den meisten Gästen dubios erscheint.

Zwischen Lachshäppchen und Bagels folgt eine peinliche Situation der nächsten. Die Twentysomething verliert immer mehr die Fassung, zumal auch noch eine Schulfreundin auftaucht, mit der sie eine noch nicht ausgestandene Affäre verbindet.

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Diese erfrischend unkonventionelle Dramödie mit Sinn für Situationskomik mokiert sich über Traditionen, gutmeinende Erwachsene und ihre Manierismen und steuert unbeirrt auf den Punkt zu, an dem der armen Danielle der Kragen platzen muss. Die in New York lebende und im kanadischen Toronto aufgewachsene Regisseurin Seligman stammt selbst aus einer abgeschotteten jüdischen Gemeinschaft und weiß wie eine Shiva abläuft: Ungeachtet des Todes wird viel mit und übereinander geredet, nerven neugierige Verwandte mit unangenehmen Fragen, prahlen die Älteren mit ihren wohl geratenen Kindern, nimmt man es mit persönlichen Grenzen nicht so genau.

Humorvoll-ironische Farce über kleinbürgerliches Leben

Wie bei allen Familientreffen gibt es Zusammengehörigkeitsgefühl, aber auch Sticheleien und Generationenkonflikte. So ist eine humorvoll-ironische Farce über kleinbürgerliches Leben und geliebte und gehasste Rituale entstanden, an deren Ende man alle diese seltsamen und wunderbaren Figuren bis in die tiefste Seelenfalten kennt – und sie mag, auch wenn man über ihr Verhalten nur den Kopf schütteln kann.

Wenn die Mischpoke in Papas Van steigt und vom Vorort wieder Richtung New York rattert, zurück ins richtige Leben, weiss man zwar nicht, wohin es Danielle nach dieser Höllentour treibt, aber sie wird’s packen. Egal was kommt. Das spürt man.

Stream exklusiv bei Mubi und beim Filmfest München Anfang Juli auf großer Leinwand in der Reihe „Spotlight“

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