‚Schubert in Atzenbrugg‘: In der Masse allein

München – Eine fröhliche Landpartie soll es werden, wie sie der mit Franz Schubert befreundete Maler Leopold Kupelwieser in Bildern und Skizzen festgehalten hat. Vielleicht ergibt sich für Schubert dabei die Gelegenheit, seiner angebeteten Josepha eine Liebeserklärung zu machen. Von dieser Reise erzählt Johanna Doderers Oper „Schubert in Atzenbrugg“ nach einem Text von Peter Turrini, die das Gärtnerplatztheater in Auftrag gegeben hat. Die Vorpremiere der Uraufführung ist Freitag um 19.30 Uhr als Livestream zu sehen. Josef E. Köpplinger hat die Oper inszeniert, Daniel Prohaska singt die Titelpartie.

AZ: Wer einen Komponisten auf die Bühne bringt, wagt sich aufs Glatteis. Warum haben Sie es trotzdem gemacht?
JOHANNA DODERER: Ich hatte am Anfang auch eine gewisse Hemmung, die sich nach den ersten Gesprächen mit Peter Turrini aber gelegt hat. Mir ist schnell klargeworden, dass es weniger um Schuberts Musik geht als um die Persönlichkeit, den Menschen. Schubert hatte sehr viele helle Seiten, aber eben auch viele Schattenseiten. Das Interessanteste ist seine Sprachlosigkeit: Er hat, auch wenn er immer unter Menschen war, sehr zurückgezogen gelebt, war sehr introvertiert.

Warum Schubert und nicht Anton Bruckner, der ähnlich gehemmt war?
Bruckner wäre auch großartig. Mozart hätte ich abgelehnt. Ich muss ehrlich sagen, Schubert war nicht mein oberster Wunsch gewesen. Da ist bei mir eine lebenslange Hassliebe, weil ich Klavierwerke wie die „Wandererfantasie“ unglaublich schwer zu spielen finde. Auch als Komponistin habe ich mich ein Jahr lang ausschließlich mit Schubert beschäftigt, ich habe sie kopiert, in seinem Stil komponiert, die „Winterreise“ neu vertont, versucht, zu verinnerlichen, wie er an Texte herangegangen ist.

„Wenn man versucht, mit Schubert zu konkurrieren, hat man schon verloren“

Wieviel Musik von Schubert verträgt eine Schubert-Oper?
In der Musik gibt es drei Ebenen: Die erste mit Originalwerken von Schubert, mit Passagen aus der „Winterreise“, aus der Messe Es-Dur und dem Streichquintett. Die „Atzenbrugger Tänze“ werden gespielt. Seine Musik hat zwar diese gigantischen harmonischen Wendungen, aber gleichzeitig auch diese monotonen Begleitmotive. In ihrer Schlichtheit ist das fast schon eine Un-Musik. Diese Begleitmotive habe ich mir sehr zu Herzen genommen, das ist die zweite Ebene, quasi eine Musik zwischen Doderer und Schubert. Dem habe ich aber ganz klar meine eigene Sprache gegenübergestellt.

Ist es auch eine Gefahr, mit der eigenen Klangsprache in Konkurrenz zu treten?
Ich glaube nicht. Wenn man versucht, mit Schubert zu konkurrieren, ihn etwa zu übertrumpfen, hat man schon verloren. Ich glaube, dass Musik nie zu anderer Musik in Konkurrenz tritt. Das ist wie in der Natur, die Pflanzen treten ja auch nicht in Konkurrenz zueinander. Ich habe anhand dieser Geschichte von Peter Turrini ganz frisch, ganz frei, mit meinen Gedanken, mit meiner Musik, die ich dabei spüre, diese Oper geschrieben.

von Christian P. Zach

Hat Sie die berüchtigte Schubert-Operette „Das Dreimäderlhaus“ nicht abgeschreckt?
Jeder, der diesen Komponisten liebt, beansprucht ihn für sich, es gibt lauter Experten. Meine Oper wird nicht kitschig sein, aber nicht, weil ich das bewusst vermeiden will – die Situation ist es einfach nicht. Es geht um die Einsamkeit dieses Menschen und die Möglichkeiten, die er hatte, alle diese Empfindungen in dieser unglaublich prachtvollen Musik auszudrücken: die Zurückweisungen, das Suchen, das Ringen, das Gefühl, gefeiert zu sein in einer Gesellschaft aus Freunden, die alle erfolgreicher, gefestigter waren als er, die alle bei Frauen gut ankamen. Schubert war da mittendrin, bejubelt und geliebt, aber nicht als Mann, sondern als Künstler, der alle unterhalten soll, der quasi den Clown macht. Auch aus dieser Diskrepanz ist dann seine großartige Musik gekommen. Das ist wie eine Parallelwelt, wahnsinnig schön. Und es hat etwas Zeitloses: Wir kennen das ja alle, dass man in einer Masse allein ist. Nur haben die meisten Menschen nicht die Möglichkeiten, das in Musik auszudrücken.

Gibt es nicht eine Parallele zwischen dem Biedermeier und heute, in der sich viele Künstler zurückziehen, weil sie gesellschaftlich keine große Bedeutung mehr spüren?
Ich würde Schubert sogar noch moderner sehen. Während ich diese Oper geschrieben habe, habe ich ihn oft so erlebt wie einen völlig abgefahrenen, verkifften Rockstar, der sich auf der Bühne austobt, der völlig unverstanden, wild, abartig, jähzornig und unberechenbar ist. So, glaube ich, wäre er heute! Nicht dieser gelockte Typ. Diese Außenseiterrolle ist auch ein Phänomen unserer Zeit.

„Turrini war für mich einfach eine Größe, eine Instanz“

Seit den 1990er Jahren wird Schuberts mögliche Homosexualität diskutiert. War das wichtig für Sie?
Diesen Aspekt will ich gar nicht ausschließen, aber in dieser Oper wird er nicht aufgegriffen. Hier geht es um Beziehungen – ob die zwischen Mann und Mann, Frau und Frau oder Mann und Frau stattfinden, das wäre, glaube ich, prinzipiell sogar austauschbar. Ob Schubert darum ringt, von einem Mann oder einer Frau anerkannt zu werden, ist nicht das Thema. Zwar ist es im Libretto klar vorgegeben, dass er Josepha anbetet und sein Freund Kupelwieser ihn immer wieder aufbaut und ihn versucht, dahin zu bringen, aktiv zu werden. Aber man könnte das schnell umschreiben, man müsste höchstens etwas in der Stimmlage ändern… Nur habe ich mit dem Umsetzen des Eigentlichen, nämlich der Isolation Schuberts, genug zu tun, das sollte für sich stehen.

Peter Turrini, von dem der Text stammt, ist eine österreichische Institution.
„Rozznjogd“ war eines der wichtigsten Bücher meiner Jugend. Seine politischen Aktivitäten, seine Reden habe ich immer verfolgt, seine Radikalität, auch die der Sprache, der Umgang mit Emotionen und die Tabulosigkeit – das war eine Art zu schreiben, die damals in Österreich noch nicht so bekannt war. Das war befreiend. Er war für mich einfach eine Größe, eine Instanz.

Sein Text ist umfangreich. Mussten Sie kürzen?
Minimal, in Absprache mit Peter Turrini. Es gibt sehr, sehr viel Text, viel Inhalt auch, es wird oft schnell und viel gesprochen. Ich habe mir die Plätze für meine Orchestermusik erkämpft! Aber eingegriffen habe ich in den Text nicht, das hätte ich mich nicht getraut.

Die Uraufführung wurde um über ein Jahr verschoben. Konnten Sie überhaupt an den Proben teilnehmen?
Die ersten Proben hatten gerade begonnen, als der Lockdown losging. Im Gärtnerplatztheater war es wie auf einem sinkenden Schiff: Der Rest um uns herum hatte schon zugemacht. Der Intendant Josef E. Köpplinger hatte aber die Idee, vor der Sommerpause im letzten Jahr alles durchzuproben.

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Zuletzt mussten Sie auch noch das Orchester reduzieren.

Das war nicht einfach. Der Dirigent Michael Brandstätter hat dabei sehr mitgeholfen. Zum Beispiel klingen die Tremoli in den Streichern, von einer Sologeige gespielt, nicht mehr so, wie ich es geplant habe. Zum Glück schreibe ich mein Leben lang Kammermusik. Mit dieser Fassung kann ich auch leben, weil es eine eigenständige Instrumentation geworden ist, die kleinere Häuser nachspielen können.

Befürchten Sie nicht, dass manche Theater aus Kostengründen gleich die reduzierte Fassung bevorzugen werden?
Ja, diese Gefahr sehe ich auch. Schrecklich, aber was soll ich machen? Ich gehe davon aus, dass das Publikum und die Häuser sich schon nach meinen satten Streicherklängen sehnen werden.

Livestream, Freitag, 30. April, um 19.30 Uhr auf gaertnerplatztheater.de und br-klassik.de, verfügbar bis 7. Mai, 23 Uhr

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