Münchner Kammerspiele: ‚Der R-Faktor‘ – Milch und Honig der Offenheit

Anfangs suggeriert Safak Sengül noch, es handele es sich um ein Spiel um Fakten und Fiktion, an dessen Ende der Zuschauer entscheiden könne, was davon wahr ist oder erfunden. Schon nach dem ersten Drittel macht die kommentierende Moderatorin klar, dass hier nichts erfunden wurde. Und selbst, wenn ein Teil von „R-Faktor“ Fake wäre, macht die Koproduktion der Otto-Falckenberg-Schule mit den Münchner Kammerspielen fassungslos. „Das Unfassbare“, wie es im Untertitel des Livestreams heißt, ist Rassismus in deutschen Stadt- und Staatstheatern.

Damit scheint Regisseurin Ayse Güvendiren fast tagesaktuell zu reagieren, denn das Thema ist nach Bekanntwerden rassistischer Vorfälle im Düsseldorfer Schauspielhaus seit fünf Wochen in der medialen Debatte. Aber die Recherchen von Ayse Güvendiren sind wesentlich älter und legen mit großer Unerbittlichkeit nahe, dass Rassismus und Sexismus, gerne auch in Kombination, zum Alltag nicht nur in den Büros der Intendanz gehören, sondern auch auf den Probebühnen und in den Theaterkantinen.

„Der R-Faktor“: Viel Wut über die „Dominanzgesellschaft“

Die Absolventin der Otto-Falckenberg-Schule befragte für ihre Abschlussinszenierung Studierende an Schauspielschulen und Filmhochschulen, aber auch junge Kolleginnen und Kollegen, die schon in den Betrieben arbeiten und Migrationshintergrund haben oder deren Hautfarbe ganz einfach nicht der der „Dominanzgesellschaft“ entspricht. Sie alle lockten „Milch und Honig der Toleranz und Offenheit“ in die dem Wahren, Schönen und Guten verpflichteten Kulturstätten. Und dort mobbt das Ensemble eine Kopftuchträgerin. Oder Regie und Dramaturgie dilettieren bei der Aneignung afrikanischer Kultur.

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Da hat sich viel Wut nicht nur im Bauch, sondern auch im Kopf angesammelt. Abgesehen von gelegentlichen kabarettistischen Kabinettstückchen, mit denen Güvendiren ihren üblen Befund leichter bekömmlich zu machen versucht, begnügt sich die Schauspielkunst der beteiligten Falckenberg-Studentinnen mit comedynahem Trash.

Aber der Zorn über Ungerechtigkeit, die sie offenbar systembedingt erfahren haben, ist absolut mitreißend und macht den „R-Faktor“ zu einer Pflichtveranstaltung für den theateraffinen weißen Mann unter besonderer Berücksichtigung der weißen Frau.

Wieder am 3. Juni, 17 bis 23 Uhr als Stream über das Hamburger Thalia-Theater unter www.thalia-theater.de

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