Mary Bauermeister: Steine vom Herzen

München – Sie ist ständig in Bewegung. Ob Mary Bauermeister mit einem Stock durch den Sand fährt und schnell vergängliche Bilder zeichnet oder in der Küche Töpfe wuchtet, weil die Kinder und die Enkel zu Besuch sind. Selbst wenn sie am Ufer sitzt und mit ihren 85 Jahren einfach so ins Wasser sinnieren könnte, gleiten ihre Hände suchend über den Grund.

Steine kann sie gar nicht genug finden, in allen Größen. Denn daraus schichtet Mary Bauermeister kleine, sich nach oben hin verjüngende Türmchen, die wiederum in harmonischen Formationen in ihren Arbeiten platziert werden.

Dokufilm über Mary Bauermeister

Regisseurin Carmen Belaschk hat Bauermeister anderthalb Jahre begleitet, und man staunt in einem fort über die Energie dieser Künstlerin, die selbst eine Krebserkrankung nicht zur Ruhe zwingt. Stattdessen werkelt sie über Stunden vor sich hin, beschriftet die Details ihrer Arbeiten – Namen oder kleine Nachrichten – oder sie arrangiert faszinierende Glaswelten in einer ihrer klassischen Vitrinen.

Dass so eine alles stehen und liegen lässt für einen Mann, kann man sich nicht vorstellen. Aber so war es, und deshalb hatten selbst Kunstkenner Bauermeister nicht auf dem Schirm. Jahrzehntelang.

„Eins und Eins ist Drei“: Ein Film von Carmen Belaschk

„Sie steht für die typische weibliche Tragödie“, erzählt der Sammler Leslie Garfield nach ihrer Vernissage in der Michael Rosenfeld Gallery in New York. 2019 war diese Soloausstellung ein später Triumph mit großem Hallo unter ihren in die Jahre gekommenen Anhängern. Übrigens mit dem schönen Titel „Live in Peace or Leave the Galaxy“ (Lebe in Frieden oder verlasse die Galaxie), da knüpft Bauermeister natürlich auch an die Präludien der Love-and-Peace-Bewegung der frühen 60er an.

Alles lief damals atemberaubend schnell, Mary hatte 1962, mit gerade mal 28 Jahren, ihre erste Einzelausstellung im Amsterdamer Stedelijk Museum, und so ging es weiter. „Bei Eröffnungen war es so voll, dass man sich kaum bewegen konnte“, erinnert sich ihre erste New Yorker Galeristin Fernanda Bonino. Wenn die junge Deutsche, die mit ihrem blonden Haar aussah wie eine Walküre, aufgetaucht sei, blieb die Welt stehen, schwärmt Bonino. „Aber dann verliebte sich Mary in den berühmtesten Komponisten der Welt“ und „gab sich auf für einen Mann, der sich als Ratte entpuppte“.

Der große Karlheinz Stockhausen kommt im Film nicht gut weg, jedenfalls nicht bei den Amerikanern. Und auch der gemeinsame Sohn Simon, der Mary mittlerweile managt, wirkt gereizt, wenn sie ihn immer noch verklärt. Aber vielleicht ist das ihre ganz eigene Strategie, der Verbitterung zu entkommen. Wer so viele Chancen vertan hat, muss es irgendwann gutsein lassen. Insofern hat Belaschks Film „Eins und eins ist drei“ etwas wohltuend Versöhnliches, übrigens sehr stimmig begleitet von Simon Stockhausens Musik. Auch wenn Mary Bauermeisters Rastlosigkeit womöglich doch etwas anderes erzählt. Aber das wird nicht einmal sie selbst wissen.

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