Grinst da ein Krokodil im Tümpel?

Lächelt hier ein Totenschädel über einem Leichnam? Und öffnet sich im nächsten Bild nicht eine Meerlandschaft, durch die ein Delfin gleitet?

Gleich daneben, das müsste eine untergehende Sonne sein, die sich im Wasser spiegelt. Dann wieder lugt ein Krokodil aus modrigem Grund. Doch Fehlanzeige, nichts von alldem ist gemeint.

Gerhard Richters abstrakte Arbeiten

Gerhard Richter hat einfach losgelegt, und während die ersten abstrakten Arbeiten Mitte der 70er Jahre „richtig programmatisch waren, ist da nur noch die Freude am Machen“, erklärte er bereits zu zwei Werkgruppen aus den 2010er Jahren.

Auch von Erholung war die Rede, sogar von Altersleichtsinn. Jetzt dürfe er sich gehen lassen, „nicht unkontrolliert, aber mit … einem Ziel“.

Ein zurückhaltender Großmeister

Richter wäre der Letzte, der seinem Publikum Lesarten oder gar Deutungen vorgeben würde. Der inzwischen 89-jährige Künstler braucht auch keinen Zeremonienmeister, der Weihrauch schwenkend ein Richter-Hochamt zelebriert.

Das ist das Angenehme und zugleich das Schwierige bei diesem völlig unprätentiösen, zurückhaltenden Großmeister. Schweigen ist Gold.

Und nun hat er sich 2020, quasi im Epilog seines sämtliche Möglichkeiten durchforschenden Œuvres endgültig der Zeichnung verschrieben, also dem, womit vieles in der Kunst seinen Anfang nimmt.

Als Fingerübung, Entwurf, Disegno, Konzept, Versuch, Kritzelei – mit welchem Anspruch das auch immer verbunden sein mag.

Gerhard Richter testet das Machbare aus

Die Freiheit kennt keine Grenzen. Eigentlich. Aber Gerhard Richter muss bei allem „Leichtsinn“ auch das Machbare austesten, experimentieren. Wie viele Schichten können übereinandergelegt werden? Was darf durchscheinen?

Da wäre etwa der Untergrund, dessen Strukturen Holzmaserungen oder Körniges vermuten lassen – abgerieben mit farbigen Kreiden, dann verwischt, übermalt oder auch zerkratzt.

Das lässt die vermeintlichen „Landschaften“ entstehen, auf denen Striche und winzige Farbinseln zu tanzen und zu flirren beginnen, und das in berauschender Dichte.

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Frische Tusche-Zeichnungen

Ganz anders dann die Tusche-Zeichnungen, die so frisch daherkommen, als wollten die grasgrünen, roten und mehr noch die schwarzen Pfützen gar nicht erst trocknen, sondern weiter das Blatt erobern.

Die Bleistiftstriche muten zunächst wie ein Koordinatensystem an, doch was soll in diesem Gehege der virtuos dirigierten Zufälle taxiert, berechnet oder im Zaum gehalten werden?

Zudem gibt es ausgearbeitete Rückseiten, die dank Faksimiles neben den Vorderseiten hängen können. Mehr geht nicht auf so überschaubarem Raum. Wir sprechen von DIN A4 bis DIN A3.

Höhepunkt sind die Bleistiftzeichnungen

Einen Höhepunkt bilden schließlich die reinen Bleistiftzeichnungen. Feine Netze ziehen sich über die Blätter, dazwischen finden sich Konzentrationen wie Gewitterwolken, dann zarte Nebelschwaden, in denen man Hieroglyphen wahrzunehmen glaubt.

Geheime Botschaften, die ihre Qualität nicht zuletzt aus der Unmöglichkeit des Entschlüsselns beziehen.

Es genügen vier, fünf dieser Zeichnungen, um sich im späten Kosmos des Gerhard Richter zu verlieren. Tatsächlich sind es 54, die – nach diversen Verschiebungen – nun auch für die Öffentlichkeit in der Pinakothek der Moderne zu erkunden sind.

Kombiniert wurden sie mit einer reflektierenden Kugel, dem einzigen, leicht zu übersehenden Objekt im Vitrinengang, und drei grauen Spiegeln.

Spiegel – ein Lieblingsthema des Künstlers

Spiegel sind seit den 60er Jahren ein Lieblingsthema Richters. Sie öffnen Räume in unbestimmte Tiefen, werfen den Betrachter aber genauso auf sich selbst zurück und auf die ewige Frage nach der Wirklichkeit.

Zweifel sind angebracht, ständig. Das vermitteln gerade die grauen Spiegel im Herausfiltern jeder Farbe, sozusagen als Ergebnis aller Malerei und womöglich sogar als Zeichen dafür, dass wir Gefangene sind von Raum und Zeit.

Wir sehen, was wir wissen oder was mit unserem Erfahrungshorizont zu tun hat. Man mag das als Beschränkung empfinden, so, wie einen eingrenzenden Rahmen.

Wer wenigstens für einen Moment aufhört zu suchen, könnte allerdings im Zusammenspiel von späten Arbeiten und Spiegeln ganz neue Bildideen entdecken.

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„Gerhard Richter. 54 Zeichnungen, 3 Graue Spiegel, 1 Kugel“, bis 22. August in der Pinakothek der Moderne, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr; Katalog 68 Euro

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