‚Die Blechtrommel‘ online: Mit Gelassenheit durch Jahrzehnte

München – Zwischendurch fürchtet der Betrachter um die Unversehrtheit seines Computerbildschirms, denn das Geräusch, das Anna Katharina Fleck zu erzeugen versteht, ist zumindest markerschütternd.

Theater Plan B: Kleine Produktionen, monumentale Stoffe

Die junge Linzerin gehört zur Theatertruppe Plan B, die allen pandemiebedingten Bühnenschließungen zum Trotz fast noch umtriebiger und produktiver scheint als zuvor.

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Natürlich sind es kleine Produktionen, aber die Stoffe können kaum monumentaler sein. Vor wenigen Wochen streamten die Straubinger ein Konzentrat von Shakespeares Lancaster-Tetralogie über YouTube, und nun hat sich das Team um Andreas Wiedermann „Die Blechtrommel“ von Günter Grass vorgeknöpft.

Theater Plan B und Grass: Unsentimentaler Erzählton

Aktueller Anlass, aus dem 800-Seiten-Roman einen szenischen Monolog gut 70 Minuten zu destillieren, waren die 1.700 Jahre gemeinsame Geschichte von Judentum und Deutschland.

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Es gebe natürlich viel Literatur zu diesem Thema, hatte Wiedermann im Vorfeld seiner Inszenierung erklärt, aber was ihn zu Grass gezogen habe, sei sein unsentimentaler Erzählton. Dessen Gleichzeitigkeit von pointensicherer Eloquenz und kleinkarierter Altklugheit eines Knaben, der im Alter von drei Jahren beschließt, sein Wachstum einzustellen, bestimmt auch die Atmosphäre der Bühnenfassung für zwei.

Theater Plan B: Erinnerungen an Schlöndorff-Verfilmung

In aller Gelassenheit durcheilt Wiedermann die Jahrzehnte der Handlung von den vier Röcken einer Bäuerin auf einem kaschubischen Kartoffelacker zur vorletzten Jahrhundertwende bis zur Zwangsjacke in einer rheinischen Psychiatrie während der frühen 1950er-Jahre.

Zuschauer, die Volker Schlöndorffs Verfilmung aus dem Jahr 1979 kennen, müssen auf keine der ikonografisch in die Film- wie in die Literaturgeschichte eingemeißelten Szenen verzichten: Die marschierenden Nazis, die der kleine Trommler aus dem Rhythmus bringt, bis sie sich im walzerseligen Dreivierteltakt wiegen, die Aale, die am Ostseestrand von Kopf eines toten Pferds ausgewürgt werden oder das Gemisch aus Brausepulver, David Bennents Spucke und Katharina Thalbachs Bauchnabel als Sexspielzeug.

Anna Katharina Fleck ein unglaublich blauäugiger Oskar Matzerath

Wenn das in solcher äußersten Reduktion funktioniert, hat das natürlich mit dem wunderbaren Duo zu tun, das sich mit großer Lust ins Grasssche Fabulieren gestürzt hat.

Clemens Nicol ist der Pfleger, der diese den erzählerischen Rahmen bildende „Traumatherapie“ vor allem akustisch am Schlagzeug begleitet. Und vermutlich hat er als zuständiger Sounddesigner auch die Stimme von Anna Katharina Fleck technisch unterstützt.

Sie ist ein unglaublich blauäugiger Oskar Matzerath, vor dessen manipulativer Boshaftigkeit es graust, und dem man trotzdem nichts wirklich übel nehmen will. Nur wenn Oskarchen die Fensterscheiben in der Danziger Altstadt zersingt, hat man ein wenig Sorge um seine Hardware.

Zu sehen auf dem YouTube-Kanal des Theaters Impuls bzw. Theaters Plan B.

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