"Tatort" Münster: Professor Boerne trommelt für die Liebe

Eine nackte Leiche führt Kommissar Thiel und Professor Boerne in eine Öko-Kommune mit unkonventionellen Liebesbeziehungen. Während Boerne sich in „Rhythm and Love“ für Gruppenseminare begeistert, muss Thiel ausgerechnet gegen den Pressesprecher der Polizei ermitteln.

Das Auffälligste an „Rhythm and Love“ sind nicht der Rhythmus und die Liebe, auch wenn die Folge schmissig erzählt ist und Liebe krimiordnungsgemäß zum Mord führt. „Rhythm and Love“ ist vor allem ein Tatort der schönen Männer.

Der Erste ist Maik. Leider liegt Maik nackt und tot im Gras. Zu Lebzeiten war er Mitglied der nahe gelegenen Kommune Erlenhof, deren Mitglieder in Bauwagen leben, Gemüse anbauen, Alpakas halten und Polyamorie praktizieren, also Liebesbeziehungen zu mehreren Partnern gleichzeitig unterhalten.

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Der zweite aparte Mann ist Tobias Flügge (Nikolai Kinski). Anders als Maik ist er am Leben und das Gegenteil von nackt, Tobias ist Pfarrer. Er hat den toten Maik nicht nur entdeckt, sondern weiß auch noch, wer ihn umgebracht hat – will es Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) wegen des Beichtgeheimnisses aber nicht verraten. Da klingt nur das Brummen der Alpakas noch empörter als der Kommissar.

Und befreundet sind beziehungsweise waren beide Männer mit Johannes Hagen (August Wittgenstein). Der lebt zwar mit einer Bilderbuchfamilie in einem soliden Einfamilienhaus, das Ehepaar Hagen ist aber progressiver veranlagt als in Bilderbüchern üblich: Die Hagens haben Partnerseminare auf dem Erlenhof besucht, Marion Hagen (Patrycia Ziolkowska) weiß von der Bisexualität ihres Mannes und wusste von seiner Beziehung zum toten Maik.

Nebenbei ist Johannes Hagen allerdings der Pressesprecher der Münsteraner Polizei, was für Kommissar Thiel den Fall zusätzlich kompliziert: ein Pfarrer und ein Polizeisprecher als Hauptverdächtige – gegen die lassen ihn seine Vorgesetzten natürlich nicht besonders gern ermitteln. Thiel allerdings lässt sich davon natürlich ebenso wenig beirren wie von der Kommune.

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„Tatort“ aus Münster: Über Polyamorie zum Selbstverständnis

Dass um das Lebensmodell der Gemeinschaft so wenig Aufhebens gemacht und der Erlenhof für erfreulich wenige Gags herhalten muss, gehört zu den Stärken dieses „Tatorts“, der seine ja selbst nicht gerade konventionellen Ermittler überzeugend charaktertreu reagieren lässt: Nicht mit verklemmten Schoten, sondern mit unvoreingenommenem Interesse: „Wir leben polyamor“, erklärt Maiks Freundin Inès (Maelle Giovanetti) Thiel und Boerne beim ersten Besuch, die Monogamie sei schließlich nur eine Erfindung der katholischen Kirche. „Genauer gesagt eine Folge der Entwicklung des Ackerbaus“, korrigiert Professor Karl-Friedrich Boerne sie zustimmend, und das erwartungsvolle Glitzern seiner Augen bezieht sich nicht nur auf die gutaussehende Französin, sondern spiegelt vor allem die Vorfreude auf ein Fachgespräch – was wiederum von Thiel lakonisch unterbrochen wird: „Sie wissen schon, dass Eifersucht eins der häufigsten Mordmotive ist?“

Zwar wird Boerne das titelgebende „Rhythm and Love“-Seminar auf dem Erlenhof besuchen und sich beim enthemmenden Trommeln natürlich lächerlich machen, aber auch dieser Klamauk hält sich in Grenzen – es geht diesem „Tatort“ nicht um abgedroschene Witze, es geht in diesem nach Elke Schuchs Drehbuch und unter Brigitte Maria Berteles Regie entspannt erzählten Fall um erschüttertes Selbstverständnis. Darum, wie viel Freiheit das menschliche Selbstbewusstsein, die eigene Eitelkeit und die Liebe aushalten können: Darum gewissermaßen, wie viel Erlenhof ein Alltag aushält, bevor es zur Katastrophe kommt.

Schrader zeigt sein Talent für Komik

Die Kommune ist dabei nicht das belächelte Paradies, sondern eine ernst genommene Lebensalternative, die in dieser Episode einen besonderen Kontrast auch zu den Ermittlern bildet: Boernes Selbstbewusstsein ist schwer erschüttert, weil er des Plagiats verdächtigt wird, was ihn ungewöhnlich empfänglich für Rhythm and Love macht. (Natürlich ist es verlockend, sich auch Jan Josef Liefers dabei vorzustellen, wie er im Trommelseminar dem Hass und der Häme zu entfliehen versucht, die seine Teilnahme am #allesdichtmachen-Video ausgelöst hat.)

Und auch Assistentin Silke Haller (ChrisTine Urspruch) ist ein Fehler unterlaufen, ein Fehler, der im richtigen Polizistenleben allerdings deutlich ernster sein dürfte, als dieser „Tatort“ ihn nimmt. Sie findet ihren Trost aber nicht beim Trommeln, sondern bei Kollege Mirko Schrader (Björn Meyer). Auch Thiels Assistent nämlich hat ein Problem, und die beiden leiden gemeinsam – hoffentlich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Womit wir beim letzten und schönsten Mann wären: So freundlich und verständnisvoll, wie Mirko Schrader die Kollegin bei Kakao und Keksen tröstet, so unangestrengt schafft das kein Gruppenseminar. Björn Meyer als der von Sorge und schlechtem Gewissen geplagte Schrader darf hier endlich einmal wieder mehr als nur Kaffee kochen und am Computer recherchieren. Schrader hat sich unter falschen Voraussetzungen beim Polizeifest angemeldet, und wie sich die Angst vor Enthüllung, Strafe und Blamage erst in Meyers Gesicht und kleinen Gesten zeigt und dann langsam vom ganzen Körper Besitz ergreift, das beweist ein Talent zu Komik, das im Münsteraner „Tatort“ natürlich genau am richtigen Platz ist.

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