Showdown für den “Fleischinator"

  • In „Gewissenbisse? Das Fleischexperiment“ nehmen fünf Familien zwei Nutztiere auf.
  • Später werden sie entscheiden müssen, ob die neuen Mitbewohner sterben müssen – oder sie in Zukunft vegetarisch leben.
  • Das bringt die Teilnehmer schnell an ihre Grenzen.

Vor 13 Jahren sorgte der britische Starkoch Jamie Oliver im Fernsehen für einen veritablen Skandal. Vor laufender Kamera betäubte er ein mit dem Kopf nach unten hängendes Huhn mit einem Elektroschocker und ließ es danach ausbluten. Sieben Jahre später vergaste er in einer weiteren Show männliche Küken. In beiden Fällen wollte er mit drastischen Bildern darauf hinweisen, wie entfernt wir mittlerweile von der Produktion unserer Lebensmittel sind. Die Eier auf dem Frühstückstisch, die Salami auf dem Brötchen und die Bratwurst auf dem Grill sind für die meisten nur noch eine formlose Masse. Dass es sich dabei einst um Tiere handelte, die von der Industrie auf Ertrag hin durchoptimiert wurden, ohne Rücksicht auf Lebensqualität, wissen viele nicht. Oder wollen es nicht so genau wissen.

Hier setzt „Gewissenbisse? Das Fleischexperiment“ an. Lange hatte VOX die dreiteilige Reihe unter dem Namen „Meat the Family“ angekündigt. Bis sie endlich im Fernsehen landete, dauerte es aber eine Weile. Das Konzept ist einfach: Fünf prominente und nicht-prominente Familien leben vier Wochen mit zwei Nutztieren zusammen. Nach Ablauf der Zeit müssen sie entscheiden, ob sie ihre Teilzeit-Mitbewohner schlachten lassen oder ob sie den Rest ihres Lebens auf einem Gnadenhof verbringen dürfen. Verschonen sie die Tiere, versprechen die Teilnehmer an „Gewissensbisse“ im Gegenzug, vegetarisch zu leben.

Drei Familien, sechs Tiere

In der ersten Folge nehmen drei Familien teil: Musiker und Extremsportler Joey Kelly mit Frau und vier Kindern, die Ripkas aus Olfen und als Teaser für die weiteren Folgen Fußballer Dennis Diekmeier vom SV Sandhausen.

Die Fallhöhe bei den Ripkas dürfte am höchsten sein. Vater Christian nennt sich selbst den „Fleischinator“, ohne die tägliche Ladung Wurst und Kotelett geht es bei ihm nicht. Die Familie muss mitziehen, „nur wegen Papa“, sagt die Tochter. Große Gedanken, woher das Fleisch kommt, dass er in sich schaufelt, macht sich Christian Ripka nicht. Als die zwei Hühner ankommen, die ab jetzt bei ihnen leben sollen, ändert sich daran nicht viel. Zwar erklärt Vater Christian mit einer Henne auf dem Arm: „Das hat zehn Minuten gedauert, schon sind die Emotionen da“, es hält ihn aber nicht davon ab, am nächsten Morgen sein Brötchen mit Wurst zu belegen.

Ähnlich sieht es bei Joey Kelly aus. Morgens Salami, das gehört schon dazu, erklärt der Musiker. Wobei seine Familie schon weiter ist. Seine Frau und zwei seiner Kinder sind Vegetarier. Sie leben zusammen auf einem alten Bauernhof mit Ponys, Hunden und Hase. Nur Kühe haben sie noch nicht – bis zu dem Augenblick, wo zwei Kälber angeliefert werden. Die Begrüßung: „Sind die hübsch!“

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Lebenszeit 18 Monate für 300 Eier pro Jahr

Dass es dabei nicht bleiben wird, ist klar. Die beiden Familien müssen sich damit beschäftigen, wie ihr Fleisch auf den Tisch kommt. Für die Ripkas heißt das, überlebende Hühner aus Brutbatterien besuchen, hochgezüchtet auf 300 Eier pro Jahr, mit abgefaulten Klauen und einer maximalen Lebenszeit von 18 Monaten. Da kommt der „Fleischinator“ zum ersten Mal ins Grübeln: „Man sollte sich da echt Gedanken machen. Vielleicht mehr Geld ausgeben.“

Der Besuch in der Legebatterie mit neun Hühnern pro Quadratmeter lässt seine Frau das erste Mal in Tränen ausbrechen. Der Chef der Anlage kommentiert den Platzmangel stoisch: „Das geht auch gut.“ Alles laufe hier nach EU-Verordnung. Bio-Hühner legen übrigens unter denselben Bedingungen – mit sechs Hühnern pro Quadratmeter.

Der Schlachter rückt mit der Kettensäge an

Das alles zielt aber natürlich auf den „Showdown“ der Reihe ab – der Besuch beim Schlachter. Familie Kelly setzt das sichtlich zu. Ehefrau Tanja bricht schon bei der Ankunft der Kuh ab, die panisch aus dem Transporter klettert. Joey Kelly zuckt beim Knallen des Bolzenschussgeräts zusammen. Nur sein Sohn steht cool da und lässt sich unbewegt erklären, dass die Kuh zu diesem Zeitpunkt noch lebt und erst zwei oder drei Minuten nach dem Ausbluten stirbt. Als die Schlachter mit der Kettensäge zum Zerteilen anrücken, ist es allerdings auch ihm zu viel.

Besser im Verdrängen ist Vater Ripka, der Besuch vom Grillweltmeister Klaus Breinig bekommt. Das schlechte Gewissen ist da („Ich überleg, ob ich heulen soll“), das Hähnchen aber zu lecker – es verschwindet in seinem Magen. Er nennt Breinig sogar seinen „Messias“. Entsprechend wenig überzeugend ist kurz darauf die Entscheidung der Ripkas, ihre beiden Hühner nicht töten zu lassen, als der mobile Schlachter anrückt. Sie wollen ab jetzt vegetarisch leben. So richtig abnehmen mag man es ihnen nicht.

Sanfte Erziehung im Unterhaltungsmodus

Deutlich mehr Diskussionen führen die Kellys. Über die Angst der Tiere, die sie gespürt haben, die Lebensbedingungen, den ganzen Produktionszyklus von Fleisch. Die Entscheidung, ob sie ihre Ernährung ändern oder ob ihre beiden Kälber sterben müssen, vertagt VOX aber in eine der weiteren zwei Folgen. Ebenso wie die der Diekmeiers, die erst gegen Ende der Folge eingeführt werden und passend zur Ankunft ihrer Schweine Schnitzel verdrücken.

Nur, was bleibt nun nach dieser ersten Folge? Bücher, Artikel und Dokumentationen zur Tierhaltung mit wesentlich drastischeren Bildern gibt es zuhauf. Wer sich informieren will, kann das. Aber vielleicht richtet „Gewissensbisse“ mit seinem sanfteren Ansatz genau an jene, die das bisher vermieden haben. Die Fleisch konsumieren, ohne sich groß Gedanken darüberzumachen, wo es eigentlich herkommt. Und unter welchen Umständen es produziert wurden. Unabhängig davon, ob die Teilnehmer an der Show nun wirklich für den Rest ihres Lebens Vegetarier werden oder nicht.

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