Papa, der Psychopath: Noch mehr Familientragödien im "Tatort"

„Der Herr des Waldes“ hat eine beliebte Schülerin umgebracht. Die neuen Saarbrücker Kommissare müssen sich mit eifersüchtigen Teenagern herumschlagen – und mit ihrer eigenen, komplizierten Freundschaft.

Die Welt ist so schön! Im Wald scheint die Sonne, die purpurnen Blumen blühen, und zwischen jungen Zweigen glitzern Spinnennetze im warmen Licht. Ein junges Mädchen im goldgelben Sommerkleid macht sich hübsch und radelt erwartungsfroh durch die Straßen ihrer Heimatstadt in den Wald.

„Tatort“ aus Saarbrücken: Mordender Psychopath im Wald

Aber wenn man genauer hinsieht, erzählt der deutsche Wald immer auch eine dunkle Geschichte: Die Blüten des Fingerhuts sind giftig, im klebrigen Netz wird ein Opfer eingesponnen. Und außer in französischen Filmen kommen radelnde Frauen in goldgelben Sommerkleidchen grundsätzlich ums Leben.

So findet die Radtour zum idyllischen Beginn des „Tatort“ ein brutales Ende: Die 18-jährige Jessica liegt tot im Gras, eine Wunde im Bein, zwei Finger abgehackt, das Herz herausgerissen und wieder hineingesteckt. Ein Psychopath, folgert Hauptkommissarin Pia Heinrich (Ines Marie Westernströer) messerscharf, aber weil es in „Der Herr des Waldes“ um mehr geht als um mordende Psychopathen, tut der Film lange Zeit so, als sei das nur eine von mehreren Möglichkeiten.

Eine andere: verliebte Teenager. Denn Jessica war genauso entzückend, wie uns die ersten Minuten des Krimis gezeigt haben. Alle waren in sie verliebt, sagt Clemens (Oscar Brose), dem Jessica Nachhilfe in Mathe gegeben und dem sie viel erzählt hat von sich – und auch von einem Unbekannten, mit dem sie sich regelmäßig im Wald getroffen habe. Clemens muss es wissen, schließlich ist er der Sohn von Lehrer Lausch, den Kai Wiesinger als ganz furchtbar netten Pädagogen spielen darf.

Im Wald treffen sich auch Simon und Manuel. Simon (Julius Nitschkoff) ist militanter Tierschützer, ein unangenehmer Fanatiker, der seinem Schul- und Jessicas Exfreund Manuel (Aaron Hilmer) beibringen will, wie man sich nimmt, was man möchte. Weshalb beide in Verdacht geraten, sich womöglich auch Jessica genommen zu haben.

Tiefe Jugendfreundschaft zwischen den Kommissaren Schürk und Sträßer

Es wird also ziemlich voll in diesem Wald, und die Kommissare Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) verbringen dort viel Zeit. Und auch wenn das jetzt berufsbedingte Gründe hat, so ist es doch ein bisschen wie früher: Im ersten „Tatort“ aus Saarbrücken haben wir erfahren, dass die beiden eine tiefe, aber komplizierte Jugendfreundschaft verbindet. Die hatte sich scheinbar im Wald gefestigt, in den sich Adam regelmäßig vor seinem gewalttätigen Vater geflüchtet hatte. Bis Leo diesen mit der Schaufel niederschlug. 15 Jahre lang lag der alte Schürk im Koma. Am Ende des ersten Saarbrücker „Tatort“ dann schlug er die Augen auf.

Und deshalb geht es in „Herr des Waldes“ eben doch um Psychopathen. Vor allem um die, die den Mord an Jessica nicht begangen haben können. Vor seinem Koma war Roland Schürk Polizist, und jetzt mischt er sich vom Rollstuhl aus in den Fall ein.

Früher hat er sich die Zeit mit der langsamen Zermürbung der Seele seines Sohnes vertrieben. Wir erfahren weitere gruselige Details aus Adam Schürks Jugend. Wir erleben einen zerknirschten Vater.

Und gekonnt werden wir mit dem erwachsenen Adam zwischen Mitleid und Entsetzen, Vergebung und Rache hin- und hergeworfen. Das liegt allerdings weniger an Darsteller Daniel Sträßers dauerfinsterer Miene, sondern vielmehr an Torsten Michaelis, der es als sein Vater Roland Schürk schafft, hinter der stoischen Miene des geschwächten Rekonvaleszenten Despotismus und Hilfsbedürftigkeit gleichermaßen aufblitzen zu lassen.

Das Drehbuch stammt wieder von Hendrik Hölzemann, und der horizontale Erzählstrang des Saarbrücker „Tatort“, über die Vergangenheit und die gegenwärtige Beziehung der beiden Kommissare zueinander, bleibt seine Stärke – selbst wenn der Nebel, der so geheimnisvoll über der ersten Folge lag wie jetzt über dem Wald, sich lichtet.

Unter Christian Theedes erneuter Regie (und mit einer Kamera, für die diesmal Tobias Schmidt verantwortlich zeichnet), erzählen stimmungsvolle Bilder wieder eine eindrückliche Geschichte. Die Chemie zwischen Sträßer und Burlakov stimmt, und wenn das unmotivierte Gekeife zwischen den Kommissaren und ihren Kolleginnen Heinrich und Esther Baumann (Brigitte Urhausen) heruntergeschraubt wird, dürften sich die Vier zu einem vielversprechenden Team entwickeln.

Adam Schürks Vater einfach nicht tot zu kriegen

Bereits in der virtuosen ersten Folge bildete eine Familientragödie, wie sie die Kommissare aneinanderkettet, auch das Thema ihres Falles: In „Das fleißige Lieschen“ ging es um eine Zwangsarbeiteraffäre in einer Textildynastie mit einem despotischen Patriarchen an der Spitze.

Doch in „Der Herr des Waldes“ wirken die Parallelen erzwungen. So überzeugend die Verdächtigen auch aufgebaut und erzählt werden, so gerne man den Ermittlungen und Tragödien auch zusieht, die sich da auftun – wie anorganisch noch schnell eine Auflösung ans Ende gepappt werden muss, sieht man schon daran, dass dafür eines dieser gekünstelten Tathergangsgespräche zwischen den Ermittlern nötig ist, in denen den Zuschauern genau erklärt wird, was passiert ist.

Aber Psychopathen gehören eben doch zu den faszinierendsten Krimihelden, und dass Adam Schürks Vater einfach nicht totzukriegen ist, mag vielleicht schlecht für die Saarbrücker Kommissare sein, ist aber gut für ihren „Tatort“.

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