"Maybrit Illner" über #allesdichtmachen: Journalistin greift Jan Josef Liefers im ZDF an

Bei Maybrit Illner stellte sich #allesdichtmachen-Mitinitiator Jan Josef Liefers einer Debatte, die er selbst mit angefacht hat. Dass er Dinge in seinem umstrittenen Video gesagt hat, die er so drastisch nicht gemeint hat, rechtfertigte der „Tatort“-Schauspieler. Mit der Satireform. Und mit Notwehr.

Als freischaffender Künstler hat man es ohne Frage nicht leicht in dieser Pandemie. Seit über einem Jahr Quasi-Berufsverbot, während in den Großraumbüros der Republik die Aerosole unbehelligt um die Nasen dampfen. Auf der anderen Seite hat man es als Künstler dann aber auch wieder leicht. Man kann zum Beispiel kritisieren, provozieren und erschöpftes medizinisches Personal vor den Kopf stoßen. Und im Zweifel ist es dann – mit einem aktuellen Chartbreaker gesprochen – „alles von der Kunstfreiheit gedeckt“. Vor allem muss man nicht erklären, wie es denn besser gehen könnte mit der Pandemiebekämpfung. Das ist schließlich nicht die Aufgabe der Kunst.

Konkrete Lösungsvorschläge wurden dem „Tatort“-Schauspieler und #allesdichtmachen-Mitinitiator Jan Josef Liefers jedenfalls nicht abverlangt am Donnerstagabend in der Talkshow „Maybrit Illner„. Dass Liefers eine Fortsetzung des Lockdowns da wohl ausklammern würde, davon allerdings kann man ausgehen, seit vor einer Woche er und rund 50 Schauspielkollegen satirische Kurzvideos veröffentlichten, aus denen der Überdruss an den Maßnahmen der Regierung von ganz viel Zynismus begleitet heruasquillt. Viele finden das zum Jubeln, viele, auch viele Schauspielkollegen übrigens, halten die Beiträge für eine moralische Bankrotterklärung. Ein Aufregerthema erster Güte also in einem denkbar sensiblen Moment dieses Landes. Für Talkerin Illner Grund genug, ihre Sendung mit einer bangen Befürchtung anzumoderieren: „Hat Corona unsere Debattenkultur infiziert?“

Jan Josef Liefers bei „Maybrit Illner“: „Ich hatte einen Overkill“

Ihm sei klar, dass Inhalt und Duktus seines Videos „ungerecht“ seien, räumte der im ZDF-Studio anwesende Star-Schauspieler ein, aber das sei eben der kurzen, satirischen Form geschuldet. Und dann erklärte Jan Josef Liefers im Pandemiejahr-Schnelldurchlauf, wie er vom „Drosten-Fanboy“, so drückte er sich wirklich aus, zum Kritiker von ihm immer unverständlicheren Maßnahmen wurde. Irgendwann habe er einen „Overkill“ gehabt, „nachts nicht mehr geschlafen“ und – wenn man es richtig verstand – mittels einer Art emotionalen Eigen-Notbremse „alle Zeitungen abbestellt“. Und dann: Dann nahm Jan Jossef Liefers eines jener gut 50 Videos unter dem Schlagwort #allesdichtmachen auf, ein Hashtag, der seit Tagen die Debatte in den sozialen Medien vergiftet.

„Ist Ihnen bewusst, dass der Sound der Demokratieverächter in Ihrem Stück ist?“, spielte Maybrit Illner auf den nicht ganz überraschenden Applaus aus der Querdenker- und Rechtsaußen-Szene an. Auf die Frage war der Schauspieler selbstredend vorbereitet: Etwas nicht zu sagen, nur weil es die AfD auch sagen würde: „Das leuchtet mir nicht ein.“ Illner schoss nun auf den Vorwurf angeblich gleichgeschalteter Medien: „Sie kritisieren einen Journalismus, der überall die Regierung kritisiert.“ Liefers findet die Medienlandschaft trotzdem viel zu „homogen“, vor allem im Schüren von Panik: „Was mich angegriffen hat, war dieser Alarm. Dafür, dass so viele Menschen kerngesund waren die ganze Zeit, fand ich die Zeit gekommen, ihnen was zurückzugeben.“

Mai Thi Nguyen-Kim: „Wir belohnen diejenigen, die am lautesten schreien“

Dass sämtliche kerngesunde Menschen dieses gallige Geschenk begrüßt haben, lässt sich indes nicht festhalten. Auch die kerngesund wirkende Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim („maiLab“) fremdelt mit den Lockdown-kritischen Videos der Schauspieler-Gruppe. Sie nerve es, dass ausgerechnet über einen so destruktiven Beitrag so anhaltend lange gesprochen werde. „Wir belohnen diejenigen, die am lautesten schreien. Natürlich spaltet das am Ende die Gesellschaft. Jede Spaltung verschlimmert diese Pandemie für alle.“

Liefers argumentierte mit Notwehr: Der Musiker Till Brönner habe mehrmals „smart und zivilisiert“ versucht, auf die Not der soloselbstständigen Kreativen in der Pandemie aufmerksam zu machen. „Das ist alles verhallt. Deshalb haben wir gesagt: Lassen wir mal einen raus!“ Der Ausgang ist bekannt. „Die Botschaft, die Sie sind senden wollten, war mindestens missverständlich“, argwöhnte der Hamburger Oberbürgermeister Peter Tschentscher im ZDF-Studio. „So richtig Beifall haben sie gekriegt von Leuten, mit denen sie nicht viel zu tun haben wollen.“ Liefers hielt dagegen: „Bei undifferenzierten Maßnahmen kann man keine differenzierte Kritik verlangen.“

Jan Josef Liefers und der unwidersprochene Selbstwiderspruch

Mai Thi Nguyen-Kim fiel auf: „Was Sie in Ihrem Video gesagt haben, passt nicht zu dem, was Sie hier sagen.“ Diesem Selbstwiderspruch konnte der #allesdichtmacher nicht widersprechen, jedoch: „Darum geht es nicht.“ Er würde nicht hier sitzen, wenn er sich sachlicher zu Wort gemeldet hätte. Nguyen-Kim fand es fraglich, ob den Not leidenden Künstlerkollegen wirklich geholfen sei, wenn man „die Narrative der Querdenker“ bediene. „Ich finde es schade, dass es zu viel Spaltung geführt hat.“ Liefers verteidigte die Gruppe unverdrossen: „Ob wir Ursache sind oder Symptom dieser Spaltung, ich weiß es nicht.“ Die zugeschalteten Politiker Wolfgang Kubicki und Boris Palmer („Ich finde es großartig, dass diese Künstler sich das getraut haben!“) hatte der „Tatort“-Star nicht ganz überraschend auf seiner Seite.

Lehrreich war der zwischen Meta-Diskussion und (wieder mal) Ausgangssperrendebatte mäandernde Talk-Abend am Ende nur bedingt. Konsens stiftend noch viel weniger. „Cancel Culture“ ist im Zweifel immer dann, wenn es vehement artikulierten Widerspruch zu einer vehement artikulierten Meinung gibt. Und der Feind der Meinungsfreiheit ist immer der Andersdenkende. Hoffnung machen da ausgerechnet die von Lockdown-Kritikern gescholtenen Modellierer: Die sehen nach aktuellem Stand eine Entspannung bei den Fallzahlen voraus. „Jetzt gilt es noch mal, Nerven zu bewahren“, appellierte Peter Tschentscher mit Blick auf den Star-Gast des Abends, „bei aller Angespanntheit, Herr Liefers!“ Vielleicht ist es am Ende wirklich so banal.

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