Kati Witt wettert gegen Lockdown: "Es geht ums nackte Überleben"

Am Donnerstagabend wurde im ZDF über Perspektiven für die Wirtschaft diskutiert. „Zahlen sinken, Ungeduld wächst – wie lange bleibt der Laden noch dicht?“ lautete das Thema. In der Talkrunde wurden scharfe Sätze formuliert.

Bei „maybrit illner“ wird zu Beginn der Sendung Katarina Witt als Unternehmerin vorgestellt und bereits in der Anmoderation heißt es, der Lockdown sei vor allem für kleine Unternehmen existenzbedrohend. Die zweimalige Olympiasiegerin wird in Anlehnung an die Wirtschaftshilfen für den Corona-Lockdown mit dem Satz zitiert: „Da war die Bazooka nur eine Wasserpistole.“

Unter dem Titel „Wie lange bleibt der Laden noch dicht?“ diskutieren anschließend BDI-Präsident Siegfried Russwurm, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, „Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld, der Rostocker Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen mit Moderatorin Maybrit Illner im Studio. Die Textilunternehmerin Sina Trinkwalder und Katarina Witt sind per Schalte auf den Monitoren im Hintergrund platziert.

„maybrit illner“: Siegfried Russwurm, Peter Altmaier, Dagmar Rosenfeld, Maybrit Illner, und Claus Ruhe Madsen sind im Studio, Sina Trinkwalder und Katarina Witt in der Schalte. (Quelle: ZDF/Svea Pietschmann)

Auf fehlende Perspektiven und Grenzwertdiskussionen angesprochen, berichtet Altmaier: „Wir haben eine Verantwortung für die Gesundheit von 83 Millionen Bürgern“ und bittet um Verständnis, dass Lockerungen nur stattfinden können, wenn man damit kein Risiko um Leib und Leben eingehe. Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, äußert zu der von Illner angebrachten Inzidenzwert-Diskussion um den neuen Wert 35 Skepsis: „Ich glaube nicht, dass diese Pandemie eine Konzentration auf einfache Zahlen zulässt. Alles nur auf eine Zahl zu beschränken und zu sagen, dieser Inzidenzwert entscheidet über Wohl und Weh, das wird nicht funktionieren. Wir müssen besser verstehen, wie das Virus funktioniert und wo Menschen sich anstecken und dann sehr zielgerichtet nach Regionen Maßnahmen ergreifen.“

Rostock als Paradebeispiel für Lockerungsperspektiven?

In der Hansestadt Rostock ist der Grenzwert längst unterschritten. Dort liegt die Inzidenz aktuell bei knapp 26 und der Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen fällt in der „maybrit illner“-Talkrunde als der Mann mit den klaren Konzepten auf: „Wir brauchen ein intelligentes System, ein Stufenmodell, wo wir die Menschen in Geschäfte lassen, in denen sie sich digital registrieren und es muss getestet werden.“ Der gebürtige Däne plädiert für „deutschlandweit unterschiedliche Modelle“, um mehr Wissen über das Virus zu sammeln und sich an Regionen zu orientieren, die vorbildhaft mit der Ausbreitung zurechtkommen. 

Ihm pflichtet die Textilunternehmerin Trinkwalder bei und beschreibt, dass ihr Unternehmen bereits Ende Februar 2020 Hygienemaßnahmen, Maskenpflicht und Abstandsregeln eingeführt habe. „So kamen wir bis jetzt gut durch“, so die 43-Jährige und fordert: „Das brauche man nun auch gesellschaftlich.“ Alles zu schließen, bestimmte Wirtschaftszweige mit staatlichen Geldern zu unterstützen, das halte sie für den falschen Weg. 

„Wir haben in Deutschland sicher auch Fehler gemacht“

Peter Altmaier lenkt ein und gesteht Fehler beim Krisenmanagement: „Wir haben in Deutschland sicher auch Fehler gemacht“, doch der CDU-Politiker mahnt: „Aber wenn ich mir Frankreich, Italien und andere Länder anschaue, dann sind da mehr Menschen pro 100.000 Einwohner gestorben, dort sind mehr Menschen erkrankt pro 100.000 Einwohner und das ist ein Preis, den wir in Deutschland bisher nicht bereit waren, zu zahlen.“ 

Angesprochen auf das fehlende Verständnis für die Öffnung von Friseuren, erklärt er die Entscheidungsfindung der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sowie der Bundesregierung so: „Gerade ältere Menschen brauchen die Möglichkeit zum Friseur zu gehen, denn das hat auch gesundheitliche Auswirkungen und das hat dazu geführt, dass wir dieses Experiment gewagt haben.“

Peter Altmaier: Der Wirtschaftsminister wehrt sich gegen die Kritik an den Wirtschaftshilfen bei „maybrit illner“. (Quelle: ZDF/Svea Pietschmann)

Warum es den „Mut zu differenzierten Maßnahmen“ nicht bundesweit gebe, so wie es der Rostocker Oberbürgermeister gefordert hatte, könne er nicht erklären. Womöglich hätte das die Erkenntnis gebracht, in welchen Bereichen mehr gelockert werden kann. Doch dies sei nicht geschehen. Laut Wirtschaftsexperte Russwurm sei das „die größte Enttäuschung“, dass man nur in ganz wenigen Fällen wisse, wo Ansteckungen stattfinden: „Das passt nicht ins 21. Jahrhundert“, so der BDI-Präsident und Claus Ruhe Madsen ergänzt, dass Datenansammlung zum „Gamechanger“ werde, wenn die dritte, vierte Welle kommt. „Wir werden Daten benötigen und da wünsche ich mir, dass verschiedene Regionen mitmachen“, hält der 49-Jährige fest.

„Was kann der Friseur, was das Nagelstudio nicht kann?“

Katarina Witt, aus Potsdam zugeschaltet, vermisst beim Lockdown die Fairness: „Was kann der Friseur, was das Nagelstudio nicht kann?“, fragt Witt und nimmt auch Bezug auf einen Facebook-Post, den sie am 8. Februar abgesetzt hatte. Ihr gehe es persönlich sehr gut, aber sie sei aufgrund der Situation „melancholisch geworden“. 

Als Unternehmerin betreibt sie ein kleines Sportstudio und wünscht sich Perspektiven, moniert das „Arbeitsverbot“ und die „staatlichen Hilfen, die nicht ankommen“. Die Ex-Eiskunstläuferin habe mit vielen kleinen Betrieben Kontakt gehabt und bringt ihre Devise so auf den Punkt: „Ein kleiner Betrieb kann genauso gute Hygienekonzepte entwickeln wie ein großer.“ Das, was Friseure können, sei bei anderen Unternehmen auch kein Problem: Die Hygienekonzepte lägen vor. „Die Verantwortung, die wir alle haben, wird untergraben von der Politik. Man traut uns zu wenig zu.“

  • „Was ist denn mit Linda Zervakis los“?: Podcast-Panne bei der “Tagesschau“
  • Umstrittene Karnevalsshow: WDR reagiert nach Rassismus-Kritik
  • Diversität im Öffentlich-Rechtlichen: ARD und ZDF gehen nicht mit der Zeit

„Die Soloselbstständigen sind im Grunde genommen seit März arbeitslos. Aber große Unternehmen, die eine gute Lobby in Berlin haben, dafür sind Milliarden ausgegeben worden, und für kleine Unternehmen ist die Not einfach sehr, sehr groß. Deswegen verstehe ich, dass die Leute immer verzweifelter sind, denn es geht ums nackte Überleben.“ Sie sei weder Corona-Leugnerin noch gegen den Lockdown, aber Forderungen wie die des Rostocker Bürgermeisters finde sie sinnvoll. Mehr testen, lockern und nach Clustern prüfen, wo Infektionen stattfinden, um für die Zukunft nicht immer alles in den Shutdown fahren zu müssen, sondern sinnvoll nach Maß und Region öffnen zu können.

Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel