Training bei Long Covid: "Gehirn kann nicht mehr richtig ’netzwerken’"

Training bei Long Covid: "Gehirn kann nicht mehr richtig 'netzwerken'"

Marc Nölke im Interview

Viele Menschen gelten nach einer Covid-19-Erkrankung zwar als geheilt, leiden aber im Anschluss noch lange unter Symptomen wie Schwindel, Konzentrations- und Schlafstörungen, Gelenkschmerzen, Atemnot, neurologischen Problemen oder Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen. „Die Erholung nach der Infektion kann langwierig werden“, weiß Marc Nölke, Autor von „Long Covid Training – Mit Neuroathletik schneller regenerieren“ (Herbig). Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news, verrät der Coach und Athletiktrainer, wie Betroffene ihre Long-Covid-Symptome bekämpfen können.

Marc Nölke: Das stimmt, es ist sehr präsent, viel zu präsent – und es wird viel zu viel Panik geschürt, denn diese sogenannten postinfektiösen Krankheitssyndrome sind eigentlich ein alter Hut und nicht Covid-spezifisch. Jeder Leistungssportler weiß genau, dass eine Virusinfektion vor der Saison die Leistung für die Saison sehr empfindlich verschlechtern wird. Von zwei Wochen mit Fieber und Atemnot erholt man sich nicht in zwei Wochen vollständig. Vor allem dann nicht, wenn man die Erholung falsch angeht, sich zu viel oder falsch belastet, modischen Ernährungsempfehlungen folgt – also wahrscheinlich nicht optimal isst und wenig schläft.

Ich trainiere neben Leistungssportlern auch mit Menschen, die chronisch krank sind und zum Teil an „unheilbaren“ Krankheiten leiden. Einer dieser Klienten erkrankte Ende März 2020 schwer, mit extremem Fieber und Atemnot. Seine Frau schickte mir per Email seine Blutwerte, die nach einer Harnwegsinfektion aussahen. Das passte aber nicht so Recht zusammen mit seinen Atemproblemen. Er bekam die Symptome schnell in den Griff, später stellte sich heraus, dass er sich wahrscheinlich bei seinem Osteopathen mit Corona infiziert hatte. Es gab eine Vielzahl von Fällen dort. Ich begleitete ihn in der Regenerationsphase mit zielgerichtetem Training. Anfangs war er sehr geschwächt, entsprechend seinem nicht optimalen Allgemeinzustand. Doch dann erholte er sich sehr gut. Ich denke, er hätte sich – ohne Training – zu dem entwickeln können, was man heute Long-Covid-Patient nennt.

Nölke: Es gibt unterschiedliche Studien dazu. Über den Daumen gepeilt wird es vielleicht einen von zehn Menschen betreffen, die eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht haben.

Nölke: Aus meiner Sicht: Atemwege und Gehirn. Aber diese Viruserkrankung kann – wie auch andere schwere Virusinfekte – einen generalisierten Verlauf nehmen, also den ganzen Körper oder einige Teile davon besonders stark betreffen. Die dadurch bedingten Organveränderungen können lange nachwirken. Es ist nachgewiesen, dass es durch das Spike-Protein zu einer generalisierten Endotheliitis kommen kann, also einer Entzündung der Blutgefäße. Manchmal mit nachfolgenden Thrombosen und Blutungen.

Nölke: Wenn eine Covid-19-Erkrankung und einige andere Risiko- und Umweltfaktoren zusammenkommen und zu Entzündungen im Gehirn führen, kann die Erholung nach der Infektion langwierig werden. Das Gehirn kann nicht mehr richtig „netzwerken“ und es entstehen vielseitige Beschwerden. Die Symptome können unterschiedlich sein und treten in etwa gleich häufig auf: Kurzatmigkeit, ungewöhnliche Müdigkeit, Geruchs- und Geschmacksstörungen. Aber es gibt weitaus mehr Symptome.

Nölke: In meiner Funktion als Trainer zeige ich Menschen, was und wie sie trotz ihrer gesundheitlichen Probleme trainieren können. Den meisten Menschen fehlt dafür das Wissen um die Zusammenhänge. Man muss verstehen, dass unser Gehirn letztendlich für alles zuständig ist, was wir tun oder nicht tun können, für alles was wir spüren und fühlen, dafür, wie wir uns fühlen – vielleicht eben dauernd müde oder besser natürlich wach und konzentriert. Es ist hilfreich zu wissen, dass es einen Gehirnbereich gibt – die Inselrinde – der eine sehr große Rolle dabei spielt, wie diese Gefühle und Zustandswahrnehmungen des eigenen Körpers funktionieren. Diese Selbstwahrnehmung – man spricht in der Neurologie von Interozeption – kann stark gestört werden. Das ist so, als ob man in einem einwandfrei funktionierenden Auto sitzt, aber im Cockpit leuchten alle Alarmleuchten – obwohl nichts kaputt ist.

Dann gibt es einen anderen Bereich im Gehirn – das Stammhirn – der unseren Blutdruck und den Tonus der Muskulatur in Abhängigkeit von der Situation anpasst und auch Atemtätigkeit der Situation und Belastung entsprechend anpasst. Alles sollte automatisch passieren, autonom. Nun hat man festgestellt, dass in Inselrinde und Stammhirn bei Long-Covid-Patienten oft weniger Glukose verstoffwechselt wird. Das bedeutet, die Neuronen dort feuern weniger als sonst. Sie haben ihre Feuerraten verändert, das ist in dem Zusammenhang kein gutes Zeichen. Bei dem einen Menschen kann es sein, dass mehr die Inselrinde betroffen ist, bei einem anderen Menschen kann es mehr ein bestimmter Teil des Stammhirns sein, der Probleme bereitet und Symptome verursacht.

In meinen Trainings analysiere ich den Ist-Zustand des Menschen und seine Vorgeschichte, dann finden wir gemeinsam heraus, welche Art von Trainingsreizen seine Beschwerden lindern. Es gibt also nicht eine Musterlösung, sondern das Training ist immer individuell, weil wir unterschiedliche Gehirne haben, unterschiedliche Krankheitsverläufe hatten, unterschiedlich alt und leistungsfähig sind. Genauso kann eine Trainingsdosis für den einen Menschen genau richtig sein – wie bei einem Medikament – und bei einem anderen Menschen kann dieselbe Dosis des Trainings sowohl deutlich zu hoch als auch viel zu gering sein. In meinem Buch leite ich Menschen dazu an, die wichtigsten Trainingsreize für die richtigen Gehirnbereiche selbst zu testen. Und wie man das genau macht, beschreibe ich natürlich auch. Es ist ein Selbsthilfebuch.

Nölke: Sie können sich erhoffen, dass sie deutlich schneller wieder fit werden, als wenn sie nichts tun. Natürlich kann man nicht immer alle Probleme immer selbst lösen. Manche Menschen brauchen mehr Unterstützung. Dazu biete ich Online-Coachings an.

Nölke: Auch das ist individuell und abhängig vom Trainingsaufwand und der Zeit, die ein Mensch einbringt. Erste Fortschritte, beispielsweise Verbesserungen des Geruchssinns, werden oft schon beim ersten Training bemerkt. Aber dann muss man weitermachen! Wenn die Inselrinde betroffen ist, kann es etwas länger dauern, manchmal einen Monat. Das Tolle ist, das man überprüfen kann, ob man die richtigen Übungen für sich selbst trainiert. Deshalb ist das Training – wenn es wie beschrieben ausgeführt wird – eigentlich immer erfolgreich.

spot on news

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