Tom Odell im Interview: "Wir sollten jeden dazu ermutigen, verletzlich zu sein"

  • Tom Odell singt sich mit seinem neuen Album „Monsters“ nach fast drei Jahren Pause zurück.
  • Im Interview mit unserer Redaktion gibt der „Another Love“-Interpret Einblick in die dunkelste Phase seines Lebens.
  • Ein Gespräch über Panikattacken, Kapitalismus, toxische Männlichkeit – und Donald Trump.

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Mit der Single „Another Love“ war ihm 2012 der musikalische Durchbruch gelungen: Allein in Deutschland hatte der damals 22-jährige Tom Odell dafür dreifach Gold bekommen und sich für über ein Jahr einen Platz in den Charts gesichert.

Danach folgten drei Top-5-Alben in Großbritannien – darunter das mit Platin ausgezeichnete „Long Way Down“ – zwei Top-10-Singles und ein Brit Award 2013 für Critic’s Choice. Eine Sache hat ihn dabei allerdings immer auf den Boden gehalten: das Songwriting und Klavierspielen.

Nun meldet sich der 30-jährige Brite mit seinem vierten Album zurück: „Monsters“. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der Sänger unter anderem über seine Panikattacken, die 2018 und 2019 ihren Höhepunkt erreichten, und wie er diese unter anderem mithilfe der Musik bewältigen konnte. Dabei lässt er sich auch über seine Gefühle, Kapitalismus in der Musikbranche und toxische Männlichkeit aus.

Außerdem erklärt Odell, was Donald Trump mit seinem neuen Album zu tun hat, warum er mittlerweile eher Musiker wie Billie Eilish als Britney Spears inspirierend findet und inwiefern das Radio Pop-Musik ruiniert hat. Nebenbei gibt er Tipps, was am besten gegen Angst- und Panikattacken hilft. Kleiner Spoiler: Eine Packung Valium am Tag in der Tasche tut es nicht.

Tom Odell, wie würdest du dein neues Album „Monsters“ beschreiben?

Tom Odell: Ich habe zwei Jahre für dieses Album gebraucht. Es dokumentiert quasi für den Zeitraum mein Leben und ist deshalb sehr schwierig in ein paar Worte zu fassen. Ich bin da nicht so eloquent. Der Titel „Monsters“ ist aber ein guter Indikator dafür, worum es in dem Album geht: Es hat mit ein paar psychischen Problemen angefangen, worüber ich erste Songs geschrieben habe. Nach einiger Zeit habe ich dann nicht nur mehr in mich selbst hineingeschaut, sondern auch nach draußen in die Welt. Und einige von den Dingen, die ich da beobachtet habe, haben sich vermutlich in meinen psychischen Problemen manifestiert. Ich war ziemlich frustriert von dem Rest der Welt.

Würdest du sagen, dass die Musik dir geholfen hat, damit umzugehen?

Die Angststörung hat mich so viele Jahre lang verfolgt, zum Schluss habe ich mich selbst gerettet und dem gestellt. Ich habe vorher nie darüber gesprochen, wie ich mich gefühlt habe – wie so viele andere Menschen auch. Ich habe einfach weitergemacht und versucht gelassen zu bleiben. Aber eigentlich wollte ich mich die ganze Zeit an jemanden wenden und sagen, wie ich mich fühle und dass ich damit aufhören muss. Dann habe ich angefangen darüber zu schreiben.

Mittlerweile sprichst du öffentlich über deine Angststörungen …

Und das fühlt sich gut an. Es ist die beste Medizin für psychische Probleme: einfach darüber reden. So viele Probleme auf der Welt sind dadurch entstanden, dass Leute nicht über Gefühle sprechen und sie sich nicht eingestehen. Wir stammen von Generationen von stoischen Menschen ab, die nicht besonders gut darin sind, Verletzlichkeit zuzulassen – insbesondere Männer. Sie haben oft eine falsche Wahrnehmung von Männlichkeit und Identität. Sie sind in dem Glauben aufgewachsen, dass sie sich gegenseitig behaupten müssen – auf diese absurde männliche Art und Weise. Und so sind letztendlich – vereinfacht gesagt – Kriege, Tyrannen und Habgier entstanden. Ein Beispiel ist Donald Trump. Zum Glück ist er jetzt weg (lacht). Was wäre aber gewesen, wenn jemand ihm wirklich gesagt hätte, dass er diese Defensiven ablegen kann? Er versucht vermutlich die ganze Zeit nur, die Anerkennung seines Vaters zu bekommen. Dieser Drang nach Anerkennung und der Egoismus richten so viel Schaden auf diesem Planeten an. Aber ich meine hier nicht nur Männer, ich denke hierbei an jeden. Wir sollten jeden – egal welchen Geschlechts – dazu ermutigen, verletzlich zu sein.

Und bezogen auf dich?

Mein Ego und meine Seele haben bei mir so viel Leid angerichtet. Ich konnte damals noch nicht mal das Haus verlassen ohne Valium bei mir zu haben. Für dreieinhalb Jahre hatte ich immer eine Packung davon in meiner Tasche dabei. Das ist kein Leben. Darum denke ich, dass wir einfach nur darüber reden müssen, wie wir fühlen. Das ist der beste Weg. Aber ich habe noch das Glück, die Musik zu haben.

Und jetzt? Würdest du sagen, dass es dir wieder besser geht?

Ja. Mir geht es gut. In letzter Zeit fühle ich mich so viel besser. Ich führe das darauf zurück, dass ich über die Sachen spreche. Die Musik bringt mich dazu, der Welt mein tiefstes und dunkelstes Geheimnis zu erzählen. Und ich will es so öffentlich verkünden, wie es nur geht. Es ist verrückt, wohin die Angst auf einmal verschwindet.

Nochmal zurück zu Trump. Hat er dich also bei dem Album inspiriert?

Ja. Es ist interessant, oder? (lacht.) Vier Jahre lang hat Trump in der Presse dominiert und in der Zeit ist so viel in der Welt passiert. Er ist purer Egoismus und Narzissmus. Es war so faszinierend, das so klar bei der mächtigsten Person der Welt zu sehen. Aber auch beunruhigend. Ich bin außerdem schon immer sehr von Nachrichten abhängig gewesen. Seitdem ich 18 oder 19 bin, habe ich jeden Morgen die Zeitung gelesen und tagsüber immer Updates auf meinem Handy bekommen. Jetzt bin ich im Vergleich zu damals eher etwas abseits der Welt. Und das ist schön so.

Wenn es nicht gerade Trump ist, wer oder was inspiriert dich normalerweise?

Ich habe sehr viel Joni Mitchell gehört, vor allem ihr kultiges 1971er Album „Blue“. Sie ist so unglaublich und überwältigend. Sie hat etwas sehr Tiefgründiges und Spirituelles – einfach nur verrückt. Ich werde nicht ansatzweise so gut werden wie Joni Mitchell. Wenn ich nur einen Hauch von ihrem Talent hätte, wäre ich schon zufrieden. Genauso talentiert ist Nina Simone. Sie ist die beste Piano-Spielerin.

Was magst du so gerne an Klavier?

Ich habe mit sieben Jahren damit angefangen. Das Instrument ist einfach großartig, ich liebe es.

Beginnst du auf dem Klavier, deine Songs zu schreiben?

Genau. Und dazu singe ich einfach etwas. Es kommt alles zur selben Zeit. Ich fange einfach irgendwie an.

Wie würdest du den Musikstil deines neuen Albums beschreiben?

Das Album springt zwischen mehreren hin und her: Mal gibt es mehr Akustik-Instrumente, mal mehr meine Stimme als Solo, mal ein paar Abschnitte Schlagzeug. Zwischendurch gibt es noch viel Synthesizer im 70er-Jahre-Stil.

Und ein bisschen Elektro-Pop…

Genau. Meiner Meinung nach hat sich aber Pop-Musik in den letzten drei, vier Jahren drastisch geändert – seitdem das Streaming dominiert. Es hat Genres in viele Kleinere aufgebrochen.

Wie meinst du das?

Wenn du zum Beispiel Bille Eilish anhörst. Das ist Musik. Sie schöpft aus so vielen verschiedenen Genres: Ein bisschen Ella Fitzgerald, ein bisschen Hip-Hop, ein bisschen Indie… Sie hat sich zu keinem Zeitpunkt an einem Genre gebunden. Pop-Musik ist auf eine wundervolle Art und Weise zu einem Schmelztiegel geworden. Das mag ich so an diesem Genre. Mit der Zeit ist es viel fortschrittlicher und ungebundener geworden, mittlerweile wird es nicht mehr länger durch das Radio ruiniert.

Inwiefern?

Radio hat allgemein Musik ruiniert, weil es alles so homogen und gleich macht. Inzwischen leben die jungen Menschen zum Glück in einer Kultur von guter, tiefgründiger Musik. Ich zum Beispiel bin mit Britney Spears aufgewachsen. Keine Frage, Britney Spears ist großartig – aber es hat zu viel von „weiße Männer mittleren Alters machen Musik und kreieren Hits für junge Leute“. Es ist der purste Ausdruck von Kapitalismus, den man sehen kann. Heute ist Pop-Musik das nicht mehr. Billie Eilish zum Beispiel lässt sich nicht von Geld beeinflussen. Sie wird nicht als 37-Jährige herumgeschickt. Genauso so Rosalía und Travis Scott. Diese Musiker sind ungebunden und nur von der Kunst geleitet. Das inspiriert mich, weil ich so lange in einer Industrie gearbeitet habe, die an Kommerz gebunden war.

Was sind deine musikalischen Pläne für die nächsten zwölf Monate?

Ehrlich gesagt versuche ich gar keine Pläne mehr zu machen. Ich will einfach ein bisschen weiter Musik herausbringen. Bis nächstes Jahr Februar gehe ich außerdem erstmal auf Tour.

Wie zuversichtlich bist du vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, dass es mit der Tour klappt?

Das müssen wir auf uns zukommen lassen. Eines hat mich das Coronavirus gelehrt: Man sollte nicht mehr zu weit in die Zukunft blicken. Wer weiß schon, wie es sein wird. Genieße das Jetzt so viel du kannst. Jetzt werde ich erstmal in UK auf Tour gehen, auch in Europa. Im Moment versuchen wir sogar nächstes Jahr in Deutschland Booking-Shows aufzubauen. Ich habe Hoffnungen, dass diese elende Krankheit sich bis dahin aufgelöst hat.

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