"Mein Wunsch ist, dass der Föderalismus abgeschafft wird"

Jeder kennt Axel Prahl als „Tatort“-Ermittler Frank Thiel aus Münster. Aber der Schauspieler wollte mal Lehrer werden – und urteilt im Interview mit t-online über die Schwächen des deutschen Bildungssystems.

Gut zweieinhalb Wochen liegt das Gespräch mit Axel Prahl inzwischen zurück. Als wir miteinander telefonierten, war an den „Alles dicht machen“-Knall noch nicht zu denken. Doch auch wenn Prahl mit seinem „Tatort“-Kollegen Jan Josef Liefers beruflich eng verbunden ist, will er auf Nachfrage zu dem Thema nicht Stellung nehmen. Dass er an der orchestrierten Videoaktion nicht teilgenommen habe, sei bereits Statement genug.

Außerdem hat der 61-jährige Schauspieler und vierfache Vater noch so viel mehr zu bieten als den „Tatort“ aus Münster. Zum Beispiel seine komödiantisch angelegte Rolle in der ZDF-Reihe „Extraklasse“, die Vergangenheit als Lehramtsstudent und jede Menge Anekdoten aus dem Alltag. Denn eines ist Axel Prahl allemal: Ein Mann, der über sich selbst lachen kann – und der dafür im Leben schon oft gute Gründe hatte.

Axel Prahl: Humor macht das Leben erträglich. Ich bin immer dankbar, wenn Humor enthalten ist in den Produktionen, die ich mache. Für eine vernünftige Komödie braucht es allerdings immer beides: die Tragik und das Komödiantische. 

Das Zusammenspiel der Gegensätze sorgt für den Reiz?

Ja, ich kann mich da nur dem Satz von Woody Allen anschließen: „Komödie ist nichts anderes als Tragödie plus Zeit.“ Ein kluger Satz.

Worüber können Sie persönlich am meisten lachen?

Im Grunde genommen über viele versemmelte Situationen. Im Nachhinein kann ich da auch vortrefflich über mich selbst lachen. Ich erinnere mich da zum Beispiel an den ein oder anderen katastrophalen Urlaub.

Was genau ist Ihnen da passiert?

Ach, ich kam zum Beispiel mal am Urlaubsort an und vor Ort war das Hotel noch im Bau befindlich. Das ist vielleicht in dem Moment nicht so lustig, aber im Nachhinein schon sehr. 

Wenn wir schon dabei sind: Was für Schlamassel haben Sie privat noch so erlebt?

In meinen jungen Jahren sollte ich zu einem Vorsprechen für das Theaterstück „Vorsicht, Trinkwasser!“ nach München fahren. Damals war ich noch relativ mittellos und hatte einen Zug gebucht mit Schlafwaggon und Übernachtung. Der Schaffner war ziemlich angetrunken und auch in der Auslastung der Waggons hatte er einiges vermasselt, manche Betten waren drei oder vier Mal gebucht worden. Ich hatte bei diesem Schaffner einen Weckdient inklusive Frühstück bestellt, das war damals Teil des Service. 

Das „Tatort“-Team aus Münster: Jan Josef Liefers und Axel Prahl(Quelle: Sascha Steinbach/Getty Images)

Das Frühstück kam aber nie bei Ihnen an?

Das auch, aber noch schlimmer: Ich wachte auf, blickte in meinem Schlafanzug aus dem Fenster und sah Berge. 

Deutlich übers Ziel hinausgeschossen …

Das kann man wohl so sagen. Statt München war ich in Rosenheim gelandet. Gottlob waren wir gerade am Bahnsteig, ich packte also meine Sachen und stieg aus. Alles noch im Schlafanzug. Dann überredete ich einen anderen Schaffner, mich kostenlos wieder zurück nach München mitzunehmen – das hat zum Glück funktioniert.

Karriereschädigend war es offensichtlich nicht, den Termin haben Sie wohl noch pünktlich einhalten können in München?

Den Termin habe ich nicht verpasst, das stimmt. Aber im Bayerischen Hof ging das Schlamassel weiter. Ich wurde gefragt, ob ich ein Frühstück haben wolle und sagte, in der irrigen Annahme, eingeladen zu werden, zu. Am Ende musste ich meine letzten 25 Mark dafür hergeben – wenngleich das Frühstück wirklich köstlich war, hatte ich das Geld anders verplant.

Für die Rückreise?

Der Zug zurück ging um 18 Uhr, der war schon bezahlt. Aber ich setzte mich in München in die Sonne, nahm meine Schiebermütze ab, legt sie neben mich und schloss die Augen. Plötzlich machte es: „Pliing!“ Da flog die erste Münze in meine Mütze und ich dachte: Ach komm, keine schlechte Idee.

Sie sind in München also spontan zum Bettler geworden. 

(lacht) Wider Willen, ja, das kann man so sagen. Die 25 Mark fürs Frühstück habe ich damit aber nicht wieder reingeholt. 

Erneut schickt das ZDF den Schauspieler Axel Prahl in der Rolle des Abendschullehrers Ralph Friesner ins Rennen. Ob „Extraklasse 2+“ die guten Einschaltquoten – 6,50 Millionen Zuschauer – seines Vorgängers „Extraklasse“ toppen kann, wird sich zeigen. Am Montagabend um 20.15 Uhr ist es so weit. Kurioser Zufall der Programmplanung: Einen Abend zuvor ist Prahl als „Tatort“-Kommissar Frank Thiel im Ersten zu sehen. Dort schalten meist weit mehr als zehn Millionen Menschen ein.

Kommen wir auf Ihren Auftritt in „Extraklasse 2+“ zu sprechen. Das ZDF zeigt den Film am 3. Mai. Auch die Schule ist ja ein beliebtes Sujet in der Humorarbeit. Wie würden Sie Ihre Schulzeit beschreiben?

Ich habe mir viele verschiedene Schulen in meinem Leben angeschaut (lacht). Kurz: Ich wechselte die Bildungsstätten ständig. Grundschule, Realschule, von der flog ich herunter, dann auf die Hauptschule, Abschluss mit Auszeichnung vom Bürgermeister, weitergereicht an die Berufsfachschule, dort habe ich das erste Bildungshalbjahr mit einem Realschulabschluss absolviert und wurde dann weitergereicht aufs Fachgymnasium und habe da Abitur gemacht. Aber ein herkömmliches Abitur, damit hätte ich auch Medizin studieren können.

Haben Sie aber nicht. Sie studierten Lehramt in Mathematik und Musik – und brachen das Studium im fünften Semester ab. Sind Sie froh, nie Lehrer geworden zu sein?

Auf jeden Fall. Das eigentliche Rüstzeug für Lehrer, die Didaktik, die Psychologie und Soziologie, wurde kaum unterrichtet. Stattdessen waren mathematisches und wissenschaftliches Arbeiten wichtig und irgendwelche Biografien von Johann Sebastian Bach, das hat man knietief studiert. 

Das fanden Sie nicht angemessen?

Nein, denn die meisten Menschen, die Lehramt studieren, haben bis zu diesem Zeitpunkt gar nichts anderes kennengelernt als Schule. Aber Fakt ist: Wenn man den Beruf wirklich ernst nimmt und sich bemüht, den Kindern Lehrstoffe interessant und abwechslungsreich aufzubereiten, dann braucht es viel Pädagogik und Unterrichtsdidaktik. 

Axel Prahl: Als Ralph Friesner unterrichtet er im zweiten Jahr an der Abendschule und versucht, seine Klasse allen Widerständen zum Trotz erfolgreich zum Abschluss zu bringen. (Quelle: ZDF/Hans-Joachim Pfeiffer)

Warum wollten Sie denn Lehrer werden?

Mein erster Berufswunsch war Pfarrer, weil ich dachte, dass ich dort nur einen Tag in der Woche arbeiten muss. Der nächste war dann Lehrer, weil die so schön viel Ferien haben. 

Sie haben die Schulerfahrung ja nicht nur selbst gemacht. Auch Ihre vier Kinder hatten bestimmt das ein oder andere aus dem Schulalltag zu erzählen. Was würden Sie in Deutschland als Stärke und was als Schwächen des Schulsystems benennen?

Als Schwäche des Schulsystems sehe ich den Föderalismus. Dass von Bayern bis Schleswig-Holstein zigtausend verschiedene Süppchen gekocht werden, in denen höchst unterschiedliche Ingredienzien benutzt werden, halte ich für falsch. 

Haben Sie dafür ein Beispiel? 

In Berlin gipfelte das bei meinen Kindern in der Grundschule darin, dass Schreiben erst einmal gelehrt wird unabhängig von allen Fehlern. Sie sollten nicht korrigiert werden! Per se vielleicht eine gute Idee, dass man erst mal schreibt, wie man hört. Wenn man die Kinder aber nicht korrigiert, hat das zur Folge, dass sich bestimmte Dinge falsch verfestigen. 

In „Extraklasse 2+“ ist vom „zeitgemäßen, integrativen Lernen“ die Rede und direkt muss man an die Versäumnisse beim digitalen Lernen in der Pandemie denken. Schule in den letzten 13 Monaten, das war vor allem eins: Improvisation. Wie haben Sie das erlebt?

Jede Schule handhabt das anders, auch das ist sehr verwirrend. Meine Zwillinge gehen auf unterschiedliche Schulen, die das Ganze sehr unterschiedlich gehandhabt haben. Von den Kindern wurde schon sehr viel Eigenverantwortung erwartet. 

Was muss anders werden, was fordern Sie ganz konkret auch mit Blick auf die Bundestagswahlen?

Ich bin Schauspieler und halte mich an der Stelle mit Forderungen zurück. Aber mein privater Wunsch ist es, dass der Föderalismus abgeschafft wird. Vor allem, was Bildung angeht, sollte es in Deutschland überall gleich zugehen. Es führt doch auch zu Komplikationen, beim Studieren zum Beispiel. Kommt da jemand mit einem Abitur aus Berlin, rümpfen alle sofort die Nase. Abiturienten aus Bayern und Baden-Württemberg rollt man hingegen den roten Teppich aus. Das kann nicht sein, das sollte man versuchen, zu egalisieren. Damit meine ich aber nicht die Ansprüche herunterzusetzen, sondern anzuheben.

Wenn Sie es sich aussuchen dürften und die Karriere als Schauspieler wäre vorbei: lieber Lehrer oder eher Kommissar?

Da gibt es noch so viel anderes. Wie Sie wissen, mache ich auch Musik und das ist eine meiner größten Leidenschaften, von Kindesbeinen an. Ich habe schon mit acht Jahren angefangen, Gitarre zu spielen. Ins berufliche Leben als Musiker bin ich hingegen sehr spät eingestiegen. Andersherum sieht es in der Corona-Krise vor allem in der Musikbranche finster aus. Meine Musikerkollegen darben dahin und müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um eine Überlebenschance zu haben. Häufig müssen sie berufsfremde Arbeiten ausüben, um ihr Dasein finanziell abzusichern.

„Extraklasse 2+“: In der ZDF-Reihe kann Axel Prahl sein komödiantisches Talent unter Beweis stellen. (Quelle: ZDF/Hans-Joachim Pfeiffer)

Haben Sie dafür überhaupt noch Verständnis, dass die Kultur in der Krise derart leidet – und womöglich auch zu wenig Aufmerksamkeit bekommt?

Ich kann die Maßnahmen nicht beurteilen, denn ich bin kein Virologe. Ich halte mich da gerne zurück. Meine große Hoffnung ist das Impfen, doch da gab es leider auch viele Versäumnisse. Das hätte deutlich besser funktionieren müssen. 

Sie haben die Impfung als Weg aus der Krise erwähnt. Wären Sie Lehrer geworden, hätten Sie Ihre Impfung vermutlich bereits.

Das stimmt, und wenn ich Krankenpfleger geworden wäre, dann hätte ich sie auch. Das ist mir wichtig in der Debatte: Es gilt, die zu schützen, die wegen ihrer Gefährdung oder gesundheitlichen Verfassung dringend geschützt werden müssen. Auch an der Stelle ist der Föderalismus im Übrigen wieder höchst hinderlich.

Sie sind Teil des erfolgreichsten „Tatort“-Duos im Land. Werden Sie eigentlich ständig mit Ihrer Rolle als Kriminalhauptkommissar Frank Thiel konfrontiert?

Das kommt manchmal vor, aber oft nicht in besonders kreativer Form. „Alles klar, Herr Kommissar?“ ist so ein typischer Ruf, den ich auf der Straße schon oft vernommen habe. Aber ernsthaft: Ich habe dem „Tatort“ wahnsinnig viel zu verdanken. Allein diese Zuschauerzahlen! Wenn die Anzahl Menschen, die den Münster-„Tatort“ gucken, bereits geimpft wären, hätten wir schon viel mehr geleistet. 

Sie sind musikalisch, trinken gerne Wein und sind ein Freund der gehobenen Küche. Gibt es eigentlich auch irgendetwas, dass Sie mit Herrn Thiel gemeinsam haben?

Ich bin zugegebenermaßen tatsächlich St. Pauli-Anhänger. Aber ich bin kein „Fan“ im Sinne von „fanatisch“, ich verfolge das eher aus Sympathiegründen. Andreas Rettig zum Beispiel plädiert immer wieder für eine gerechtere Verteilung der Gelder im Fußball. Dieses Ansinnen unterstütze ich, denn es ist hanebüchen, wie die Gelder im Fußballgeschäft verteilt werden.

Apropos gemeinsam: Jan Josef Liefers und Sie spielen in einer Band und sind sehr musikalisch. Die einzige Gemeinsamkeit oder teilen Sie viele Interessen – oder moralische Grundsätze?

Wir sind beide in Anführungszeichen „Ästheten“. Alles was kulturell so passiert, darüber tauschen wir uns aus. Zum Beispiel über Kunst und Malerei. Ich bin mit einigen Malern befreundet. 

Welche Anekdote vom „Tatort“-Set gibt es von Ihnen beiden noch zu erzählen?

Es war damals ja so, dass die Rolle von Jan Josef Liefers ursprünglich von Ulrich Noethen gespielt werden sollte. Aber der ist zwei Wochen vor Drehbeginn abgesprungen. Dann kam Jan ans Set und hatte eine Gitarre dabei und ich wusste sofort: Mit dem werde ich mich gut verstehen.

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Wieso das?

Musiker haben den großen Vorteil, ein gutes Rhythmusgefühl zu haben, also ihr Timing zu beherrschen. Ein gewisses musisches Grundvermögen ist für jede Schauspielerin und jeden Schauspieler von Vorteil.

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