Kaum erkannt: Elyas M’Barek in Bullys neuem Film "1000 Zeilen": Kinostart: 29.9.2022

Der Spiegel-Skandal um Relotius mega-unterhaltsam erzählt

Kaum erkannt: Elyas M'Barek in Bullys neuem Film "1000 Zeilen": Kinostart: 29.9.2022

von Mireilla Zirpins

Erinnern Sie sich noch an den Fall Relotius, an den „Spiegel“-Autor, der große Teile seiner preisgekrönten Reportagen frei erfunden hatte? Wenn nicht – auch nicht schlimm: Denn Michael „Bully“ Herbig erzählt ihnen die Story eingängig in äußerst unterhaltsamen anderthalb Stunden. In den Hauptrollen: Elyas M’Barek („Fack ju Göhte“) und Jonas Nay („Deutschland 83“). Und wenn man’s nicht gewusst hätte, dass er mitspielt, hätte man Elyas M’Barek in seinem Schlunz-Look erst auf den zweiten Blick erkannt.

Spiegel-Skandal als Film – das klingt unsexy, ist es bei Bully Herbig aber nicht

1000 Zeilen – das klingt jetzt erstmal nicht so richtig sexy, nach abgefilmten Heftseiten und Typen im Anzug. Klar, dass Leute wie wir Journalisten gern einen Film darüber schauen, wie einer sein Fett wegkriegt, der den Ruf unserer Zunft nachhaltig beschädigt hat. Gerade jetzt, wo uns immer mehr Wutbürger als „Lügenpresse“ denunzieren. Aber warum sollten Menschen diesen Film gucken, die vielleicht nicht mal den „Spiegel“ lesen? Nun, weil Bully, pardon: Michael Herbig lustig und ernsthaft kann und zwei tolle Hauptdarsteller hat, die uns das Ganze ausgesprochen humorvoll erzählen – und zwar so, dass auf der Leinwand immer richtig Action ist. Da ist man auch als Branchenfremder ganz schnell drin in der schnieken Welt des angesehenen Magazins, das hier „Chronik“ heißt.

Man erkennt Elyas M’Barek erst auf den zweiten Blick als zerzauselter Reporter Juan Moreno, der im Film Juan Romero heißt. Denn der sieht aus, wie wir ihn aus allen Journalistenklischees in anderen Filmen kennen: speckige Lederjacke, Drei-Tage-Bart, fettige Langhaarfrisur. Als Schreiber ist er so fleißig, dass er seine Frau und seine vier Kinder kaum zu Gesicht bekommt. Klar, dass er ein bisschen neidisch ist auf Claas Relotius, pardon: Lars Bogenius (Jonas Nay). Der ist ein echtes „Trüffelschwein“, hat ständig die Titelstory, als einziger ein Interview mit den Menschen der Stunde und ist immer schon zur Stelle, wenn ein Krisenherd gerade erst entsteht. Und dabei sieht er in seinen BWLer-Klamotten stets so geleckt aus, als würde er nur am Schreibtisch arbeiten – ganz wie die aalglatten Redaktionsmanager, die gern Schreiberlinge wegrationalisieren und sich gegenseitig befördern. Von denen gibt es auch reichlich – äh, im Film natürlich.

Wem gebührt unsere Sympathie in "1000 Zeilen"? Gar nicht so einfach!

Herbig macht es uns nicht einfach, Schreib-Streber Bogenius zu hassen und Journo-Underdog Romero zu mögen, schon weil sie beide unsere Erzähler sind. Wir fühlen mit, wenn Romero journalistisch auf der richtigen Seite kämpft und bei Beförderungen immer in die Röhre guckt: „Der Einzige, der davon nichts wusste, war ich: Ich hab meine Kinder ins Bett gebracht.“ Klingt jetzt aufopferungsvoller, als wir Romero im Film sehen: Als Ehemann und Vater versagt er ständig. Seiner Frau hört er nie zu, selbst wenn sie im Spaß sagt, sie müsse dem Bankberater wohl einen blasen, damit sie den Kredit für ihr Blogger-Studio bekommt. Und als Romero beim Schwarzfahren erwischt wird, vergisst er eins seiner vier Kinder im Bus.

Musterreporter Bogenius hingegen wirkt immer so süß schüchtern, wenn er für all die Preise vorgeschlagen wird und nimmt sogar ältere Kollegen vor der cholerischen Ressortleitung in Schutz. In seinen Träumen ist er der James Bond unter den Journalisten. Aber wir sehen auch einen total unsicheren, gehemmten Typ mit Versagensängsten. Und fühlen wir uns nicht ein bisschen schlecht, wenn wir Zweifel haben an seinen Erzählungen, wie er seine krebskranke Schwester pflegt? Und haben die quotengeilen Ressortleiter ihn nicht auch ein bisschen gedrängt, immer noch sensationellere Geschichten zu liefern?

Anderthalb Stunden ausgezeichnetes Entertainment vom Feinsten

Herbig findet Hochglanz-Bilder für unseren Journalisten-Alltag (danke dafür!), ja selbst für das, was in den Köpfen von Romero und Bogenius vorgeht. Und die führen uns eindrucksvoll vor, wie schnell unsere Phantasie mit uns durchgeht, wie nah Wahrheit und Fiktion doch aneinander liegen können. Manchmal ist das recht plakativ, aber ach. Anderthalb Stunden, die nachdenklich machen und jederzeit ausgezeichnetes Entertainment bieten.

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