Jürgen von der Lippe: "Das macht mich einfach wahnsinnig"

Mit seiner Meinung hält er nicht hinter dem Berg: Jürgen von der Lippe zeigt sich im Interview mit t-online streitlustig – und teilt vor der Kamera wortreich gegen das Gendern aus. 

Gut gelaunt ist Jürgen von der Lippe bei seinem Besuch der t-online-Redaktion in Berlin. Lockere Sprüche, hier ein kleiner Scherz, dort sein ikonisches Schmunzeln: Der 73-Jährige ist vergnügt – und hält dabei stolz sein neues Buch „Sex ist wie Mehl“ in den Händen. Seine Frau habe das Cover selbst gemalt, erzählt er im Vorgespräch und liest dann eine Passage vor, die gespickt ist mit kurzen, unterhaltsamen Witzen.

Doch von der Lippes Lachen verschwindet schnell, als wir über ein Thema sprechen, das immer wieder für kontroverse Diskussionen sorgt: das Gendern. In den Augen des Moderators und Buchautors ist diese Form der geschlechtergerechten Sprache ein Graus, mehr noch: Es versetzt ihn regelrecht in Rage, wenn ihm der Glottisschlag zu Ohren kommt. Im Interview teilt er vehement dagegen aus.

Jürgen von der Lippe: In erster Linie ist es ein Wortspiel auf den Buchtitel „Alle Menschen werden Brüder“ von Johannes Mario Simmel. Aber natürlich hat das mit einer gesteigerten Empfindlichkeit in Deutschland zu tun. In diesem Fall betrifft es die Sensibilität im Bereich des Sexismus.

Was genau fällt Ihnen dabei negativ auf?

Nur mal ein Beispiel: Die Basketballmannschaft von Alba Berlin hat ihre Cheerleader abgeschafft. Das ist eine Profitanzgruppe, die mehrfach als beste Europas ausgezeichnet wurde. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass man leicht bekleidete Frauen nicht mehr zur Schau stellen wolle.

Im genauen Wortlaut heißt es: Der Verein sei „zu der Überzeugung gekommen, dass das Auftreten junger Frauen als attraktive Pausenfüller bei Sportevents nicht mehr in unsere Zeit passt“. Das finden Sie nicht in Ordnung?

Auch die Betroffenen selbst sehen das anders. Ich bedauere es jedenfalls sehr, dass die Cheerleader ihre großartigen sportlichen Leistungen nicht mehr vor einem Spiel zeigen können. Hier versucht sich ein großer Sportverein als politisch korrekt darzustellen und opfert dafür eine Tradition, die sehr alt ist und die auch sehr schön ist und die in den Augen der Betroffenen mit Sexismus nichts zu tun hat. In meinen auch nicht.

Einen ähnlichen Fall nutzen Sie auch in Ihrem Buch unter dem Kapitel „Sexuelle Verfügbarkeit“ als Steilvorlage für eine Spitze in Richtung der Linken.

Das stimmt. Die Linke in Charlottenburg hat beschlossen, dass man keine Bilder mehr von leicht bekleideten Frauen auf kommunal verwalteten Anzeigen verwenden darf, weil eine leicht bekleidete und grundlos lächelnde Frau sexuelle Verfügbarkeit signalisiere.

Ein Antrag aus dem Jahr 2017, der auch von Grünen und SPD unterstützt wurde, und in dem es zur Begründung heißt: „Frauenkörper sollen nicht länger als Objekte, Waren und Produkte präsentiert werden.“

Mag sein, die Pointe in meiner Geschichte ist aber, dass jahrhundertelang überlegt wurde, warum die Mona Lisa lächelt. Ich komme aufgrund dieses Antrags zu dem Urteil, dass Leonardo da Vinci ihr erklärt haben wird, dass irgendwann mal ein linker Spinner kommt und sagt, wenn eine Frau grundlos lächelt, signalisiert sie sexuelle Verfügbarkeit. Und da musste sie lachen.

Sie scheinen von diesen Entwicklungen offenbar nicht nur verstört zu sein – es scheint Sie regelrecht in Rage zu versetzen.

Der Punkt ist einfach. Warum sagt jeder, der einen Menschen fotografiert: „cheese“. Damit der Fotografierte lächelt. Jemand, der lächelt, sieht einfach freundlich aus. Deshalb ist es grotesk, einen solchen Zusammenhang herzustellen und den Menschen auf diese Weise Vorschriften zu machen. Das macht mich einfach wahnsinnig.

Was bedeuten diese kleinen Beispiele übertragen auf unser Gesellschaftsbild: Haben Sie etwa das Gefühl, dass der politischen Korrektheit heute alles untergeordnet wird?

Es beginnt mit dem Gendern. Obwohl es nachweislich grammatikalisch falsch ist, plädiert eine Minderheit dafür und will damit der breiten Mehrheit in unserer Gesellschaft eine unerträgliche Entstellung unserer Sprache aufzwingen.

Warum sollte das Gendern grammatikalisch falsch sein?

Der Duden führt das Gendersternchen als „vom amtlichen Regelwerk nicht abgedeckte“ Möglichkeit des „geschlechtergerechten Sprachgebrauchs“ auf, weil die Verwendung solcher Sonderzeichen zu grammatisch nicht korrekten Lösungen führen könne. Und wie recht der Duden hat. Nehmen Sie nur das Beispiel: die Köch*innen. Das ist falsch, weil wir hier nur die weibliche Form hören, dann nützt auch der Glottisschlag nichts. Ich finde diesen zwanghaften Veränderungswillen, nur damit sich alle angesprochen fühlen, einfach lächerlich. Zumal die Frage erlaubt sein muss: Was ist mit Migranten, was ist mit Behinderten? Es gibt ja noch andere Minderheiten, die sich drangsaliert fühlen könnten.

Jürgen von der Lippe im Interview mit t-online. (Quelle: t-online)

Aber es geht doch um Geschlechtergerechtigkeit. Was haben nun plötzlich Migranten und Behinderte damit zu tun?

Weil kein Mensch versteht, was das Gendersternchen zur Geschlechtergerechtigkeit beiträgt und weil es in vielen Fällen grammatikalisch nicht funktioniert.

Wir sollten das mit dem Gendern also bleiben lassen, weil das sprachlich ohnehin alles viel zu kompliziert sei – habe ich Sie da richtig verstanden?

Nein, nicht kompliziert, sondern falsch. Damit wird die Sprache verschandelt und verhunzt. Das sehe ich nicht ein. Und je nach Umfrage sehen das zwischen 60 und 90 Prozent der Deutschen genauso. Sie lehnen die Verwendung geschlechterneutraler Sprache ab. Zugleich wird aber der Eindruck erweckt, das Gendern sei eine mehrheitsfähige Sache.

Vielleicht erreicht dieser Eindruck vor allem jene, die das Gendern ablehnen. Es soll ja auch Menschen geben, die jedem individuell zugestehen, wie er oder sie spricht. Aber was Sie vermutlich meinen, sind öffentlichkeitswirksame Auftritte. Häufig kritisiertes Beispiel: öffentlich-rechtliche Moderatoren, die im Fernsehen oder im Radio gendern.

Völlig zu Recht wird das kritisiert. Ich kriege Ohrenschmerzen, wenn ich das höre.

Der gerade in Rente gegangene Claus Kleber hat in seinen letzten Jahren beim „heute journal“ mit dem Gendern angefangen. Er folge damit „validen Argumenten“, wie er erklärte. Als Beispiel nannte er den Begriff „Fernfahrer“. Wenn immer nur von denen die Rede ist, vernachlässige man die Gefahr, denen „Fernfahrerinnen“ ausgesetzt sind.

Und genau das ist ja vollkommen falsch. Die Philosophin Svenja Flaßpöhler hat ein wunderbares Buch geschrieben: „Sensibel: Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“. Sie plädiert dort für das, was ich schon seit Jahren predige: Wenn wir alle nennen wollen, dann gibt es nichts Besseres als das generische Maskulinum.

Aber machen wir das nicht schon immer?

Offenbar gibt es aber immer noch Menschen, die fälschlicherweise annehmen, dass damit nur Männer gemeint sind. Wir müssen zwischen grammatikalischem Geschlecht und biologischem Geschlecht unterscheiden.

Das dürfte klar sein. Was Claus Kleber meinte, ist doch etwas anderes: Sprache transportiert Botschaften. Und wenn bei Berufsbezeichnungen immer nur im generischen Maskulinum kommuniziert wird, könnte das ein falsches Bild der Gesellschaft vermitteln.

Das halte ich für unsinnig. Bleiben wir bei einem Beispiel: „Der Arzt rät, drei Liter Wasser am Tag zu trinken“. Hier käme es einer Realitätsverweigerung gleich, anzunehmen, dass damit nicht auch Ärztinnen gemeint sind. Denn rein statistisch zeigt sich doch schon – nehmen wir die niedergelassenen Ärzte in Deutschland als Beispiel – , dass Frauen deutlich aufholen.

Ohne die Statistik zu kennen, bin ich mir sicher, dass es deutlich mehr Chefärzte gibt als Chefärztinnen. Für jeden Bereich gilt die Annahme also nicht.

Jetzt machen Sie das nicht an den Zahlen fest. Es geht darum zu zeigen, dass der Begriff Arzt vollkommen geschlechtslos gemeint sein kann. In anderen Zusammenhängen, das erklärt dann der Kontext, ist es natürlich männlich markiert. Bei Ärztin, also der weiblichen Form, ist immer eine Frau gemeint. Das ist der Unterschied.

Seit mehreren Jahrzehnten steht Jürgen von der Lippe auf der Bühne. (Quelle: imago images)

Liege ich folglich richtig, wenn ich davon ausgehe, dass Sie keine Theaterinszenierung besuchen würden, in der gegendert wird?

Vollkommen richtig. Aber jetzt ist auch genug, oder? Es gibt Auswüchse, da wird mir schlecht. Es wird in der ganzen Literatur herumgewühlt, es werden Statuen gestürzt und so weiter. Dabei ist das doch Geschichte. Wenn ich jetzt Geschichtszeugnisse tilge, dann betreibe ich Geschichtsklitterung. Es ist wichtig, dass Themen wie die Sklaverei oder fehlendes Frauenwahlrecht besprochen werden. Die Menschheitsgeschichte besteht doch aus Dingen, die man irgendwann als nicht gut empfunden hat und dann hat man sie geändert.

In welchen Bereichen stört Sie das besonders?

In Büchern. Es ist unerhört, Literatur zu plündern und zu zerfleddern. Als Astrid Lindgren ihre Werke geschrieben hat, war es halt kein Problem, so zu sprechen, wie sie es getan hat. Wer ihre Sprache heute verändert, macht einen Fehler. Eltern sollten das genauso vorlesen, wie es geschrieben wurde, und dann erklären, warum man heute bestimmte Dinge nicht mehr sagt.

Sie sprechen vom N-Wort.

Sind wir hier in Hogwarts? Frei nach der Devise: Voldemort, der Mann, dessen Name nicht genannt werden darf. „N-Wort“ macht es doch nicht besser. Ich spreche den Begriff aus und erkläre dann, dass man das nicht mehr sagt, weil sich Menschen davon gekränkt fühlen. Ich sage ja auch „Fuck“, wenn es mir gerade passt.

Aber damit verletzen Sie keine Minderheit.

Glauben Sie nicht, dass „Fuck“ kein Problem ist. Habe ich alles schon erlebt. Bei einem Mitschnitt aus meinem Comedyprogramm hat ein deutscher Fernsehsender mich zensiert. Das ist noch nicht so lange her.

Welcher Sender war das?

Der WDR.

Was genau haben Sie denn zum Besten gegeben?

Das Wort „ficken“ war jedenfalls am Ende nicht mehr zu hören, so viel kann ich sagen.

Jürgen von der Lippe: Der WDR zensierte wohl ein Teil seines Programms. (Quelle: imago images)

Eine gewisse Sensibilität ist für Sie also kein gesellschaftlicher Wert?

Eine gewisse Empfindlichkeit kann ein gesellschaftlicher Wert sein, aber es schlägt ja im Moment um. Der Trend geht dahin, dass bestimmte Menschen überall eine Mikro-Aggression wittern. Das führt irgendwann zu einer Störung des normalen Zusammenlebens.

Ich lehne mich jetzt nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich davon ausgehe, dass auch Sie für die Gleichberechtigung der Geschlechter sind, oder? Stichwort: Lohngleichheit für Mann und Frau. Nur sehen Sie dafür die Sprache nicht als geeignetes Mittel an.

Selbstverständlich bin ich für die gleiche Bezahlung von Mann und Frau. Aber die Sprache wird dieses Problem nicht lösen. Im Gegenteil: Die Mehrheit wendet sich ab, fühlt sich gegängelt. Auch ich fühle mich persönlich angegriffen, wenn man meine Sprache ganz bewusst und willentlich verhunzt.

Eine Argumentationslinie geht so: Durch Diskussionen wie unsere sickert die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ins breite gesellschaftliche Bewusstsein. Dadurch wird über die Sprache ein Weg gebahnt, der zu einem Punkt führt, an dem der Missstand dann real aufgelöst werden kann – durch politische Rahmenbedingungen und durch Arbeitgeber, die fair einstellen und bezahlen. Können Sie dem folgen?

Nein, dem kann ich nicht folgen. Denn es ist doch in den letzten 70 Jahren schon wahnsinnig viel passiert, ganz ohne Sprachexperimente. Wir sind auf dem richtigen Weg, was die gleiche Bezahlung angeht.

Dafür braucht es Ihrer Ansicht nach das Gendern nicht. Braucht es dafür die Quote, damit auch in Führungspositionen genügend Frauen vertreten sind?

Nein, auch das halte ich für den falschen Weg. Ich muss doch als Arbeitgeber das Recht haben, mir meine Leute auszusuchen. Nach Eignung und auch nach Sympathie, denn ich muss doch mit ihnen arbeiten können. Ich kann doch nicht sagen, ich brauche jetzt auf Teufel komm raus in der Konzernspitze soundsoviele Frauen, wenn ich gar keine finde.

Wenn aber ein Arbeitgeber nur behauptet, es habe an der Sympathie gelegen? Dabei waren es nach dem Leistungsgedanken zwei gleichstarke Bewerber. Aber der Chef wählt den Mann, weil die Frau in zwei Jahren schwanger werden könnte?

Auch dann steht es dem Betrieb doch frei, wirtschaftlich seriös zu entscheiden. Vielleicht kann ich es mir als mittelständischer Betrieb kaum leisten, dass eine Frau schnell schwanger wird.

Also ist es nach der Logik ein guter Grund, lieber einen Mann einzustellen?

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir das so sagen. Deswegen finde ich eine Quotenfrau auf Teufel komm raus blödsinnig. Aber es ist unbestritten, dass jede Frau oder so gut wie jede Frau in einem Betrieb das Klima verbessert. Das würde ich sofort unterschreiben, das habe ich so erlebt. Also sollten Arbeitgeber diese Pro und Kontras abwägen – und dann selbstbestimmt eine Entscheidung fällen.

  • Moderator wird 60: Horst Lichter: “Das waren die Wendepunkte meines Lebens“
  • Corona-Wirbel um Harald Schmidt: Er ist nicht mehr zu retten
  • Debatte um Sternchen: Dieter Hallervorden hält nichts vom Gendern

Gerade wegen der unbestrittenen Qualitäten von Frauen wäre es ja sehr schade und schlussendlich auch betriebswirtschaftlich kontraproduktiv, ihnen den Weg in den Betrieb zu erschweren, oder?

Ja, da bin ich bei Ihnen. Aber Gott sei Dank führe ich keinen Betrieb und muss mir diese Gedanken nicht machen.

Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel