Diese Kolumne erscheint wöchentlich und sie trägt den ständigen Untertitel „Der satirische Wochenrückblick“. Ich bin keine Journalistin. Meine Texte verändern nicht die Welt oder decken politische Verschwörungen, Korruption oder gesellschaftliche Missstände auf. Ich arbeite mit dem, was richtige Journalisten und Journalistinnen zutage fördern, um meinen oftmals etwas verqueren Blick darauf hier zu virtuellem Papier zu bringen.
Einige finden das sehr unterhaltsam, andere absolut unerträglich. Damit muss und kann ich leben. Mich zwingt ja niemand, meine Meinung hier oder auch auf Twitter so lautstark an die große Glocke zu hängen. Wer austeilt muss auch einstecken können, heißt es, und damit ist nicht der Verkauf von Masken und das Einstreichen von Provisionen gemeint.
Nun ist aber mal wieder eine dieser Wochen, in denen man sich fragt: Was soll man Lustiges thematisieren? Über was kann man unterhaltsam schreiben, ohne den Schatten der weltpolitischen Geschehnisse, die über uns hinwegfegen, als wären wir Pappfiguren im Auge des Taifuns der Tragödien.
Also, nicht „wir“ im Sinne von „ich“ – denn mir geht es fantastisch. Privilegierter als ich und der Großteil der Deutschen könnte man gar nicht sein. Die Tragödie spielt sich nicht in Hamburg Eppendorf oder Berlin Mitte ab. Dieser Tage schaut die Welt auf Kabul, auf Kandahār, auf Afghanistan. Und ähnlich wie Naturkatastrophen oder schwachsinnige Aussagen von Nena häufen sich diese Wochen, in denen mir grundsätzlich erstmal gar nicht nach dem Fahnden nach komischen Wortverdrehungen oder absurden Vergleichen ist. Die Katastrophen kommen in kürzeren Abständen und machen mich öfter hilflos, als ich es mir wünschen würde.
The Show Must Go On … Really?
Nun möchte ich hier kein Bild der trauernden Empathie-Weltmeisterin zeichnen, deren vermeintlich größtes Talent ihr keinen Spaß mehr macht, weil es so viel Leid auf der Welt gibt. Wir alle, die sich in die Öffentlichkeit stellen und für ihre Filme, ihre Musik, ihre Bücher, ihre Moderationen, ihre Kolumnen, ihre Sportergebnisse oder ihre Tweets geliebt werden wollen, sind zunächst mal selbstdarstellerische Aufmerksamkeit-Junkies, die eine mit dieser Art von Erfolg oder Reichweite verbundene Popularität zumindest gerne akzeptieren.
Ich war am Wochenende auf einem Konzert von meinen Freunden Caro und Daniel von Glasperlenspiel, habe mit meiner Freundin Sandra ein Wochenende in Berlin und einen lustigen Tag auf der Spree verbracht. Wir haben Müll aus dem Wasser gezogen, darunter sogar ein halber Wohnzimmerstuhl, aber wir haben auch viel Spaß gehabt. Ich schreibe darüber hinaus seit elf Episoden täglich eine Kolumne über „Promi Big Brother“. Auch nicht gerade ein Format, das die Klimaproblematik, die Corona-Situation oder die Problematik des Welthungers lösen wird.
Mich nun so zu inszenieren, als hätte ich mich das gesamte Wochenende bei melancholischer Musik in einen verdunkelten Raum zurückgezogen, weil ich das Unglück der Welt und die Verzweiflung vieler Menschen nicht ertragen kann, wäre daher fraglos mehr als geheuchelt. Dennoch nehme ich mir das Recht heraus, abzuwägen, wie wichtig Unterhaltung in Tagen der Trauer ist. Was zum Beispiel gerade in Afghanistan passiert, ist für mich so unbegreiflich und gleichzeitig so entsetzlich, dass ich keine Worte dafür finde. Die Fassungslosigkeit, dass im Jahr 2021 so etwas möglich ist, sprengt jede Vorstellungskraft in mir. Und üblicherweise habe ich mehr als genug davon.
Im Ozean der Konsternation
Nun bin ich nicht Kanzlerin, ich bin nicht Außenministerin. Ich bin ein politscher Niemand. Ich helfe keinem einzigen Menschen in einer grauenvollen Situation, wenn ich mir ein vorübergehendes Schweigegelübde auferlege. Andererseits geht es ja auch nicht um mich. Meine Nutzlosigkeit bei der Bekämpfung der echten Probleme dieser Welt interessiert niemanden.
Aber vielleicht schaffe ich es, irgendjemandem ein winziges Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Einen Augenblick der Ablenkung im Ozean der Konsternation. Ist das nicht auch etwas, das zumindest keinen weiteren Schaden anrichten kann und vielleicht, ganz vielleicht, einen Moment des Durchschnaufens erreicht, bei irgendwem, der vielleicht einen solchen Moment gerade ganz gut gebrauchen kann?
Hier ist er also, der Wochenrückblick. Vielleicht mit ein paar weniger meiner üblichen unterirdischen Gag-Versuche á la „haha, Dieter Bohlen nutzt viel zu viele Instagram-Filter“. Aber dennoch mit einer Message: Ich bin erschüttert. Ich bin wirklich außerordentlich verstört. Ich bin gleichsam rat- wie sprachlos. Das unterscheidet mit von Spitzenpolitikern, Ministern und Kanzlerkandidaten. Die sind nämlich nur ratlos. Und vermutlich ahnungslos. Aber sprachlos sind sie selten. Zumindest im Auge einer totalen Katastrophe nicht. Da möchte jeder der erste sein, der seine Weisheiten in möglichst viele Kameras absondert. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, haben die Verantwortlichen immer alles explizit richtig gemacht, während die, die keine direkte Verantwortung trugen, stets alles schon immer besser wussten und gänzlich anders gemacht hätten.
Studie zeigt: "Flüchtlingskrise" 2015 nicht Ergebnis von Merkels Politik
„2015 darf sich nicht wiederholen“ – Armin Weidel und Alice Laschet
Eine intellektuelle Patt-Situation auf dem Boulevard der politischen Eitelkeiten. Während sich also in Kabul fast 700 Menschen in totaler Verzweiflung in nur ein einziges Transportflugzeug der US Air Force kämpfen, andere sich in nackter Panik an die Fahrwerke der abfliegenden Jets hängen und nach wenigen Metern in den Tod stürzen und insbesondere für Frauen und Mädchen das ohnehin nicht sehr einfache Leben nun gänzlich vorbei ist, stellt sich beispielsweise Armin Laschet vor die Kameras und sagt etwa 30 mal, dass „das Jahr 2015 sich nicht wiederholen dürfe“.
Der Mann, der in nur wenigen Wochen zum Kanzler gewählt werden möchte, macht Wahlkampf auf dem Rücken einer Katastrophe – und mit dem Jargon der AfD. Laschet wollte noch vor zwei Wochen Menschen eiskalt nach Afghanistan abschieben lassen und wird heute, im Angesicht des größten außenpolitischen Versagens der jüngeren Geschichte, nicht müde, anderen vorzuwerfen, sie hätten die Situation falsch eingeschätzt.
Das ist ein bisschen wie Jugendliche munter aufzufordern, doch ruhig auch mal harte Drogen auszuprobieren und 14 Tage später, wenn es erste Drogentote zu beklagen gibt, der Regierung vorzuwerfen, dass man doch wohl schon viel früher mal was gegen den steigenden Drogenkonsum hätte tun müssen. Möchten wir jemanden, dessen Sätze sich ausgerechnet an Tagen wie diesen tatsächlich wortwörtlich nicht mehr von denen von Alice Weidel unterscheiden, wirklich zum Kanzler wählen? Auch die in der Schweiz lebende Exil-Demagogin hatte umgehend getwittert, „das Jahr 2015 dürfe sich nicht wiederholen“.
Lügt Armin Laschet live in den Tagesthemen?
Natürlich ist Armin Laschet nicht die entscheidende Figur, die die entsetzliche Situation in Afghanistan heraufbeschworen hat. Aber er möchte für mindestens die kommenden vier Jahre die Politik in Deutschland bestimmen. Und hat mit der Unions-Fraktion vor zwei Monaten gegen die Evakuierung der Menschen aus Afghanistan gestimmt. Dinge tun und später genau das Gegenteil behaupten. Fakten und eigene Taten ignorieren. Eigenschaften, die schon bei Donald Trump bei unseren Freunden in den USA für vier sehr schmerzhafte Jahre gesorgt haben.
Um das plakativ zu verdeutlichen, hier ein paar Tatsachen. Armin Laschet hat den Satz „2015 darf sich nicht wiederholen“ in den vergangenen 48 Stunden mehrfach gesagt, oftmals vor laufenden Kameras. Am Montagabend spricht er für beinahe acht Minuten in den „Tagesthemen“ mit dem Moderator Ingo Zamperoni, der ihn mit dieser Frage begrüßt: „Menschen klammern sich an startende Flugzeuge und ihre große Sorge ist, dass sich 2015 nicht wiederholt?“ Armin Laschet antwortet: „Nein, das haben sie falsch verstanden“.
Das kann man nun Lüge nennen, selektive Wahrnehmung, Wahlkampf, Verzweiflung oder Selbstaufgabe. Fakt ist, dass Armin Laschet noch immer beste Chancen hat, Bundeskanzler zu werden. Was also ist los in diesem Land? Gibt es etwas, das man einem Politiker der CDU nicht verzeihen würde? Fehler in Lebenslauf und Buch können es ja schon mal nicht sein. Und nur um das nochmal klar zu sagen: Nach dem, was in den vergangenen Tagen in Afghanistan passiert ist, wird das Leben für die Menschen und vor allem für Frauen so leidvoll und unerträglich werden, wie wir es uns hier in Deutschland mit Sicherheit niemals vorstellen können. Und das auch nur, wenn man überhaupt am Leben bleibt.
Die Sicherheit unseres Landes wird auch im Kanzleramt verteidigt
Armin Laschets Vorschlag nach „Hilfe vor Ort“ kommt im Angesicht der Szenen vom Flughafen Kabul einige Legislaturperioden zu spät. Jetzt „Hilfe vor Ort“ zu fordern, ist in etwa so, wie am Tag nach einem verheerenden Brand zu den Trümmern eines Hauses zu eilen, sich besorgt aber fulminant handlungsbereit auf den Schutt und die Asche zu stellen – und dann einen Feuerlöscher in die Kamera zu halten, um „Hilfe bei der Brandbekämpfung“ anzubieten.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich schrieb es ja schon: Armin Laschet trägt nicht die Schuld daran, was die Menschen in Afghanistan erleiden müssen. Es gibt andere Personen, die näher am Geschehen waren. Aber Armin Laschet ist im Konzert der Lautsprecher nunmal der, der uns noch für lange Zeit regieren könnte. Denn eines scheint ja klar: Egal, wie die Wahl am 26. September ausgeht. Heiko Maas wird dann genau so Geschichte sein wie Angela Merkel. Armin Laschet jedoch könnte es sich im Kanzleramt bequem machen. Ist das ein Szenario, das wir wirklich bis zu Ende gedacht haben?
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