‚Things Heard & Seen‘: Geister, die ich nicht rief

Es gab mal eine Zeit, da galt die Teilnahme an einem Horrorfilm als mehr oder minder kleine Sünde auf dem Weg zu einer Karriere, die hoffentlich mit großen dramatischen Rollen gesegnet ist. Mittlerweile jedoch spielen immer mehr etablierte Schauspielerinnen und Schauspieler in Horrorfilmen mit, ja, das Genre erlebt derzeit eine regelrechte Renaissance, was wohl auch damit zu tun hat, dass die Ängste, die in unsicheren Zeiten frei gesetzt werden, sich nun mal auch in den filmischen Geschichten spiegeln.

Amanda Seyfried: Mehr als eine reine „Scream Queen“

Auch sind die Akteure nicht mehr reine „Scream-Queens“ und Kettensägen schwingende (Anti-)Helden, sondern meist ganz „normale“ Menschen, die unter bestimmten Traumata und psychischen Krankheiten leiden. Geschrien wird im heutigen Horrorfilm zwar immer noch ausgiebig, aber diese Momente sind eingebettet in differenzierte Charakterstudien. So brillierte Toni Collette zum Beispiel in Ari Asters „Hereditary“ als Frau, die nach dem Tod ihrer Tochter einen Nervenzusammenbruch erleidet und mit Hilfe von Séancen Kontakt zu der Verstorbenen aufnehmen will.

In die Riege der etablierten Darsteller, die sich im Horror-Genre versuchen, reiht sich nun auch Amanda Seyfried. Bekannt geworden als Film-Tochter von Meryl Streep in „Mamma Mia!“ war sie zuletzt oscarnominiert für ihre Darstellung der Schauspielerin Marion Davies, der smarten Geliebten des Zeitungsverlegers William Randolph Hearst in David Finchers schwarz-weißer Citizen-Kane-Hommage „Mank“. In dem neuen Horrorthriller „Things Heard & Seen“ spielt Seyfried nun eine Kunstrestauratorin namens Catharine Clare, die – hier schon mal die Pathologie – unter Magersucht leidet. Als ihr Mann eine Anstellung an einem College in einem Kaff im Hudson Valley bekommt, lässt sie sich überreden, mit ihm und ihrer gemeinsamen Tochter aus Manhattan in die Provinz zu ziehen.

„Things Heard & Seen“: Neues aus dem „Hounted House“-Genre 

Dass diese Entscheidung zu Gunsten des Gatten angesichts des Hinterwäldler-Kleinstadtlebens bald zum Streitpunkt in der Ehe wird, lässt sich von Anfang an erahnen. Zudem mischt sich in die – von Robert Pulcini und Shari Springer Berman inszenierte – Adaption eines Mystery-Thrillers von US-Autorin Elizabeth Brundage ein typischer „Haunted House“-Plot. Denn das alte Farmhaus, in das die Familie einzieht, erweist sich als Tummelplatz für mindestens einen, wenn nicht gleich mehrere Geister.

Ähnlich wie Toni Collette in „Hereditary“ nimmt Catharine per Séance Kontakt mit einer Toten auf. F. Murray Abraham, der Salieri aus Miloš Formans „Amadeus“-Film, spielt einen Institutsleiter des Colleges, der mit einer ganzen Gruppe von Spiritisten regelmäßig Geister beschwört.

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Als Zuschauer sitzt man etwas orientierungslos in dieser seltsamen Mischung aus Ehedrama – James Norton gibt Catharines Gatten eine zunehmend sinistere Note – und Gruselfilm, in dem die Philosophie des schwedischen Mystikers Emanuel Swedenborg den zentralen Hintergrund für das gespenstische Treiben gibt. Der Tod ist für Swedenborg nur ein Durchgangsstadium zu himmlischen oder höllischen Sphären, was nur ein schwacher Trost ist für all jene Frauen, die in diesem Film Opfer von toxischen Männer werden.

Catharine stemmt sich gegen ihr Schicksal. Amanda Seyfried zeichnet sie überzeugend als Frau, die mit ihren Ängsten ringt, sich ihnen aber letztlich stellt. Einmal lässt Catherine einen Ring in einen Abfluss fallen und greift beherzt in den Abgrund – angesichts des Genres keine gute Idee.

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