Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks: Subversive Häppchenkultur

Wie bitte? Christian Thielemann debütiert in München? In der Stadt, in der er fünf Jahre Chef der hiesigen Philharmoniker war, bevor er 2009 von dort, nicht ganz friedlich, seinen Abschied nahm?

Ja. Denn es ist hier nun mal so Sitte, dass die Dirigenten – von Ausnahmen abgesehen – nicht zwischen der Staatsoper, den Philharmonikern und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hin- und her hüpfen. Wenn der 62-jährige nun das erste Mal mit dem Symphonieorchester arbeitet, ist das also durchaus eine große Sache.

Originelles, Corona-konformes Programm

Wäre das nicht eine Ausstrahlung im Bayerischen Fernsehen wert? Immerhin gibt es im Live-Stream aus der Philharmonie auch etwas zu sehen. Thielemann hat dieses Programm gemäß den Corona-Regeln originell gestaltet. Das Orchester erscheint nacheinander nach Gruppen aufgeteilt, quasi wie ein Gericht aus der dekonstruierenden Kochkunst, das in Einzelteilen serviert wird.

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Als Corona noch experimentell wirkte

Die Häppchen offenbaren Thielemanns Hang zur Subversion, muss man doch die Wiener-Philharmoniker-Fanfare von Richard Strauss mit ihren über 20 Blechbläsern kulinarisch als unzeitgemäß mächtig bezeichnen. Mit solcher Prachtentfaltung geht Thielemann jedoch augenzwinkernd um, er dirigiert mit zackiger Ironie, die imposanten Solisten schmettern mit eher lockerem Ansatz: Diese Doppelbödigkeit ist Strauss‘ würdig.

Bläsersonatine Nr. 1 – wie hypnotisiert

Überhaupt hat es Thielemann mit den Bläsern, wobei ihm zugute kommt, dass er unter anderem die vollständige Hörnergruppe aus Bayreuth kennt. Diese und ihre Kollegen folgen in der Bläsersonatine Nr. 1 „Aus der Werkstatt eines Invaliden“ seinem spontanen und feinen Rubato wie hypnotisiert.

Das sinnfällig wechselnde Antreiben und Verbreitern trifft genau den Konversationscharakter dieses Spätwerks von Strauss, die reichen Farben der exquisiten Besetzung schießen kaleidoskopartig zusammen, die Solisten artikulieren sprechend wie Opernfiguren.

Philharmonisch sinnlicher Orchesterklang

Nach diesem Hauptgang präsentiert der Gattungsmischling „Ouvertüre, Scherzo und Finale“ von Robert Schumann ein gehaltvolles Dessert. Mit kleinen, aber zielgenauen Bewegungen zeichnet Thielemann die Delikatesse dieser Musik vor, die Streicher verbreiten mit echtem Pianissimo romantisch ambivalente Stimmungen.

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Nach den sterilen Schumann-Interpretationen mancher Historisierer, die Wärme und Vibrato misstrauen, tut es gut, wieder einmal einem philharmonisch sinnlichen Orchesterklang ausgesetzt zu sein.

Und der BR? Überträgt er das Debüt eines weltbekannten Dirigenten zur besten Sendezeit im Fernsehen, um seinen eigenen, fabelhaften Klangkörper gebührend zu feiern? Nein. Er wiederholt Krimis.

Das Konzert kann man auf www.br-klassik.de anhören und ansehen.

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