Stream aus dem Gasteig: Vom Erscheinen außerweltlicher Gestalten

Die Geige streicht einen tiefen Ton, und zwar den gleichen, der auf dem Violoncello schon einigermaßen hoch liegt. Sie treffen sich also in der Mitte. Solche Passagen, in denen die beiden Solisten quasi ineinander übergehen oder nahtlos aneinander anschließen, gibt es im Doppelkonzert a-moll von Johannes Brahms. Heraus kommt eine Art Super-Instrument.

Der Violinist Leonidas Kavakos und der Cellist Gautier Capucon streben hier nicht etwa eine Verschmelzung an, sodass man gleichsam nicht hören würde, wo der eine aufhört und der andere anfängt. Vielmehr gibt es an diesen Nahtstellen reizvolle Schwingungen, und die scheinen gewollt zu sein. Bei aller Sympathie: Individualisten bleiben die beiden schon noch.

Kavakos und Capucon haben nicht so viel gemeinsam

Ohnehin haben der Grieche und der deutlich jüngere Franzose von ihrer Art her nicht so fürchterlich viel gemeinsam. Kavakos führt den Bogen so druckarm wie sonst keiner seiner Kollegen und liebt es, die Tonüberfläche ein wenig aufzurauen, Anstreichgeräusche einzustreuen. Er hört seiner Stradivari zu, und es scheint, als ob sie, zutraulich geworden, wie von selbst zu sprechen anfangen würde. Im direkten Vergleich dazu spielt Capucon klassischer, dabei durchaus charakteristisch, aber mit mehr glatt poliertem Ton. Im Doppelkonzert bewegen sich beide hörend aufeinander zu: Kavakos kann auch einmal ein bisschen Bogendruck ausüben und ein Legato spielen, das nie loslässt, Capucon seine poetische Innigkeit expressiv nach Außen strahlen lassen.

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Als Begleiter verfolgt Valery Gergiev am Pult der Münchner Philharmoniker keine eigene Agenda, sondern orientiert sich an den Solisten, die mit einer Stimme sprechen, nur eben nicht in derselben Stimmlage. Dass sie zumindest im Video ein paar Mal nicht gut durchkommen, liegt auch an der Instrumentation. Da müsste ein Dirigent nachjustieren und das Orchester konsequenter abdämpfen. So eine Tüftelei ist Gergievs Sache nicht.

Tief Atem geholt und dann losgesungen

Auch in der Symphonie Nr. 3 F-Dur von Brahms sind nicht Details die Hauptsache, sondern wie der Chefdirigent die Philharmoniker mit wenigen unscheinbaren Bewegungen als Ganzes mitnimmt. Die berühmten hell-dunklen Eingangsakkorde wirken wie ein einziges gemeinsames Atemholen, und dann singen alle los, in melancholischen Tempi und im nachgiebigen Rubato.

Ja, das ist alles sehr abgeklärt. Andererseits: Wie viele Dirigenten trauen sich, sich auf das für Brahms so typische Misterioso so mutig einzulassen wie Valery Gergiev? Da erscheinen in der menschenleeren Philharmonie außerweltliche Gestalten.

Das Video kann man noch bis zum 30. Januar auf mphil.de/stream ansehen.

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