Sommertheater Glyptothek: Weg mit der Nervensäge!

München – Man stelle sich einmal vor: Da ist die Demokratie massiv unter populistischem Druck, ein dreißigjähriger Krieg tobt, den man total zu verlieren droht und da gibt es dann auch noch einen, den das höchste Orakel als den „weisesten Mann“ bezeichnet hat.

Aber der fügt sich nicht ein und führt den Orakelspruch darauf zurück, dass er selbst weiß, nichts zu wissen! Arrogante Tiefstapelei!

Und ausgerechnet der geht durch die Straßen und verwickelt besonders die Honoratioren und Influencer in Frage-Antwort-Gesprächsspiele, die sie alt aussehen lassen und noch korrupter und dümmer als sie tun. So einer lebt gefährlich.

Nervensäge Sokrates wird hingerichtet

Und wirklich wundert es einen nicht, wenn die gewählten Richter am Ende beschließen, die Nervensäge Sokrates hinrichten zu lassen.

Vor allem, weil er ihnen gar keine Wahl gelassen hatte, indem er – angeklagt wegen „Verblendung der Jugend und mangelnden Götterglauben“ – keine Strafe für sich forderte, sondern die höchste Ehre, die Athen zu vergeben hat: lebenslange Staatspension in Form von Dauer-Verköstigung.

So endet auch die Gerichts-„Akte Sokrates“ nach fünf kurzen Akten und 90 Minuten Theaterzeit im Innenhof der dreiviertel-sanierten Glyptothek.

Theatralische Zäsur

Nach Jahrzehnten Theatersommer der Truppe um Gunnar Petersen hier, wurde Corona und die Grundsanierung der Glyptothek zur theatralischen Zäsur.

Jetzt spielt hier die Moreth Company, deren Kopf, Konstantin Moreth selbst den Sokrates gibt – im Understatement-Blaumann, wie es sich für einen denkenden Bildhauer gehört.

Brot und Wein im Innenhof der Glyptothek

Brot und Wein gibt es traditionell immer noch an den Tischen des kahl geschorenen Innenhofs, der einmal der schönste intime Ort Münchens war, jetzt aber statt Eschen und Efeu nur schüttere Japanische Schnurbäume und Kletterrosenspaliere hat, was sich jahr(zehnte)elang wird einwachsen müssen.

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„Akte Sokrates“ des Regisseurs Ioan C. Toma ist ein Vielpersonenstück, das Platon-Dialoge um Schönheit und Wahrheit und die Frage, ob es besser sei, Unrecht zu tun oder zu erleiden, sowie

die Verteidigungsrede des angeklagten Sokrates als Textgrundlage hat. Und mit nur drei Schauspielern im Rollenwechsel ist es auf einfacher Bühne klassisch antikisierend konzipiert.

„Akte Sokrates“ – schwierige Balance

Das Stück versucht nun die schwierige Balance aus textlicher Treue sowie einer Zusammenfassung des sokratischen Denkens und noch der Herleitung, wie es zum tödlichen Schierlingsbecher für den 70-jährigen Stardenker kommen konnte, der versuchte, die Menschen vom richtigen Leben im Streben nach dem Dreiklang Wahren, Schönen und Guten zu überzeugen.

Daran aber hat sich die Inszenierung überhoben. Das beginnt beim Text, den man tapfer ernstgenommen in der 200 Jahre alten Übersetzung von Friedrich Schleiermacher spricht.

Rabulistische Argumentations-Zickzack-Schritte

Dieser ist dem Original folgend extrem dicht, die rabulistischen Argumentations-Zickzack-Schritte prasseln auf den Zuschauer ein. Zusammen mit der uns 2.300 Jahre später doch etwas fremden Art der Dialogführung führt das zur völligen Überforderung des Publikums.

Einem Sokrates, der meist vom damals Alltäglichen zum übergeordneten Prinzipiellen springt, muss eine heutige Sprache geben und ihn verlangsamen.

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Und wenn man schon Platon, der ja der Vermittler der sokratischen Ideen ist, weil sein Lehrer selbst nur mündlich agierte und agitierte, auf die Bühne hebt, dann müsste man auch die Chance dieser Figur nutzen: uns die politischen, gesellschaftlichen Umstände Athens um 400 vor Christus erzählen und erklären zu lassen.

Dann käme man auch in die gesellschaftliche Situation, die durchaus mit unserer heutigen viel zu tun hat, geistig wirklich hinein. Im Stück tritt gegen Sokrates anfangs ein barockgepuderter Geck an. Aber warum ist er eine Figur vor der Französischen Revolution?

Und wenn gegen Ende ein großer sophistischer Gegenspieler von Sokrates auftaucht, ist dieser Kallikles dem golfspielenden Gewaltzyniker aus Kubricks „A Clockwork Orange“ oder Michael Hanekes „Funny Games“ anverwandelt.

Moralisch entwurzelter Machtmissbrauch

Das ist als Anspielung auf einen moralisch entwurzelten Machtmissbrauch originell. Aber dass in einer Zwischenepisode zwei bescherpte, beschmisste Corpsbrüder gegenüber Sokrates die Deppen geben, trägt nichts zur Erhellung und – in seiner Klischeehaftigkeit – nicht einmal zum Amüsement bei.

So erzeugen die Akte über Sokrates, die die „Akte Sokrates“ beleuchten wollen, keine Reibung an der Gegenwart. Und der Zuschauer bleibt unerleuchtet in der (noch) kalten Höhle des Innenhofs der Glyptothek, der auf einen heißen Sommer wartet.

Königsplatz, bis 15. Juli, Einlass 19 Uhr, Beginn 20 Uhr, 25 Euro, Brot und Wein an der Bar, Karten und Infos: www.morethcompany.de, 0176 69288938

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