So gefährlich sind rechte Extremisten bei der Bundeswehr und Polizei

München – AZ-Interview mit Dirk Laabs: Der 48-jährige Hamburger ist Autor und Filmemacher mit dem Schwerpunkt Terrorismus. Für seine Dokumentarfilme wurde er mehrfach ausgezeichnet.

AZ: Herr Laabs, Schlagzeilen macht gerade der „NSU 2.0“ durch eine Serie von anonymen Morddrohungen gegen Menschen, die sich öffentlich gegen Rassismus und Antisemitismus engagieren. In der Walter-Lübcke-Schule in Wolfhagen bei Kassel ging gerade sogar eine Bombendrohung mit der Signatur „NSU 2.0“ ein. Wer steckt Ihrer Meinung nach dahinter?
Ich will den sogenannten „NSU 2.0“ gar nicht kleinreden, aber ich rate dazu, nicht wegen jeder Drohung in Hysterie zu verfallen. Wir haben ein klar umrissenes Problem, das sind Extremisten vor allem in der Bundeswehr, aber auch in der Polizei, die Netzwerke aufgebaut haben. Leute, die gar nicht drohen, sondern gleich zuschlagen, sind oftmals gefährlicher.

von Econ

Der Terrorfaktor

Die Verfasser der Drohmails haben aber offensichtlich Zugang zu Polizeirechnern in Frankfurt und Wiesbaden, was durch den Fall der Linken-Politikerin Janine Wissler bekannt wurde, die ebenfalls bedroht wurde…
Das ist der Terrorfaktor. Das drückt aus, ich kriege deine Adresse, ich habe die Polizei auf meiner Seite. Ich weiß den Namen deiner Tochter, ich weiß ihr Alter. Das ist so ein perverser Terror, der den Leuten zurecht Angst macht. Ob da irgendwann tatsächlich Attentate stattfinden, das ist die nächste Frage.

Als wie ausgeprägt würden Sie den Rechtsextremismus innerhalb der deutschen Sicherheitskräfte generell bezeichnen? Gibt es Abstufungen zwischen Polizei, Bundespolizei und Bundeswehr?
Das ist eine Minderheit, das ist sogar eine kleine Minderheit. Nur das Problem ist, die Mehrheit lässt es zu. Das beste Beispiel ist das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, das KSK, eine ganz kleine Einheit, nur 300 kämpfende Soldaten. Da gibt es aktuell mindestens 30 Extremismusverdachtsfälle. Von denen lässt man sich rumschubsen, deckt das, sagt nichts – und riskiert, dass die eigene Einheit abgewickelt wird. Das läuft seit Jahrzehnten bei der Bundeswehr und sickert wie ein Gift in die Institutionen ein.

Die Fehlerkultur ist nicht gut gewachsen

Falsch verstandener Korpsgeist?
Total. Jeder Beamte, ob Soldat oder Polizist, beobachtet ganz genau, was mit Leuten passiert, die Kritik äußern. Wenn der Whistleblower den Ärger kriegt, halten andere eben ihren Mund. Es gibt keine gut gewachsene Fehlerkultur, weder bei der Polizei noch bei der Bundeswehr. Das ist ein Riesenproblem abseits des Rechtsextremismus. Man verrät seine Kollegen nicht, man sagt aus Prinzip nicht gegen sie aus, man regelt das intern. Zum Beispiel München, dort das Polizeipräsidium, was da alles los ist. Drogen, Korruption.

Was schlagen Sie vor?
Die Frage ist, ob man das nicht besser extern regeln sollte. Es sollte jemand professionell von außen kontrollieren, ob an den Vorwürfen etwas dran ist. Dieses Mantra, wir können das alleine regeln, das ist absurd. Das können sie eben nicht. Ich spreche viel mit Polizisten aus dem gehobenen Dienst, mit Führungspersönlichkeiten, die sagen, dass sie so wenig mit den unteren Decks zu tun haben, den unteren Rängen, dass sie gar nicht mitbekommen, wenn die ihre Whatsapp-Gruppen hochziehen. Die Vorgesetzten geben zu, dass sie die Kontrolle verloren haben. Was passieren müsste, ist eine Aufklärung von außen, ohne dass der, der solche Vorkommnisse anprangert, gemobbt wird.

Die betroffene Institution kann von einer Aufklärung profitieren

Wie sehen Sie die Chancen?
Die Beharrungskräfte sind enorm, das sieht man gerade wieder. Jetzt ist Druck sehr hoch und die Reihen werden geschlossen. Es müsste aber erkannt werden, dass man als Institution selber etwas davon hat, bestimmte Vorfälle restlos aufzuklären. Aus Eigeninteresse, nicht wegen des Zwangs. Mittelfristig drohen wahnsinnige Probleme. Das fängt damit an, dass bestimmte Leute nicht mehr zur Polizei gehen. Menschen mit Migrationshintergrund überlegen sich das wahrscheinlich dreimal. Ein bayerischer SPD-Abgeordneter hat zu mir einmal gesagt, dass es auch darum geht, die Guten bei der Polizei zu schützen. Da hat er recht.

Die Bösen kommen aber mit allem durch, oder?
Ja, ich habe den G20-Gipfel in Hamburg erlebt, was da 2017 los war, wie sich bayerische Einheiten benommen haben, mit Tränengas auf Journalisten schießen und so. Wenn das danach nicht aufgeklärt wird, ist das ein Problem. Da denken die Beamten, anscheinend kommen wir mit allem durch. Das ist psychologisch falsch. Dieses Gewaltmonopol ist so wichtig, deshalb muss es in guten Händen liegen.

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Auch Corona spielt eine Rolle

Andere Frage: Haben rechte Netzwerke – innerhalb und außerhalb der Sicherheitskräfte – verstärkten Zulauf, seit die Corona-Pandemie für viel Unsicherheit und teilweise auch Chaos im Land sorgt?
Ja, es gibt ein faszinierendes Phänomen, dass Leute von einer komplett irrationalen Angst erfasst werden. Sie glauben, dass der Staat zusammenbricht, obwohl er in Wahrheit weit davon entfernt ist. Da gibt es Fälle, selbst unter hochrangigen Beamten, die sind eigentlich nur psychologisch zu erklären. Die haben das Gefühl, sie müssen sich selbst und ihre Familien schützen und dafür eigene Strukturen bilden. Ich habe einen Anruf gekriegt von jemand, der hat seinen Job verloren, weil ich ihn in einem meiner Filme erwähnt habe. Das ist jemand, der bei der Luftwaffe Leute ausbildet, höchste Sicherheitsstufe, die man überhaupt haben kann. Der war ganz verdattert und konnte das nicht verstehen. Er hat doch nur in so einem Netzwerk mitgemacht, er wollte sich nur vorbereiten. Er wusste gar nicht, dass die auch darüber nachgedacht haben, linke Feinde umzubringen. Wie kann man denn sein Lebenswerk riskieren für so einen Quatsch. Der hat Familie, ist im Elternverein, eigentlich ein ganz vernünftiger Typ.

Sicher kein Einzelfall, oder?
Nein, ich habe KSK-Soldaten vor Gericht erlebt, die haben wirklich psychische Probleme, mit der Realität klarzukommen. Die hatten zu viel negativen Input. Und obwohl die vielleicht auch Familie haben, legen sie Waffenlager an und wollen langfristig die Regierung stürzen. Ich stand bei einem anderen Ex-Elite-Soldaten vor dem Haus, da war ein Trampolin im Garten und ein Kinderwagen stand vor der Tür. Der bringt seine eigenen Kinder in Gefahr, weil überall im Haus scharfe Munition liegt, der riskiert viele Jahre Knast, so überzeugt ist er von seiner Sache.

Als wie groß würden Sie die Gefahr einschätzen, die von diesen Menschen ausgeht?
Es wurde viel geschrieben von Schattenarmee und von Weimarer Republik. Ich halte das für übertrieben. Das ist keine Armee. Das ist eine klassische Terrorbewegung, die da entsteht. Die Gefahr ist, dass sehr gut ausgebildete Soldaten mit Waffen und mit Sprengstoff einen Anschlag begehen. Wie viele bekannte RAF-Mitglieder gab es? Ich glaube, es waren keine 80. Und wie lange haben die die Republik in Atem gehalten?

Dirk Laabs, „Staatsfeinde in Uniform – Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern“, 445 Seiten, 24 Euro, Econ.

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