Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist einer der Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft. Tanja Kopf, Gleichstellungs-Expertin im Amt der Vorarlberger Landesregierung, im Interview über die Herstellung von Chancengleichheit in Vorarlberg.
Von den rund 12.800 Führungskräften in Vorarlberg sind etwa3000 weiblich. Wie bewerten Sie die Entwicklung in den letzten Jahren? Es zeigtsich, dass Frauen als Führungskräfte ebenso erfolgreich sind wie Männer und esgeht nicht darum, dass Frauen die besseren Männer sind. Wichtig ist, dass sichMaßnahmen zur Verbesserung der Situation und zur Steigerung des Frauenanteilsan Frauen und Männer richten. Frauen und Männer müssen in den Prozesseinbezogen werden, um gemeinsam Lösungsansätze zu finden und die Verantwortungfür das Gelingen beiden Geschlechtern zu übertragen. Doch Veranstaltungen undArbeitsgruppen zu Gender und Diversity werden fast ausschließlich von Frauenbesucht.
Trauen sich Frauen generell weniger zu? – Österreich zähltnach wie vor zu den EU-Ländern mit dem größten Lohnunterschied zwischen Frauenund Männern. Das glaube ich nicht. Da Frauen aber immer noch ganz im Sinne derTradition für die Familien- und Kinderarbeit zuständig sind, kommt es zugrößeren Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie. Das und die Tatsache, dassBerufe mit hohem Frauenanteil immer noch unterbezahlt sind, führt zu diesenLohnunterschieden. Eine Aufwertung von Frauenberufen und eine Verbesserung derVereinbarung von Familie und Beruf sind dringend geboten. Der Lohnunterschiedbei den Gehältern hat in Vorarlberg vor allem auch damit zu tun, dass Männer imDurchschnitt die höchsten Gehälter in Österreich haben und Frauen diegeringsten.
Da Frauen nach wie vor im Durchschnitt deutlich geringereErwerbseinkommen erzielen, liegen auch die durchschnittlichen Alterspensionenunter denen von Männern. Dennoch hat sich in den letzten Jahren einiges getan.Welche Trends zeichnen sich in diesem Bereich ab? Die Erwerbstätigenquote derVorarlberger Frauen ist in den letzten Jahren konstant gestiegen, das istnotwendig, um überhaupt eine eigene Pension zu bekommen, da dasAlterssicherungssystem in Österreich erwerbszentriert ist. Dasgeschlechtsspezifische Verdienstgefälle bei Pensionen liegt in Vorarlberg bei46,4 Prozent. Die Entwicklung zeigt uns, dass Frauen mit einer Eigenpension ausder gesetzlichen Pensionsvorsorge zunehmen. Eine durchgeführte Repräsentativerhebungin Vorarlberg im Jahre 2020 hat allerdings ergeben, dass etwas mehr als dieHälfte der Befragten angibt, dass ihre Pension nicht zum Leben ausreichen wird,und über 20 Prozent der weiblichen Bevölkerung 60+ keine Eigenpension erhalten.Deshalb ist es notwendig, Frauen frühzeitig über die Absicherung im Alter zuinformieren und auf die Möglichkeit des Pensionssplittings, während derKindererziehungszeiten, hinzuweisen.
Stichwort: Netzwerke. Warum sind Kontakte, spezielleLehrgänge und Foren für Frauen wichtig? Wie ist das Angebot in Vorarlberg?Esheißt oft, dass Frauen die Netzwerke fehlen. Männer sind es seit jeher gewohntsich in Netzwerken und Seilschaften zu organisieren. Der Erfolg gibt ihnenrecht. Gerade deshalb ist es auch für Frauen wichtig, sich solche Orte zuorganisieren und aufzusuchen. Nur so wird es gelingen, dass Frauen in allenBereichen der Gesellschaft, wie der Wirtschaft oder der Politik sichtbarer undeinflussreicher werden. Wir veranstalten u. a. seit Covid 19 Webinare mit demTitel „Frauen erheben die Stimme, in Zeiten von Corona“. Die Resonanz daraufist sehr groß, weil der digitale Zugang es Frauen erleichtert, sich für einegewisse Zeit einen Freiraum zu schaffen. Hier geht es ganz klar um Vernetzungund auch um ein Sichtbarmachen von frauenrelevanten Themen. Frauen sind immernoch zu bescheiden. Wir dürfen fordern und müssen uns nicht für allesrechtfertigen. Im Moment entwickelt eine engagierte Gruppe von Frauen eineDatenbank für Expertinnen zu verschiedenen Bereichen, mit dem ZielExpertinnenkompetenz auf unterschiedlichste Weise in Vorarlberg sichtbar zumachen. Das Argument „wir haben keine Frau als Expertin dafür gefunden“ kannund soll es nicht mehr geben.
Fast zwei Drittel der Deutschen lehnen einer aktuellenUmfrage zufolge eine gendergerechte Sprache ab. 65 Prozent der Bevölkerunghalten nichts von einer stärkeren Berücksichtigung unterschiedlicherGeschlechter. In Österreich sehen das die Menschen ähnlich. Ist gendergerechteSprache nicht nur eine kosmetische „Verschönerung“ bzw. ein Versuch, um dietatsächlich vorherrschende „Gap“ oberflächlich zu verkleinern? Sprache schafftRealität. Wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung, die Frauen, in der Sprachenicht vorkommt, dann gibt es sie auch nicht. Gendergerechte Sprache ist daherweit mehr als ein oberflächlicher Versuch den „Gap“ zu verkleinern oder gareine Zumutung. Vielmehr geht es darum alle Menschen einer Gesellschaftgleichermaßen sichtbar zu machen. Und es wird ja auch schon medial verwendetund stetig angepasst. Gendern kann man auch beim Sprechen. So ist etwa dieGenderpause vermehrt zu hören, im ORF verwenden die Sprecher:innen diese Pause.Sprache bewegt nicht nur, sie ist immer in Bewegung. Sie verändert ihrVokabular, ihre Ausdrucksweisen laufend, da gehört das Gendern ganzselbstverständlich dazu. In ihrem Buch „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüüsay,spricht die Autorin davon, dass ihr Buch einer Sehnsucht folgt, dass Menschennicht auf Kategorien reduziert werden sollen, sondern dass die Menschen inihrem Facettenreichtum existieren lässt. Dass eine Mehrheit gegen Gendern ist,beunruhigt mich nicht. Es zeigt für mich nur auf, dass wir uns nichtsvorschreiben lassen wollen, schon gar nicht wenn es um die Geschlechter geht.Alle Personen, also mehr als nur zwei Geschlechter, anzusprechen ist einZeichen des Respekts und ist für mich handlungsleitend.
Wie stehen Sie zu Quotenfrauen? Ist es das richtigeInstrument, um Frauen nach vorne zu bringen? Untersuchungen in Ländern –beispielsweise in Skandinavien – haben gezeigt, dass Quoten ein guter Weg sind,um Gleichstellung voranzutreiben. Oft braucht es sinnvolle Anstöße, um etwasRichtiges zu erreichen. Die Quote ist eine sehr gute Maßnahme dazu. DieGeschlechterquote ist eine Vorgabe, die festlegt, dass Frauen zu einembestimmten Mindestanteil in Gremien wie Vorstand oder Aufsichtsrat vertretensein müssen. Die Unterrepräsentanz von Frauen in Österreichs Wirtschaft zeigt,dass der Frauenanteil von 6,3 Prozent im Vorstand der 20 börsendotierten ATX-Unternehmenim Jahre 2020 liegt. Erst durch die Einführung einer Quote bei der Besetzungvon Aufsichtsrät:innen in Österreich hat die Dynamik ermöglicht, dass sich derAnteil von 22,4 Prozent im Jahre 2018 auf 31,7 Prozent im Jahre 2020 gesteigerthat.
Länder wie Schweden sind im Hinblick auf die Gleichstellungder Frau schon viel weiter. Warum tun wir uns in Österreich so schwer?Österreich ist von seiner Struktur her behäbiger als Länder, in denen Frauenschon seit vielen Jahren in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik oder Kirchegleichberechtigt gesehen werden. Wir sehen das im Unterschied zwischen Land undStadt. Während Kleinkindbetreuung in größeren Städten nicht hinterfragt wird,brauchen Frauen auf dem Land immer noch einen langen Atem, um diese einzufordern.Gleichstellung ist ein Ziel, das sich nur durch viele Einzelschritte erreichenlässt.
Frauen sind von vielfältigen Gewaltformen betroffen. Inwelchem Bereich sehen Sie den größten Handlungsbedarf?Natürlich ist eswichtig, auf aktuelle Gewaltformen, seien das physische – ich erinnere an dieunsägliche Zahl an Frauenmorden allein im heurigen Jahr – und psychische Gewaltwie Mobbing, Verächtlichmachen, Verhöhnen und vieles andere mehr einzugehen undauch mit der nötigen Härte des Gesetzes zu ahnden. Auch Hilfseinrichtungen sindnötig und müssen in ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden. Ganzwichtig in dem Zusammenhang ist aber auch die Erziehung von Kindern. Mädchenund Buben müssen gestärkt werden. Selbstbewusste Menschen haben es nicht nötig,Gewalt auszuüben und können der Gewalt begegnen.
Was würden Sie den Frauen in Vorarlberg gerne noch mit aufden Weg geben? Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell Frauen und Kinderwieder zum Schlusslicht auf der politischen Tagesordnung werden können. BleibenSie dran! Kümmern Sie sich um eine gute Ausbildung für sich und für IhreKinder! Lassen Sie sich nicht beirren und davon abschrecken, wenn man Ihnenweismachen will: Du kannst das nicht! Sie können es! Mit uns Frauen ist zurechnen.
Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel