Manager erinnert sich: Wie Howard Carpendale kein Rocksänger wurde

Es war irgendwann im Frühjahr 1966, als ich Howard Carpendale zu ersten Mal traf. Nach meiner Zeit als Schauspieler, einem Soziologiestudium und einigen Jahren als Sprecher bei Radio Luxemburg war ich schließlich als Produktions-Chef bei der Schallplattenfirma EMI-Electrola in Köln gelandet.

Eines Morgens, ich war gerade in meinem Büro angelangt und trank meinen üblichen Morgenkaffee, kam meine Sekretärin herein und sagte mir: „Beim Empfang steht irgend so ein junger Sänger, der will Sie unbedingt sprechen. Wenn ich richtig gehört habe, kommt er aus Südafrika oder so – und unser Portier sagt, er lässt sich nicht abwimmeln!“

Ich hatte noch eine wichtige Sitzung und war innerlich gar nicht darauf eingestellt, wieder einmal einem „vielversprechenden Nachwuchskünstler“ zu erklären, warum ich nichts für ihn tun könne. Die Welt wimmelt von jungen Möchtegern-Sängern, die von eine Karriere träumen, nur weil sie vielleicht mal bei ihrem Sportclub aufgetreten sind und alle begeistert waren.

„Okay“, stöhnte ich, „dann bringen Sie mir einen zweiten Kaffee und sagen Sie dem hartnäckigen jungen Mann, er soll kommen. Und bringen Sie ihm sofort höflich bei, dass ich nicht allzu viel für ihn Zeit habe. . .“

von Oliver Berg / dpa

Ein paar Minuten später kam ein ziemlich schüchterner junger Mann in einer zerschlissenen Lederjacke in mein Büro und nahm mir gegenüber Platz. Äußerlich sah er nicht gerade wie ein erfolgversprechender Jungstar aus: Er war ziemlich schlampig gekleidet – in der Unterhaltung mit ihm habe ich später dann erfahren, dass er in der Nacht vorher auf einer Parkbank geschlafen hatte – aber als er anfing zu reden, war er mir gleich irgendwie sympathisch.

Er war kein Angeber, der mir zeigen wollte, wie toll er sei. Er erzählte mir ehrlich, dass er mit einer englischen Beatband in Deutschland Schiffbruch erlitten hatte. In seinem Heimatland Südafrika aber habe er schon einmal einen Hit gesungen. Vielleicht könne man sowas doch auch in Deutschland rausbringen.

Dabei zog er aus einer Tasche eine zerkratzte Schallplatte heraus, die wir uns gemeinsam anhörten. Der Song war sicherlich kein Riesenhit – aber irgendetwas hatte der Sänger, was mir gefiel.

Ich überlegte: Es gab da eine schwedische Rockgruppe, die in ihrer Heimat erfolgreich war, und mein schwedischer Kollege hatte mich ein paar Tage vorher gebeten, ob ich für diese Jungs nicht was tun könnte. Die waren musikalisch richtig gut, aber ihnen fehlte ein Leadsänger mit eigener Persönlichkeit. Und diesen Südafrikaner konnte ich mir auf einmal sehr gut zusammen mit dieser Rockband vorstellen.

„Hören Sie zu,“ sagte ich, „ich hab‘ da so eine Idee. Ich werde mit Ihnen und einer Rockgruppe eine Aufnahme machen. Aber ich sage Ihnen jetzt schon: Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Sie dadurch ein Star werden und davon leben können. Die meisten machen eine Platte und verschwinden dann wieder in der Versenkung!“

Carpendales Karrierestart: Schlager statt schwedischer Rockgruppe

Mein Gegenüber nickte. „Außerdem,“ fügte ich hinzu, „bis zur Aufnahme wird es noch zwei oder drei Monate dauern. Wovon wollen Sie da leben? Ich kann Ihnen jetzt höchstens vorab ein Arbeitshonorar von 250 Mark geben!“ „Machen Sie sich darüber keine Gedanken,“ sagte der junge Mann. „Wenn ich weiß, dass es einen Sinn hat, dann bleibe ich in Köln und schlage mich irgendwie durch“. „Okay“, sagte ich. „Dann rufen Sie mich nächste Woche an und wir machen den Vertrag!“

Als der Mann sich dann mit einem fest

en Händedruck von mir verabschiedete, wirkte er auf einmal gar nicht mehr schüchtern, sondern wie jemand, der davon überzeugt war, dass er seine Chance nutzen würde. Als er eine Woche später zur EMI kam, um den versprochenen Vertrag abzuholen, sagte man ihm: „Herr Weidenfeld ist leider nicht mehr bei uns. Aber wenn Sie der südafrikanische Sänger sind: Sein Nachfolger hat Ihre Unterlagen auf seinem Schreibtisch und wartet auf Sie. . .“

Drei Monate später brachte die EMI den ersten Song mit Howard Carpendale auf den Markt – aber nicht zusammen mit einer schwedischen Rockgruppe. Er sang stattdessen einen typischen deutschen Schlager. „Lebenslänglich“ wurde ein ziemlicher Erfolg und der Start zu einer einmaligen Laufbahn.

Mein zweites Treffen mit Carpendale – zehn Jahre später

Ziemlich genau zehn Jahre später – ich war inzwischen als Schallplattenproduzent und Manager in München gelandet – bekam ich einen unerwarteten Anruf: „Hallo, Herr Weidenfeld! Hier ist Howard Carpendale. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern. Ich brauche einen Berater. Können wir uns sehen?“

Ich hatte inzwischen seine Karriere verfolgt: Die ersten erfolgreichen Schlager, dann sein triumphaler Sieg beim „Deutschen Schlagerfestival“ mit dem „Schönen Mädchen von Seite 1“ – auch seinen langsamen Niedergang in den folgenden Jahren, in denen er ziemlich belanglose Songs präsentierte – und schließlich seine künstlerische Wiedergeburt mit Songs, die er selber produziert hatte.

Wir trafen uns einige Tage später in einem Restaurant in Köln. Aus dem schüchternen jungen Mann war ein gestandener Künstler im besten Alter von 30 Jahren geworden – ein Mann, der wusste, was er wollte: „.Ich bin auf einem guten Weg – aber ich möchte weiterkommen!“ sagte er. „Ich bin nicht zufrieden, nur ein erfolgreicher Schlagersänger zu sein. Ich will ins Fernsehen – und: Ich will nicht mehr nur tingeln, sondern richtige Konzerte geben!“

Seine Entschlossenheit beeindruckte mich, aber ich sagte: „Ich möchte mir erst noch einmal einen Auftritt von Ihnen ansehen, bevor ich mich entscheide.“

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„Sie machen auf der Bühne so ziemlich alles falsch“

Dieser Auftritt fand eine Woche später statt – vor rund 400 Zuschauern an Tischen mit Bewirtung. Zum Schluss gab es Standing Ovations. Nach der Show ging ich in Carpendales Garderobe. Er kam strahlend und siegesgewiss auf mich zu: „Na, was sagen Sie jetzt?“ Ich antwortete ihm: „Soll ich höflich oder ehrlich sein?“ Carpendale war etwas verblüfft: „Natürlich ehrlich!“

Da sagte ich ihm: „Sie machen auf der Bühne so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann!“ Einen Augenblick lang schaute er mich fassungslos an, dann aber fuhr ich fort: „Aber Sie haben trotzdem diesen Erfolg! Wie wird es erst werden, wenn Sie auch noch alles richtig machen! Daran sollten wir gemeinsam arbeiten!“

An diesem Abend begann eine Zusammenarbeit, die über 35 Jahre dauerte – in denen ich sein Manager war und in denen wir gemeinsam ein Gold-Album nach dem anderen produzierten, große, erfolgreiche Konzerte veranstalteten. In dieser Zeit reifte Howard Carpendale zu dem Künstler, der er heute ist. Zu einem Denkmal im deutschen Showbusiness.

Irgendwann, 2012, haben wir uns dann getrennt. Vielleicht, weil wir uns auseinandergelebt hatten und unsere Visionen nicht mehr die gleichen waren. Howard war inzwischen 66 Jahre geworden – und er sah seinen weiteren Weg darin, mit neuen, jungen Komponisten zusammenzuarbeiten – und auch gesellschaftspolitische Texte zu singen. Ich hielt beides für einen falschen Weg – und wir trennten uns in aller Freundschaft.

Howard Carpendale und sein Manager – noch immer alte Freunde

Wenn wir uns heute hin und wieder zufällig zum Beispiel bei einer TV-Sendung treffen, spüren wir beide, dass wir immer noch alte Freunde geblieben sind.

Dieter Weidenfeld studierte Soziologie und begann zunächst eine Karriere als Theaterschauspieler und Radiomoderator, bevor er schließlich ins Showbusiness wechselte. Als erfolgreicher Manager und Plattenproduzent betreute er Künstler wie Gilbert Becaud, Adamo, Howard Carpendale, Mathias Reim, Peter Kraus, Rex Gildo und viele andere. Zudem arbeitet er heute als Theaterregisseur und schrieb mehrere Künstlerbiographien. Er lebt seit 50 Jahren in München,

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