"laut.stark.gleich.berechtigt.": Collien Ulmen-Fernandes über die Rolle der Frau

Kinder, Küche, Kirche. In der ersten Folge der dreiteiligen ZDF-Reihe „laut.stark.gleich.berechtigt“ ging Presenterin Collien Ulmen-Fernandes kurzweilig und historisch der Frage „Wie nah oder fern ist uns in der heutigen Zeit das Frauenbild der 1950er?“ nach. Die persönlichen Berichte und Erfahrungen prominenter Interviewpartner wie Marie-Luise Marjan, Rita Süssmuth, Gregor Gysi oder Lore Maria Peschel-Gutzeit ließen die Zeit Revue passieren und wurden von Expertinnen zeit- und kulturgeschichtlich eingeordnet. Fazit: In Sachen Gleichberechtigung wartet noch viel Arbeit.

Eine KritikvonRobert Penz

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Die 1950-Jahre in Deutschland waren geprägt von den Folgen des Zweiten Weltkriegs. Geprägt vom Wiederaufbau. Als die Männer aus der Kriegsgefangenschaft heimkamen, mussten die Frauen, die in deren Abwesenheit ihren Mann gestanden und als Maurerinnen und Dachdeckerinnen gearbeitet hatten, plötzlich wieder zurück an den Herd.

Zeitreise in die 1950er-Jahre

„Mein Name ist Collien Ulmen-Fernandes. Ich bin eine berufstätige Mutter und muss mich nahezu täglich dafür rechtfertigen“, eröffnet die Moderatorin und Schauspielerin den ersten Teil der dreiteiligen ZDF-Reihe „laut.stark.gleich.berechtigt“. Denn sie habe das Gefühl, wir würden immer noch in den 50er-Jahren stecken, führt die 41-Jährige vor ihrer Zeitreise weiter aus. Und die Vermutung der Presenterin geht natürlich keineswegs ins Leere.

Wir blicken zurück: In den 50er-Jahren war der Mann rechtlich der Haushaltsvorstand, die Frau zeichnete für Haushalt und Familie verantwortlich und durfte kein eigenes Konto führen sowie lediglich dann arbeiten, wenn ihr Mann es expressis verbis erlaubte. Wenn sie doch ohnehin heiraten würden, bräuchten sie doch keinen Beruf, bitteschön! „Da auszubrechen, war ganz, ganz schwierig“, kommentiert Historikerin Hedwig Richter die damaligen Verhältnisse, in denen eine verheiratete Frau, die den Kindern keine oberste Priorität einräumte, automatisch als Rabenmutter galt.

Die Tanzschulen als Eheschmieden

„Das war schon so, dass die kleinen Mädchen immer darauf trainiert wurden, sich eine gute Partie zu angeln, um dann versorgt zu sein. Das kam für mich aber wirklich nicht in Frage. Das wollte ich nie“, offenbart Schauspielerin Marie-Luise Marjan (82) über das goldene Jahrzehnt der Ehe. Der Lebensentwurf der Frauenwelt einst: einen passenden Mann finden und eine Familie gründen. Und wer mit 30 noch leidig war, galt sowieso als alte Jungfer oder Mauerblümchen.

Da die strengen Sitten der Zeit das Anbandeln außerhalb dieser Eheschmieden praktisch verunmöglichen, hatten Tanzschulen Hochkonjunktur. „Mutter Beimer“ Marjan kann ein Lied davon singen, bekam sie doch einst vom Vater eine Ohrfeige, nachdem er vom Fenster aus beobachtet hatte, wie sie von einem Schulkameraden heim begleitet wurde.

„Wir gingen lediglich nebeneinander, es gab keine Berührung“, erzählt die damals laut dem Altvorderen überaus Unanständige. Rock ’n‘ Roll und Boogie Woogie, die man heute mit den 50ern assoziiert, befand man in der Kennenlernzentrale „Tanzschule“ wohl eher für ein bisschen dings. „Kind, du musst tanzen können, sonst kriegst du später keinen Mann ab“, bekam sogar noch Ulmen-Fernandes, Jahrgang 1981, von ihrer von den 50er-Jahren geprägten Mutter zu hören.

Kein Mietvertrag ohne Trauschein

Geheiratet wurde in den 50er-Jahren mitunter aus ganz pragmatischen Gründen. Ohne Trauschein bekamen Paare damals nämlich gar keinen Mietvertrag. Verlieben und dann gleich zusammenziehen? „Ausgeschlossen. Und zwar aus Gründen, die sich aus dem Strafgesetzbuch ergaben. Eltern, die das zuließen, machten sich der Kuppelei schuldig. Und wer nicht im Kittchen landen wollte, musste dies den Kinder natürlich verbieten“, erklärt Juristin und Politikern Lore Maria Peschel-Gutzeit.

Lediglich 21 Prozent der verheirateten Frauen waren damals erwerbstätig. Da Berufung und Schicksal, das für sie die Küche bereit hielt, praktisch vorgegeben waren, wurde der Erwerbstätigkeit mit dem Trauschein abgeschworen. „Die ganze Gesellschaft wurde nach den Frauen definiert. Man sprach von der ‚Hausfrauenfamilie‘, in der Frauen damals stark zurückgezogen im häuslichen Bereich lebten“, weiß Historikerin Hedwig Richter. Nach den schweren Nachkriegsjahren seien viele von ihnen darüber aber durchaus froh gewesen, ergänzt sie.

Patriarchale Familienstruktur

Das, was man Tag für Tag sieht und dauerpräsent ist, wird rasch zum Ideal. Vor diesem Hintergrund hinterfragten die Frauen der 50-Jahre in der Regel auch nicht groß, was ihnen da angeboten und präsentiert wurde. „Eine Frau darf nur arbeiten gehen, solange sie Haushalt und Familie nicht vernachlässigt“, stand sogar im sogenannten Gleichberechtigungsgesetz von 1957.

These einer Expertin: „Ich würde behaupten, dass die Tatsache, dass die Männer zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit als Verlierer aus einem Weltkrieg zurückkamen, eine gewisse Rolle dabei spielte, dass dann in Deutschland die patriarchale Familienstruktur starkgemacht wurde“, so die Historikerin Heike Specht.

Wie es um die Gleichberechtigung in Sachen Haushalt heute bestellt ist, will Ulmen-Fernandes auf der Straße von Passantinnen wissen. „Seit mein Mann in Rente ist, ist es aufgeteilt“, hebt sich eine Dame ab. Durch die restlichen Haushalte bläst noch immer der Wind der 50er-Jahre. Dass Frauen stets schmunzelnd von dieser Ungleichheit erzählen, verrät auch einiges.

Alleinverdiener-Haushalt steuerlich begünstigt

Bis zur Schulpflicht wurden im Westdeutschland der 50er-Kinder zuhause von den Müttern betreut. Der gesellschaftliche Druck? Groß! Arbeit und Nachwuchs – Kindergärten gab es kaum – würden sich schlicht nicht vereinbaren lassen, so die Meinung damals. Dass Ehepaare, bei denen nur der Mann verdiente, steuerlich begünstigt wurden, war einem Ausbruch aus verkrusteten Strukturen nicht sonderlich zuträglich.

„Das ist eine Karotte, die angesichts unserer Scheidungsquote, angesichts der Reform des Unterhaltsrechts, welche ja ganz klar besagt, dass Frauen drei Jahre nach einer Trennung auf beiden Füßen zu stehen haben, an der falschen Seite hängt“, so der Befund von Soziologin Jutta Allmendinger. Laut ihr hatte das mit einer „Familienpolitik aus einem Guss“ nichts zu tun.

Anders als heute nahm sich vor rund 70 Jahren kaum ein Vater nach einer Geburt eine Auszeit vom Job. „Heute haben wir viele Männer, die das Familiäre entdeckt haben. Entdeckt haben, was Kinder an Gewinn bringen“, freut sich die Bundestagspräsidentin a. D. Rita Süssmuth, die häufig junge Väter mit ihren Kindern sieht. Aber auch heute nehmen sich lediglich vier von zehn Vätern eine Elternzeit – die meisten davon nur zwei Monate, während die Frauen ein ganzes Jahr bleiben.

DDR punkto Frauen fortschrittlicher

Nach wie vor reduziert das Gros der Mütter dauerhaft seine Erwerbstätigkeit und geht in Teilzeit, während die Männer wenig Abstriche machen. Die Pandemie hat obendrein freigelegt, wie traditionell noch immer gedacht wird. Allmendinger: „Das Dramatische ist, dass gerade die jungen Väter, die liberalere Geschlechter angenommen hatten, wieder zurückgerutscht sind.“ Sie seien mitunter wieder der Ansicht, dass es den Kindern bei den Müttern besser gehen würde. Dass das Rollenbild in Westdeutschland ein traditionelleres als im Osten ist, ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, historisch aber gut erklärbar.

Schon in den 50er-Jahren verdienten die Frauen in der DDR ihr eigenes Geld. Frauen und Männer waren dort mehr auf Augenhöhe. „Dass der Ehemann laut Bürgerlichem Gesetzbuch so eine Art Hausmann war, wurde damals gleich gestrichen und gekippt“, berichtet Jurist und Politiker Gregor Gysi. Frauen durften in der DDR auch ihr eigenes Konto eröffnen. „Von einer Gleichstellung konnte aber auch dort keine Rede sein“, relativiert Gysi.

Kaminsky: Das war das „Problem der Frauen“

Auch im Osten waren Haushalt und Kinder damals reine Frauensache, doch viele Frauen waren dennoch in Vollzeit erwerbstätig, da das Land auf Arbeitskräfte angewiesen war. Maßnahmen sollten den Frauen die Vereinbarkeit von Job und Familie ermöglichen, etwa der berühmte Haushaltstag, der ihnen einmal im Monat zustand, sowie Arbeitszeiterleichterungen für Mütter von mehreren Kindern, Mütterkuren et cetera.

„Was man an all den Regeln und Maßnahmen aber sieht, ist, dass es als ein Problem der Frauen angesehen wurde“, so Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Als Frau zuhause bleiben, um Haushalt zu führen und Kind zu betreuen, war schwierig, da die Männer hierfür zu wenig Geld verdienten. Auch hier war der gesellschaftliche Druck, schnell wieder in den Job zurückzukehren, groß.

Frauen zu hysterisch

Zum Glück gab es damals aber auch im Westen Frauen, die sich für eine Gleichstellung einsetzten, darunter etwa Marie-Elisabeth Lüders oder Deutschlands erste Bundesministerin Elisabeth Schwarzhaupt, die zwar auf massiven Widerstand stießen, aber dafür sorgten, dass allmählich etwas häufiger der Wunsch nach Gleichberechtigung und Emanzipation aufkam. Aber die Bretter, die gebohrt werden mussten, waren dick, arbeiteten Frauen doch damals primär als Kindergärtnerinnen, Fabriksarbeiterinnen und Sekretärinnen.

Diese Berufe einten die kurze Ausbildung und die geringen Aufstiegschancen. Die Message damals: Führungspositionen sind Frauen nicht gewachsen. Dafür seien sie schlicht viel zu schnell überfordert und viel zu hysterisch, wie auch Werbung, Film und Fernsehen gern transportierten.

Dabei sei es doch so einfach, sich nur auf die Familie zu konzentrieren und für den Herrn Gemahl schönzumachen. Denn an schlanke Figuren und perfekte Haare – also an die Optik der Frauen – wurde damals natürlich sehr wohl ein hoher Anspruch gestellt. Die Werbung inszenierte die Frauen als das schöne Geschlecht. Je schöner die Frau, umso leichter auch die Chance auf einen Ehemann.

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Neue Medien, alte Klischees

„Es wurde hemmungslos bewertet. Frauen, die schlau waren und nicht in erster Linie auf Frisuren, Nägel und Busen fixiert waren, wurden abgewertet und als hässlich bezeichnet“, erzählt die 1949 geborene Schauspielerin Maren Kroymann (73). Laut Autorin und Körperstylistin Melodie Michelberger, die sich selbst mit erst sieben Jahren von ihrer Mutter anhören musste, dass sie einen bestimmten Rock nicht tragen könne, weil ihr Hintern dafür zu dick sei, zeigt sich dieses klassische traditionelle Frauenbild auch in den heutigen sozialen Medien wieder vermehrt.

Am Ende einer kurzweiligen ersten Folge von „laut.stark.gleich.berechtigt“ will Ulmen-Fernandes noch wissen, wie sich gewisse Rollenbilder entwickeln, weshalb sie eine Kita besucht, die sich Inklusion und Vielfalt auf die Fahnen geschrieben hat, und versucht, die Kleinen dort nicht mit einseitigen Klischees, wie man sie gerade in Kinderbüchern häufig findet, aufwachsen zu lassen. „Wenn ich groß bin, kann ich alles werden“, lautet dort etwa der Titel eines im Regal stehenden Buchs, in dem auch eine Astronautin zu sehen ist, die gekonnt eine Rakete fliegt.

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Bagger oder Puppe?

Gemeinsam mit der Wissenschaftsjournalistin und Biologin Jasmina Neudecker testet Ulmen-Fernandes in der Kita anhand von Berufsbildern, ob die Kinder bereits Vorstellungen von „männlich“ und „weiblich“ im Kopf haben. Erstaunlich viele Kids antworten „auf Fragen wie „Wer fliegt ein Flugzeug?“ oder „Wer macht sauber?“ umgehend mit „Männer und Frauen“. Heißt: Reine Frauen- und Männerberufe gibt es für die Kleinen kaum.

Studien aber verraten, dass die meisten Kleinkinder bereits geschlechtskonform denken. Eine Erziehung ohne Stereotypen wie in dieser Kita zeigt zwar Wirkung, ist im Alltag aber nicht einfach umzusetzen, da „die Einflüsse von überall her gigantisch sind“, erklärt Neudecker, die die Spieleindustrie sowie Märchen und Filme als schlechte Beispiele nennt. „Das Bild wie hier in der Kita findet sich nicht so oft“, ergänzt sie noch. Fazit: Rollenbilder manifestieren sich bereits erstaunlich früh. Und ob man einem Mädchen zu Weihnachten einen Bagger oder eine Puppe schenkt, ist wohl nicht so ganz egal.

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