Kultur im Lockdown: Drei Opfer der Symbolpolitik

München – „Nach einem Jahr mehr oder minder Lockdown stehen wir vor einer kulturellen Klimakatastrophe“, sagt Nikolaus Bachler: „Wenn wir da nicht bald Änderungen bekommen, werden da Wüsteneien und Ödnisse entstehen, von denen wir uns jahrelang nicht erholen werden.“

Der Intendant der Bayerischen Staatsoper meldete sich am Freitag mit seinen Kollegen Andreas Beck (Bayerisches Staatsschauspiel) und Josef E. Köpplinger (Staatstheater am Gärtnerplatz) zu Wort. Gemeinsam forderten sie eine Öffnungsperspektive für ihre Bühnen. Hintergrund ist die fortgesetzte Schließung der Theater bis vorerst 31. März, die ebenfalls gestern vom Kunstministerium mitgeteilt wurde.

Andreas Beck: „Wir sind ein Opfer der Symbolpolitik“

Die drei Theaterleiter beklagen die mangelnde Dialogbereitschaft der Politik. Sie sei auf den Tag X ausgerichtet: „Mit Zauberhand ist das Virus weg, und wir stürmen dann wieder die kulturellen Institutionen“, sagte Andreas Beck. Diesen Tag werde es aber nicht geben. „Ich glaube, dass die Politik sich von der Lebensrealität der Menschen entfernt hat.“ Es sei höchste Zeit, hier wieder eine Verhältnismäßigkeit herzustellen, so Beck. „Wir sind ein Opfer der Symbolpolitik, die wir aus Solidarität mitgetragen haben. Nun aber müssen wir lernen, mit dem Virus zu leben.“

Josef E. Köpplinger verwies auf die guten Hygienekonzepte. Die Häuser hätten sehr viel getan, die Konzepte funktionierten und der Besuch sei sicher. Zudem seien Kulturangebote für die seelische Gesundheit wichtig. Psychischer Druck könne krank machen, Kunst und Kultur seien für viele Menschen ein wichtiges Ventil, das die gegenwärtige Krise leichter bewältigt werden könne.

Auch Schnelltests vor dem Besuch der Vorstellungen in Kürze denkbar

Bachler, Beck und Köpplinger unterstrichen die Bedeutung des Theaters als Ort der gesellschaftlichen Selbstreflexion. Sie verwiesen auf die an ihren Häusern seit einem Jahr erarbeiteten Hygienekonzepte für einen risikolosen Vorstellungsbesuch. Diese Studien wurden von Ärzten und Wissenschaftlern erarbeitet und von staatlichen Einrichtungen durchgeführt. Sie wurden von den gleichen Politikern in Auftrag gegeben, die ihre Ergebnisse seit Monaten ignorieren.

„Theater sind keine Ansteckungsherde“, betonte Andreas Beck. Der Besuch einer Vorstellung bedeute keine Gefährdung des Publikums. Die Intendanten verlangen von der Staatsregierung ein Ende ihrer Blockadehaltung und mehr „Dialog, Diskussion und Miteinander“. Bachler, Beck und Köpplinger schlagen vor, die Theater bei aller gebotener Vorsicht ähnlich wie im Frühsommer für eine beschränkte Zahl von Besuchern zu öffnen. Dies könne als ermutigende Perspektive auf andere gesellschaftliche Bereiche ausstrahlen. Auch Schnelltests vor dem Besuch der Vorstellungen seien in Kürze denkbar.

Livestreams: Bachler fürchtet schleichende Entwöhnung des Publikums

Andreas Beck unterstrich den künstlerischen Schaden, der durch die fehlenden Aufführungen entstehe. Ein Ensemble müsse – wie ein Orchester – zusammen vor Publikum auftreten. „Wir retten derzeit zwar das Leben alter Menschen, schneiden dafür aber den Lebensfaden junger Künstler ab, wenn wir sie nicht spielen lassen“, fügte Nikolaus Bachler hinzu.

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Daran, dass das Publikum kommen würde, besteht laut den Intendanten kein Zweifel. Josef E. Köpplinger verwies auf die guten Erfahrungen aus dem vergangenen Sommer und Herbst. Außerdem gebe es klare Signale aus den Kartenbüros. Nikolaus Bachler betonte, es gelinge zwar, das Publikum durch die Livestreams zu halten. Der scheidende Intendant der Staatsoper fürchtet aber eine schleichende Entwöhnung des Publikums durch nicht stattfindende Vorstellungen.

Offener Brief aus der Berliner Szene

Vom Klagewillen der unter anderem von freiberuflichen Gesangs-Solisten der Staatsoper wie Christian Gerhaher, Kevin Conners und Wolfgang Ablinger-Sperrhacke getragenen Initiative „Aufstehen für die Kunst“ distanzierten sich die drei Intendanten vorsichtig. Der Rechtsweg stünde Einzelpersonen offen, nicht aber staatlichen Institutionen, betonte Josef E. Köpplinger.

Gleichzeitig mit der Wortmeldung der drei Münchner Intendanten wurde ein Offener Brief der Berliner Generalmusikdirektoren und Chefdirigenten an die Bundeskanzlerin und den Regierenden Bürgermeister veröffentlicht. Die Dirigenten – darunter Daniel Barenboim, Kirill Petrenko und Vladimir Jurowski – verlangen im Vorfeld der Ministerpräsidentenkonferenz am 3. März, der Kultur bei Öffnungsszenarien jenen Platz einzuräumen, „den die Studienlage zum Infektionsgeschehen für Zuschauer in Theatern und Konzerthäusern legitimiert und den das Grundrecht auf Kunstfreiheit dringend erforderlich macht“.

Petrenko warnt vor dauerhaften Schwächung des kulturellen Lebens

Der Offene Brief erinnert an den am diesem Montag veröffentlichten „Leitfaden für die Rückkehr von Kultur und Sport“. Er kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie das Pilotprojekt der Bayerischen Staatsregierung und hält ebenfalls vorsichtige Öffnungen der Spielstätten für das Publikum vertretbar. Wie die drei Münchner Intendanten betonen auch die Berliner Dirigenten die Bedeutung der „sozialen Rezeption von Kunst“ für die kulturelle Bildung und das gesellschaftliche Leben.

„Schon jetzt haben viele Künstlerinnen und Künstler ihre Existenzgrundlage eingebüßt“, sagte Kirill Petrenko in Berlin. „Je länger der aktuelle Zustand anhält, desto mehr ist eine dauerhafte Schwächung unseres kulturellen Lebens zu befürchten.“

Appell an Politik verhallte ungehört

Derartige Appelle gibt es nunmehr seit fast einem Jahr. Im Frühsommer und Herbst gab es einen eingeschränkten Spielbetrieb mit maximal 500 Besuchern im Nationaltheater. Die Premiere von Walter Braunfels Oper „Die Vögel“ am 31. Oktober war die letzte Vorstellung vor 50 Besuchern.

Der Appell an die Politik auch bei einem Inzidenzwert von 100 oder mehr weiterspielen zu dürfen, verhallte ungehört. Die Situation ist jetzt allerdings eine andere: Auch wenn schleppend geimpft wird, sind bald die gefährdetsten Risikogruppen geschützt.

In Kürze werden Schnelltests im Supermarkt verfügbar sein. Verbote und starre Obergrenzen sind keine angemessene Antwort auf verantwortungsvolle Vorschläge für eine Öffnung. Denn der Mensch lebt nicht nur vom Baumarkt allein.

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