Georg Schramm im Interview: ‚Dieter, was soll ich machen?‘

Anlässlich des 65-jährigen Bestehens der Lach- und Schießgesellschaft hat Georg Schramm am vergangenen Wochenende im Park von Schloss Suresnes in der Katholischen Akademie aus dem Werk des 2013 verstorbenen Dieter Hildebrandt gelesen.

Ein Gespräch über das Verhältnis der beiden wohl wirkmächtigsten Kabarettisten des Landes.

AZ: Herr Schramm, bei der Dieter-Hildebrandt-Matinee am vergangenen Sonntag haben Sie am Ende die Zuschauer per Tonband noch mal seine Stimme hören lassen – ein Gänsehaut-Moment.
GEORG SCHRAMM: Ging mir genauso.

Wie kam es zur Idee der Hildebrandt-Veranstaltungen?
Die ursprüngliche Idee war, dass der Schauspieler Walter Sittler, der Hildebrandt-Texte für eine Hörbuch-CD schon mal eingelesen hatte, noch mal aus diesen Texten liest. Aber dann hieß es: „Eigentlich muss das doch ein Kabarettist machen und kein Schauspieler.“ Mit dieser Frage kam Till Hofmann auf mich zu, und ich habe natürlich zugesagt. Ich mochte Dieters Texte, sehr viele davon, fand ihn stilistisch und sprachlich immer so sauber. Also habe ich gesagt ‚Das mache ich‘, Dieters Witwe Renate fand das auch eine gute Idee.

Musikalische Unterstützung von den Well-Brüdern

Und das Ganze musikalisch unterstützt von den Well-Brüdern.
Wie Till Hofmann nun mal so ist, kam er und meinte: ,Übrigens, wir wollten das eigentlich mit dem Polt und den Well-Brüdern machen, aber der Polt kann nicht. Kannst du nicht einspringen?‘ ‚Ich als Gerhard Polt? So weit kommt’s noch!‘, hab‘ ich gesagt. Aber dann gedacht: ‚Mensch, einmal den Gerhard Polt vertreten: Das wär‘ doch noch mal was!‘ Natürlich kann man den gar nicht vertreten, aber die Wells haben gesagt: Das probieren wir! Dann komme ich einen Tag früher zum Besprechen, habe ich gesagt, und es hieß: ‚Da ist eh 65 Jahre Lach- und Schieß.‘ Ich meinte: ‚Das wollte ich mir eh anschauen.‘ Meint der Till: ‚Nee, da spielst du gleich mit! Mach‘ doch die Moderation!‘ Nein, das musste er dann schon selber machen. Macht er ja gut. Wenn der Till Hofmann mal als Veranstalter scheitert, kann er als Moderator gehen, noch dazu mit diesem himmelblauen Anzug.

Dieter Hildebrandt hat jahrzehntelang geschrieben und gespielt. Wie und was wählt man da aus?
Die Texte stammen alle aus seinem Buch „Was bleibt mir übrig“. Es gibt wunderschöne Texte vom Lach- und Schieß-Ensemble, aber ich kann keine Texte mit schnell wechselnden Stimmen sprechen – Jochen Malmsheimer könnte das. Was auch immer schief geht: Dialekte nachmachen. Kann ich nicht. Also nahm ich Solo-Nummern vom Dieter, um nichts zu verhunzen. Und solche Texte, bei denen ich einen aktuellen Anlass dranhängen kann.

Da gab es wahrscheinlich recht viele.
Bedauerlicherweise ist seine Hartnäckigkeit, mit denen er den alten und den neuen Nazis auf der Spur war, erschütternd aktuell.

Wann sind Sie erstmals mit dem Kosmos Dieter Hildebrandt in Kontakt gekommen?
Ich bin politisch sozialisiert durch Hildebrandt und die Lach- und Schieß, mit 13, 14 oder 15. Ich fand die allein deswegen so toll, weil mich meine Mutter vorher immer zum Einkaufen geschickt hat: eine Tüte Salzstangen. Weil wir dann alle zusammen Lach- und Schieß geschaut haben. Wobei die Sendung bei uns gar nicht so hieß, sondern nur Hildebrandt: ‚Morgen ist wieder Hildebrandt.‘ Damit war alles gesagt. Und an Silvester „Schimpf vor zwölf“: wieder alle vorm Fernseher. Da durfte ich sogar die Ananas-Bowle machen. Mir ging bei diesen Sendungen so das Herz auf! Meine Mutter war alte Sozialdemokratin, mein Vater echter, also eingetragener Sozialdemokrat, hatte aber von nix eine Ahnung. Aber mit meiner Mutter und meinem Bruder konnte immer darüber diskutieren. Das hat mich sehr beeindruckt.

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Ihre erste Kabarett-Vorstellung, die Sie live erlebt haben?
„Die Schmiere“ in Frankfurt, Rudolf Rolfs: legendär schlechtes Kabarett. Da war ich mit meiner ersten Freundin, mit 16. Ein sexualkritisches Programm namens „Sie sind ein Ferkel, Exzellenz“. Als ich das dem Dieter mal erzählte, hat der Tränen gelacht und gesagt: „Den Rolfs hab‘ ich verflucht – weil der mich immer verflucht hat.“ Er fand den Dieter immer zu sozialdemokratisch und der Dieter den Rolfs zu radikal. Und an der Kasse saß Reno Nonsens, der legendär schlecht gelaunte Kellner vom „Blauen Bock“. Der war eigentlich Kabarettist. Dieter kannte sie alle.

Wann haben Sie ihn persönlich kennengelernt?
Er hat sich ein Programm von mir angeschaut, „Mephistos Faust“ im Lustspielhaus. Blöderweise wusste ich das vorher und war eingeschüchtert bis zum Anschlag. Hinterher saßen wir zusammen und er meinte: „Ich muss dir ehrlich sagen: Ich habe fast eine halbe Stunde lang nicht gewusst, wo du damit hin willst.“ Da war ich glücklich. Josef Hader erzählte mal, Hildebrandt habe sich seinen „Bunten Abend“ angeschaut, diese Parodie auf unfassbar schlechtes Entertainment, und hinterher zu ihm gesagt: „Danach kannst du eigentlich nix mehr machen.“ Womit er falsch gelegen hat.

Das Verhältnis zwischen Schramm und Hildebrandt 

Ansonsten lag er ziemlich oft sehr richtig. Wie würden Sie Ihr Verhältnis beschreiben?
Als er nicht mehr „Scheibenwischer“ gemacht hat und ich in der „Anstalt“ war, gab es zwei Momente, wo ich ihn fragte: „Dieter, was soll ich machen?“ Bestimmte Themen brauchte ich mit der Redaktion nicht zu diskutieren, aber bei Dieter war ich mir vollkommen sicher: Wenn der mir einen Rat gibt, wendet der sich nicht gegen mich. Während des „Scheibenwischers“ habe ich das sowieso immer gemacht. Zu seiner letzten Sendung habe ich ihm eine Nummer geschickt, und er meinte: „Wirf es weg! Das dreht sich ja alles um mich. Schau, Werner Schneyders Nummer ist im Grunde ein Nachruf auf mich, ein Lied und ein Dialog, eine halbe Stunde lang. Mach nix‘ über mich. Hau einfach noch mal richtig drauf zum Abschied – aber nicht über mich.“

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Gab es Themen, von denen er Ihnen abgeraten hat?
Ich stand mal vor der Frage, ob man über die Mohamed-Karikaturen und den Tsunami Witzen machen kann. Jeder sagte mir: „Das ist kein Kabarett-Thema. Du kannst doch nur ins Fettnäpfchen treten.“ Aber ich kann doch nicht ein Thema, das alle Leute beschäftigt, einfach auslassen! Dieter meinte: „Dann gib dir Mühe beim Schreiben! Und wenn du ins Fettnäpfchen trittst, dann tritt richtig rein! Das muss dann sein. Aussparen geht nicht.“ Im „Scheibenwischer“ sagte er mal: „Mach’s, und wenn’s schief geht, fange ich es am Schluss auf.“ Er war toll. Und er hat komplett fertige Sendungen weggeworfen, wenn ein wichtiges Thema aufkam, auch wenn das weniger lustig war. Die Botschaft musste unters Volk. Er war wirklich mutig.

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