Blick auf die Ursprünge: Die Geschichte des Nazivergleichs

Eine Woche nach der Erstürmung des Kapitols in Washington durch Anhänger des gerade abgetretenen US-Präsidenten Donald Trump hat sich Arnold „Arnie“ Schwarzenegger in einem Video zu Wort gemeldet – der republikanische Ex-Gouverneur Kaliforniens, Ex-Bodybuilder und Ex-Filmstar.

In eine Art schwarzen Kampfanzug gekleidet, in den Händen das Schwert aus seinem Action-Klassiker „Conan der Barbar“, rechnete der Ex-Österreicher mit Trump ab und verglich die Vorfälle im Kapitol mit der „Reichkristallnacht“ vulgo Pogromnacht im Jahre 1938, als im Deutschen Reich Hunderte Synagogen und jüdische Geschäfte zerstört und Tausende von Juden gedemütigt, misshandelt und getötet wurden.

Nazivergleiche als rhetorische Massenvernichtungswaffe

Dass die historische Parallele, die der in die Jahre gekommene „Terminator“ zog, wie die meisten Nazivergleiche, mächtig daneben lag und jedes Maß vermissen ließ, tut wenig zur Sache. Denn die Botschaft kam an und wurde von Medien in aller Welt verbreitet. Der Kolumnist einer überregionalen deutschen Tageszeitung fühlte sich sogar zu dem Kommentar ermutigt, dies sei der erste Nazivergleich gewesen, bei dem er „nicht zusammengezuckt“ sei.

Dazu hätte der Journalist jedoch auch in diesem Fall jeden Grund gehabt. Die Ineinssetzung von Personen, aktuellen Ereignissen, Entwicklungen und Haltungen mit solchen aus der Nazizeit, insbesondere mit Hitler, Goebbels und Freisler, Judenstern, Holocaust, der Pogromnacht, dem „Stürmer“ oder dem „totalen Krieg“, ist eine rhetorische Massenvernichtungswaffe, eine komparatistische Streubombe, die zuverlässig trifft und dabei erhebliche Kollateralschäden anrichtet. Sie garantiert, dass jede Diskussion, ob im Bundestag, im Netz oder bei Maybrit Illner, in wüste Schreierei ausufert und jede Differenzierung auf der Strecke bleibt.

Nazivergleich begann im Zuge der Studentenrevolten

Im engeren Sinne gibt es Nazivergleiche erst seit Kriegsende, als die braunen Verbrechen für alle offenkundig wurden. Doch durchs Netz geistert ein früher Vorläufer in Gestalt des sowjetische Parteitheoretikers Grigori Sinowjew. Er prägte 1924 die These vom Sozialfaschismus, wonach die Reform bereite Sozialdemokratie als „linker Flügel des Faschismus“ anzusehen und entsprechend zu bekämpfen sei. Diesen Schlag unter die rote Gürtellinie parierte der SPD-Politiker Kurt Schumacher in der Weimarer Republik mit der Behauptung, die Kommunisten seien „in Wirklichkeit nur rot lackierte Doppelausgaben der Nationalsozialisten“.

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Die hohe Zeit des populären Nazivergleichs, wie wir ihn heute kennen, begann in den späten sechziger Jahren im Zuge der Studentenrevolten. Als Mutter aller NS-Parallelen darf der Slogan „Unter den Talaren: Muff von tausend Jahren“ gelten, der von rebellischen Studenten in Hörsälen und auf der Straße skandiert wurde. Alles, was nicht ins Weltbild der selbst ernannten Großstadtguerilla passte, war nun „faschistoid“ oder zumindest „prä-“ respektive „protofaschistisch“. Während des Vietnamkrieges begann sich der Nazivergleich bereits zu internationalisieren: „USA SA SS“ lautete ein beliebter Slogan friedensbewegter Demonstranten.

Totschlagarsenal der politischen Auseinandersetzung

Das Niveau der Nazivergleiche war damals noch vergleichsweise hoch und ihr Gebrauch nicht nur auf Krawall und Effekt, sondern zuweilen noch auf Erkenntnisgewinn ausgerichtet. Doch in den folgenden Jahren, in denen die eigentlichen Adressaten, die „alten Nazis“ von der Bühne abtraten, entwickelten sie sich zur rhetorischen Universalwaffe und etablierten sich, so der Politologe Norbert Seitz, im „probaten Totschlagarsenal der politischen Auseinandersetzung“, wobei auch die eher unpolitische Sphäre privater Gartenliebhaberei betroffen war. Im Sommer 2002 fühlte sich der Liedermacher Reinhard Mey in seinem Haus auf Sylt so sehr in seinem Ruhebedürfnis beeinträchtigt, dass er sich in einem offenen Brief an die Gemeinde über „Gartennazis“ beschwerte.

Am einfachsten und beliebtesten sind die direkten Vergleiche mit dem größten Unhold aller Zeiten: „Saddam ist Hitler“ (George W. Bush), „Osama bin Laden“ ist Hitler (derselbe), „Merkel ist Hitler“ (Hugo Chavez, ehemaliger venezolanischer Staatspräsident), „Chavez ist Hitler“ (Donald Rumsfeld, ehemaliger US-Verteidigungsminister), etwas subtiler (Ist Trump wie Hitler?“ (Zeit-Online). Aber auch indirekte Vergleiche sind zuverlässige Aufreger und münden nicht selten in Rücktrittsforderungen, wie Helmut Kohls 1986 gefallene Äußerung: „Gorbatschow ist ein moderner Kommunistenführer. Er versteht etwas von Public Relations. Goebbels verstand auch etwas von Public Relations.“ Vier Jahre zuvor hatte Oskar Lafontaine seinem Parteifeind Helmut Schmidt attackiert, als er sich über dessen Hang zu preußischen Tugenden mokierte: „Das sind Sekundärtugenden. Ganz präzis gesagt: Damit kann man auch ein KZ betreiben.“

Nazivergleiche auch innerhalb der Kirche

Im Herbst 2002 rüttelte die seinerzeitige SPD-Bundesjustizministerin „Schwertgosch“ Herta Däubler-Gmelin an der deutsch-amerikanischen Freundschaft, indem sie George W. Buch vorwarf, mit dem Irakkrieg von innenpolitischen Problemen ablenken zu wollen. Das „kenne man seit Adolf Nazi“. Da half dann auch das reflexhafte „zurückrudern“ nichts. Ihre Demission war unausweichlich. Kohl hatte Rücktrittsforderungen nach seinem Goebbels-Vergleich wie gewohnt ausgesessen.

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Auch in der kirchlichen Sphäre sind Nazivergleiche ein probates Mittel rhetorischer Zuspitzung. Legendär das Diktum des ehemaligen Kölner Kardinals Joachim Meißner, der eine neuartige Abtreibungspille mit Zyklon B verglich. Sogenannte Lebensschützer sprechen gerne auch mal von „Babycaust“, einer schauerlichen Wortschöpfung, während die Bombardierung Dresdens von rechten Gruppierungen zum „Bomben-Holocaust“ umgemünzt wird. Himmelschreiender Unsinn ist das allemal. Doch ob solche Vergleiche, wie besorgte Wissenschaftler meinen, dazu beitragen, die „Einzigartigkeit“ der Naziverbrechen in Frage zu stellen, sie zu verharmlosen, ist bislang nur eine These.

Zuverlässig öffentliche Erregung hervorrufen

Auch wenn Nazivergleiche zuverlässig die öffentliche Erregung triggern und ihren Urheber den Weg auf die Titelseiten ebnen, justiziabel sind sie per se nicht. Das musste der Grünen-Politiker Volker Beck erfahren, der einmal als „Obergauleiter der SA-Horden“ beschimpft wurde. Ein Kölner Gericht hielt das für verbotene Schmähkritk, doch befand das Bundesverfassungsgericht auf die Beschwerde eines Politikers der rechtslastigen Partei „Pro NRW“, dass auch überzogene oder ausfällige Kritik unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehe – und wies den Fall zur Neuverhandlung zurück. Das gilt zumindest solange, wie solche Vergleiche nicht verboten sind wie in Israel, wo die unangemessene Verwendung der Bezeichnung „Nazi“ oder von Nazi-Symbolen unter Strafe steht.

Mit Pegida und der AfD brach eine neue Welle von Nazi- und Faschismusvergleichen über Deutschland herein, die noch nicht abgeebbt ist. Die Angegriffenen wehren sich, indem sie ihrerseits angebliche DDR-Parallelen aufzeigen: „Merkel ist wie Honecker“ (Alexander Gauland). Die Corona-Pandemie hat zu einem weiteren Anschwellen dieser Welle geführt, wobei der Vergleich des Infektionsschutzgesetzes mit dem NS-Ermächtigungsgesetz genauso fragwürdig ist wie das Gesetz selbst. Und wenn Maskenkritiker mit Judenstern herumlaufen, ist das nur peinlich, ähnlich peinlich wie die Gleichsetzung von sogenannten „Klimaleugnern“ mit jenen verpeilten Zeitgenossen, die den Holocaust abstreiten. Si tacuisses!

Hoch-Zeit der Nazivergleiche geht zu Ende

Doch spätestens seit dem Sturm aufs Kapitol gibt es Hoffnung, dass die Hoch-Zeit der Nazivergleiche zu Ende geht und die Untoten der längsten zwölf Jahre der deutschen Geschichte endlich den ihnen angemessenen Rang an öffentlicher Aufmerksamkeit erhalten. Der Historiker Gavriel David Rosenfeld beschrieb, wie nach dem Krieg die Hitler-Bezüge entstanden seien. Hitlers Verbrechen seien so unbeschreiblich gewesen, dass man keinen Vergleich mehr für ihn fand und er selbst zum „Archetyp des Bösen“ stilisiert wurde.

Mit Donald Trump gibt es nun einen neuen „Dämon“. Vielleicht erleben wir in den nächsten Monaten und Jahren eine Welle von Trump-Vergleichen. Arnie jedenfalls hat schon mal den Aufschlag gemacht.

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