"Tatort: Schoggiläbe" ist hanebüchene Krimikatastrophe – mit einer Stärke

Im neuen Zürcher „Tatort“ untersucht das Team um Tessa Ott den Fall eines erschlagenen Schokoladenfabrikanten. Die Ermittlerinnen stoßen auf ein Familiendrama. Aber das Drama zwischen den Kommissarinnen ist viel spannender. Tessa bringt ihre Kollegin dabei in Lebensgefahr und hadert mit ihrer steinreichen Mutter.

„Mein Urgroßvater hat seinen Partner mit der Axt erschlagen.“ Solche Details über die Familiengeschichte einer Kommissarin bekommt man im „Tatort“ nicht oft zu hören. Hier geht es um Tessa Ott, eine der beiden Ermittlerinnen des neuen Zürcher Duos. Die Profilerin aus gutem Hause erzählt das ihrer Chefin, der Staatsanwältin Anita Wegenast, im Büro.

Wegenast hat sie eingestellt, wohl auf die Bitte von Otts einflussreicher Mutter, der Tessa eigentlich entfliehen will. Ob Wegenast denn schon als Bundesrichterin nominiert sei, will Ott wissen, das sei doch der Deal mit ihrer Mutter gewesen? „Aber passen Sie auf“, plaudert Tessa munter weiter, während sie Wegenast ein Glas Wasser einschenkt, „die Otts haben immer nur ihren eigenen Vorteil im Sinn, deshalb sind wir so reich.“

Smalltalk à la Tessa Ott (Carol Schuler) – und eine dieser Dialogszenen, mit denen sich Ott, Wegenast (Rachel Braunschweig) und Isabelle Grandjean, ihre Partnerin mit dem hinreißenden Akzent, ganz schnell einen Platz ganz oben auf der Liste der spannendsten „Tatort“-Teams gesichert haben. „Schoggiläbe“ ist ihr zweiter Fall – leider kann er die hohen Erwartungen, zu denen der Auftakt „Züri brännt“ im Oktober 2020 führte, nicht erfüllen.

„Chevalier muss durch die Familie weiterleben, um jeden Preis“

Der Titel bezieht sich auf den toten Hans-Konrad Chevalier, der als Chef und Erbe der Schokoladendynastie Chevalier nach außen hin vielleicht ein „Schokoleben“ führte, aber in Wahrheit unter seiner unterdrückten Homosexualität und despotischen Mutter litt und bereits mehrere Selbstmordversuche hinter sich hatte. Nun liegt er erschlagen auf dem Teppich seines Wohnzimmers. Die Chevaliers und die Otts sind Nachbarn, was den Fall für Tessa zu einem besonders schweren macht.

„Es ist auch eine Erleichterung“, sagt Hans-Konrads vornehme Mutter Mathilde zu den Kommissarinnen. Und macht es sich sowohl im Chefsessel der Firma als auch in Hans-Konrads Villa wieder bequem. Sibylle Brunner gibt eine imposant verknitterte und verbissene alte Patriarchin, die den Gegenangriff auf ihre Falten und ihr schwaches Herz mit einem Übermaß an Seidenblusen, Seidentüchern, riesigen Broschen und hohen Kragen führt, und ganz selbstverständlich wieder die Führung übernimmt. „Chevalier muss durch die Familie weiterleben, um jeden Preis“, erklärt sie ihrer Enkelin. Claire (Elisa Plüss) leitete bisher mit ihrem Vater das Unternehmen und scheint ebenfalls erstaunlich gelassen über die Familientragödie hinwegzukommen.

Sie reagiert mit ihren eigenen Methoden auf die feindliche Übernahme durch Großmama. Es sind eindeutig die Frauen, die bei den Chevaliers die Zügel in der Hand halten.

Ein „Tatort“ auf Daily-Soap-Niveau

Es geht also um Erbschaftsstreitigkeiten in einem Familienunternehmen. Um die junge gegen die alte Generation. Das Ganze im Schokoladenbusiness. Was soll da schon schiefgehen, könnte man meinen. Aber es geht so ziemlich alles schief. Lustlos hineingeworfene Verdächtige, ziemlich unnötige Nebenfiguren und Plot-Twists, die eher in eine Daily Soap gehören als in einen „Tatort“, machen „Schoggiläbe“ zu einer hanebüchenen Krimikatastrophe, die mit einer Prise Sozialkritik von den Schwierigkeiten erzählen will, die die eigene Familie bereiten kann: Davon, welche Risiken man für die Familie eingeht. Wie krank die Erwartungen durch sie machen können. Welche Kraft Blutsbande haben, egal, wie sehr man sich dagegen wehrt.

Dabei hat das Durchdeklinieren von Familienstrukturen im Grunde nur ein Interesse: Von Grandjean und Ott zu erzählen. Die eine hadert mit ihrer Zukunft, die andere mit ihrer Vergangenheit: Isabelle Grandjean, die ihren Sohn vermisst und weg aus Zürich will, gerät durch Ott in große Gefahr. Was wie die Bestätigung ihrer Vorbehalte gegen die Neue scheint, entpuppt sich auch als Chance einer Annäherung.

Tessa Ott muss sich (ähnlich wie ihre Jugendfreundin Claire Chevalier) mit einem Milieu, einer Mutter und einer Vergangenheit herumschlagen, von der sie sich so fern wie möglich halten will. Und doch zugeben, wie nützlich gute Beziehungen sein können.

„Tatort“ aus Zürich: Ein Beziehungsdrama der Ermittlerinnen

„Wurzeln geben Halt, ob man will oder nicht“, sagt Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) einmal zu Tessa Ott. Aber diese murmelt nur wie ein störrisches Kind: „Ich hab‘ mich umgetopft.“ Der Zürcher „Tatort“ erzählt auch von der Entwicklung einer aufmüpfigen Tochter, die lange nicht so erwachsen ist, wie sie glaubt. Der Krimiplot wirkt wie eine Ausrede, die Beziehung der erfahrenen Grandjean und der jungen Ott auszuloten. Eine Beziehung, die zwischen Mutter/Tochter und Freundschaft oszilliert und die so spannend ist wie Tessas Biografie.

Und so wird die Stärke des Zürcher „Tatort“ in „Schoggiläbe“ zu seinem Nachteil. Die Drehbücher stammen von Stefan Brunner und Lorenz Langenegger, die Regie von Viviane Andereggen. Das Dreiergespann, das für die ersten beiden Zürcher Fälle verantwortlich ist, die zudem hintereinander weggedreht wurden, hat mit Grandjean und Ott zwei komplexe Hauptfiguren erschaffen, die allein schon genug Erzählstoff für zwei Neunzigminüter abgeben. Wenn sich ihre Story im „Tatort“-Universum auch als Krimi behaupten soll, muss der Krimiplot dieser Dominanz etwas entgegenhalten können. „Züri brännt“ ist das gelungen. „Schoggiläbe“ überzeugt nur als Beziehungsdrama der Ermittlerinnen.

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