Berlin (dpa) – Vor 30 Jahren (10.9.1991) feierte die amerikanische Serie „Das Geheimnis von Twin Peaks“ ihre deutsche TV-Premiere bei RTL. Das kann als Beginn eines neuen Unterhaltungszeitalters im Fernsehen gelten, auch in der Bundesrepublik.
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Spätestens seit „Twin Peaks“ sind sogenannte Qualitätsserien aus dem Medienzirkus und Diskurs nicht mehr wegzudenken. Mit Qualitäts-, Edel- oder auch High-end-Serie sind aufwendige Produktionen gemeint, die sich durch Komplexität, eine episodenübergreifende, horizontale Erzählweise und hohe Schauspielkunst statt Soap-Darstellerei auszeichnen.
Schon im Vorspann irritierend
Unterhaltung
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Inzwischen gibt es bei Edel-Serien einen internationalen Trend, der in Deutschland bislang kaum angekommen ist. Doch dazu später.
Bei „Twin Peaks“ irritierte manchen schon der Vorspann, kam er doch ohne das Kaleidoskop der in die Kamera guckenden Köpfe aus wie es bei „Dallas“, „Falcon Crest“ oder „Schwarzwaldklinik“ Brauch war und bis heute bei Serien wie „In aller Freundschaft“ funktioniert. Gegen Serien im Soap-Zuschnitt, die ihr Personal schon im Vorspann vorstellen und meist Klischeefiguren für berechenbares Entertainment einsetzen, stellte „Twin Peaks“-Macher David Lynch im Vorspann ein Vögelchen im Wald zu düsteren langsamen Klängen.
Es entwickelte sich daraus ein neues popkulturelles Phänomen; das Autorenkino hielt Einzug ins Fernsehen. Doppelbödige Handlungen, komplizierte Charaktere, Abhängigkeiten, Abgründe, Geheimnisse, Verästelungen oder auch Übersinnliches suchten die Zuschauer zu Hause heim – und beendeten die gemütlichen alten Sofa-Sehgewohnheiten.
Es war der Beginn einer neuen Ära, der angesichts der weltpolitischen Wende auch in der Unterhaltungsbranche in der Luft lag.
Untergang von Ideologien und Feindbildern
„Der Fall der Berliner Mauer hat die Welt auch so manch simpler Botschaft beraubt. Bröckelnde Ideologien und untergehende Feindbilder verlangten nach differenzierteren Antworten“, analysierte die Feuilletonistin Claudia Schwartz schon vor Jahren in der „Neuen Zürcher Zeitung“. „Die großen amerikanischen Straßenfeger „Dallas“ und „Denver“ mit ihrer schlichten Auslegung, wonach Geld die Welt regiert, endeten nicht zufällig in jenen Jahren.“
Anspruchsvolle Serien gelten seit den 90ern als das angesagte Erzählformat der Gegenwart. Man denke an „Ally McBeal“, „Sex and the City“, „24“, „Six Feet Under – Gestorben wird immer“, „Breaking Bad“, „House of Cards“. Führend sind nach wie vor Produktionen aus den USA, inzwischen wird aber in vielen Ländern in komplexe Serien investiert. In Europa haben vor allem Großbritannien („The Crown“, „It’s a sin“) und Skandinavien („Die Brücke“, „Borgen“) einen guten Ruf.
Längst gibt es dank Netflix-Serien wie „Dark“, „How to Sell Drugs Online (Fast)“, „Barbaren“ oder „Unorthodox“ auch deutsche Weltstars, die jedoch von Millionen ZDF-Krimi- oder „Tatort“-Guckenden weitgehend ignoriert werden.
Oft auch Vorreiter
Das Klischee, Deutschland sei beim Fernsehen hinten dran, stimmt dennoch kaum. Deutschlands öffentlich-rechtliche Sender waren sogar mal Vorreiter. Man denke etwa an Rainer Werner Fassbinders Alfred-Döblin-Verfilmung „Berlin Alexanderplatz“ 1980. Die 14 Episoden sorgten vor 40 Jahren mit ihrer artifiziellen Ästhetik für Aufsehen. Es folgten Serien wie „Heimat“ von Edgar Reitz über das Schicksal einer Dorffamilie oder austarierte Münchner Milieustudien in den 80ern wie „Monaco Franze – Der ewige Stenz“ und „Kir Royal“.
In jüngeren Jahren kamen Produktionen wie „Im Angesicht des Verbrechens“, „Weissensee“ oder „Deutschland 83“ mit den Fortsetzungen „Deutschland 86“ und „Deutschland 89“ nah dran an internationalen Standard – und auch deutsches Pay-TV spielt hier gut mit, zum Beispiel mit „4 Blocks“ (TNT) oder „Das Boot“ (Sky).
Besonders gut funktionieren in Deutschland aber immer noch Mehrteiler, die weniger das klassische Seriengenre bedienen. Man denke an die ZDF-„Event-Familienserie“ „Ku’damm 56“, „Ku’damm 59“ und „Ku’damm 63“. Sie sticht mit starken Frauenfiguren hervor.
Allerdings verharren viele Produktionen in Mitteleuropa noch in klassischen Genres wie Krimi, Thriller oder eben Historienserie. Oder sie kombinieren gleich beides wie „Babylon Berlin“.
Divesität immer häufiger der Motor
Eine Entwicklung aus den USA scheint währenddessen hierzulande recht langsam anzukommen, wie Timo Gößler erklärt. Der 43-Jährige ist in Potsdam Dozent für Dramaturgie und Serielles Erzählen an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und hat soeben mit Katrin Merkel das Buch „Der German Room – Der US-Writers‘ Room in der deutschen Serienentwicklung“ geschrieben.
„Seit ein paar Jahren ist Diversität in all ihren Facetten bei angloamerikanischen Serien der Motor für innovative, neue Erzählansätze“, sagt Gößler. So erzähle etwa die Serie „Hollywood“ des Showrunners Ryan Murphy („Ratched“, „Glee“, „Pose“, „The Politician“) als utopische Historienserie von einer Traumfabrik, in der in den 50er Jahren schon schwarze Schauspieler (PoC) Hauptdarsteller-Oscars gewannen und Frauen Studiobosse waren.
Bei der britischen Serie „Sex Education“ (dritte Staffel ab 17. September bei Netflix) habe Laurie Nunn, so Gößler, die Highschool-Serie neu erfunden – als eine Feier von Vielfalt, Diversität und Aufklärung statt dummer Witze und Geschlechterklischees. Und die Serie „Das Damengambit“ von Scott Frank und Alan Scott setze eine Frau, die Schach spielt, als Großmeisterin ins Zentrum einer Coming-of-Age-Erzählung, bei der das klischeehafte „die erste Liebe finden“ nur am Rande vorkomme.
Gößler sieht einen Trend zu Serien als „Empowerment“. Damit sind Inhalte gemeint, die nicht runterziehen, sondern eher positives Denken und auch Selbstbestimmung etwa von Gruppen stärken.
Sein Fazit nach drei Dekaden Edel-Serien: „Es gibt die starke Tendenz, nach Jahrzehnten gebrochener, amoralischer Figuren und menschlicher Abgründe, neuerdings eher Utopien und Lebensfreude in den Fokus zu nehmen. Das schafft nicht nur eine Vielzahl neuer Narrative, sondern positive „Möglichkeitsräume“ fürs Publikum.“
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