Ein Mörder ist auf freiem Fuß. Sein früherer Therapeut könnte helfen – aber er ist an Altersdemenz erkrankt. Mit der Hilfe eines Neuropsychologen versuchen die Münchner Kommissare, seinen Erinnerungen in einem ungewöhnlichen Experiment auf die Sprünge zu helfen. „Tatort: Flash“ verbindet Polizeiarbeit und Gedächtnisforschung zu einem nicht ganz überzeugenden, aber berührenden Krimi.
Wie befragt man einen Demenzkranken? Was, wenn ein berühmter Therapeut bei der Suche eines Mörders helfen könnte – er inzwischen aber ein alter Mann ist, der kaum den Weg aus der Badewanne findet? Das ist das Gedankenspiel, das der Münchner „Tatort“ mit „Flash“ betreibt.
„Tatort: Flash“: Die Story
Die Polizei sucht Alois Meininger (Martin Leutgeb), der über 30 Jahre in Sicherheitsverwahrung saß. Direkt nach seiner Entlassung wird ein Mord nach demselben Muster begangen wie der, für den er eingesperrt wurde. Sein Therapeut von damals, dessen Aussagen zu Meiningers Festnahme führten, könnte wissen, wo Meininger sich jetzt versteckt hält. Aber der einstige Fachmann Norbert Prinz (Peter Franke) wird inzwischen von einer erschöpften Tochter (Jenny Schily) betreut, die froh sein kann, wenn er sie wiedererkennt und die Suppe, die sie ihm kocht, anstandslos isst.
Also wenden sich die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) an Professor Vonderheiden (André Jung). In seinem Institut erforscht der Neuropsychologe Altersdemenz, indem er Betroffene mittels Requisiten quasi auf Zeitreise schickt. Die Kommissare nutzen den Ansatz zu einer kriminologischen Versuchsanordnung: Um dem Gedächtnis des Therapeuten auf die Sprünge zu helfen, wird Norbert Prinz‘ Praxis für die Befragung originalgetreu nachgebaut. Hier ist er kein verwirrter alter Mann, der sich gefälligst an früher erinnern soll. Er ist eine Koryphäe, deren Fachkenntnis gefragt ist.
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„Flash“ ist um wissenschaftlichen Anspruch bemüht
Eine Spurensuche in einem auch für die erfahrensten Kommissare besonders unheimlichem, undurchdringlichen Labyrinth beginnt: dem menschlichen Gehirn. Aber „Flash“ ist kein Hollywood-Blockbuster. Dann säße Norbert Prinz an seinem früheren Schreibtisch und würde vielleicht ein Foto betrachten. Ganz langsam würden seine Gesichtszüge erwachen: Plötzlich ist er ganz der Alte! Dramatische Streicherklänge ertönen! Er erinnert sich an das Versteck des Mörders!
Doch „Flash“ ist ein „Tatort“, und das Drehbuch von Sönke Lars Neuwöhner und Sven S. Poser („Wolfsland“) ist sichtlich darum bemüht, das Thema sorgfältig und wissenschaftlich so korrekt wie möglich anzugehen. Das Erste bietet parallel zur Ausstrahlung sogar eine Dokumentation über die so genannte Reminiszenztherapie an („Tatort Gehirn: Wie funktioniert Erinnern und Vergessen?“, ab Sonntag, 20:15 Uhr in der Mediathek, am 25. Juni um 19:00 Uhr auch im BR Fernsehen).
Der realistische Anspruch bei diesem Thema, die Weigerung, eine für alle Beteiligten so nervenzerrüttende Krankheit emotional nicht auszubeuten und glattzubügeln, ist dem Krimi hoch anzurechnen. Das führt aber auch dazu, dass der Fall umständliche Wendungen nimmt.
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Ein bisschen zu gewollt
Zu Beginn erzählt Regisseur Andreas Kleinert („Tatort: Wo ist Mike?“) atmosphärisch dicht und reizvoll eine Geschichte, in der auch beim Zuschauer eine Art Verwirrung einsetzt – ein Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt, auch wenn alles Sinn zu machen scheint. Die Realität ist seltsam, man versucht sich argwöhnisch zurechtzufinden.
Aber je näher die Auflösung des Falles rückt, desto gewollter wirkt die Idee, eine Mordermittlung mit Methoden der Gehirnforschung zu verbinden. Desto stärker wird der Eindruck, dass dieser Fall sich auch ohne Reminiszenztherapie und Synapsenschnellkurs ganz gut hätte lösen lassen – so spannend die Trivia zum Thema Demenzforschung auch sind, so weitgehend unangestrengt werden die Vergleiche zwischen Polizei- und Gedächtnisarbeit auch gezogen.
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Peter Franke war überragend
Allerdings hätten wir dann wohl auch auf die Schauspielkunst von Peter Franke als Norbert Prinz verzichten müssen. Peter Franke schafft es, bei den Zuschauern ähnliche Gefühle hervorzurufen wie Norbert Prinz das bei seiner Tochter tut – ähnliche Gefühle, wie Angehörige von Demenzkranken sie beschreiben: Liebe, Mitleid, Entsetzen und Ärger vermischen sich beim Eindruck dieses Menschen, der mit Teilen seines Gedächtnisses auch den Halt in der Gegenwart verloren hat.
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Und dessen Gehirn darauf reagiert wie ein Notfallsystem, das unterschiedliche Rettungsmethoden ausprobiert: Mal ist Norbert Prinz ein reizender alter Mann, im nächsten Moment ein störrisches Kind, mal ein verschmitzter Bengel, dann wieder ein grausamer Bösewicht. Diese Figur allein schon macht „Flash“ zu einem berührenden Krimi über ein spannendes Thema.
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