Eine KritikvonRobert Penz Diese Kritik stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.
Jenke von Wilmsdorff wollte es wieder einmal wissen. Das Crashtest-Dummy unter den JournalistInnen widmete sich in der Sendung „Jenke. Experiment Psyche: Wie depressiv ist Deutschland?“ der Volkskrankheit Depression. Nicht ohne Grund: So gaben etwa drei von vier Deutschen im zweiten Lockdown an, die Situation als bedrückend zu finden. Den Krieg in der Ukraine gab es da noch nicht einmal.
„Jede vierte Frau und jeder achte Mann erlebt im Laufe des Lebens eine depressive Phase“, weiß wiederum Psychologe Leon Windscheid, der Von Wilmsdorffs neues Projekt begleitete, um beim Finden von Antworten auf Fragen wie „Wann kippt die mentale Gesundheit?“, „Wie erkennt man die Warnzeichen der Seele?“ oder „Ab wann wird allein sein zur Einsamkeit?“ zu sekundieren.
Jenke von Wilmsdorff sperrt sich weg Oft gesagt und geschrieben, noch immer evident: psychische Probleme gelten als Tabuthema. „Ich will das ändern und werde meine Psyche unter Druck setzen“, kündigte ProSieben-Allzweckwaffe Von Wilmsdorff an. Das Setting seines Experiments: Sozial isoliert, eingesperrt in einem 30 Quadratmeter großen und kameraüberwachten Raum, die einzigen Nachrichten, die er lesen darf, sind negativ und beängstigend, und auf den Tisch kommt zum Alkohol vorrangig Fast Food – und all das natürlich auf unbestimmte Zeit.
Was der Journalist in Erfahrung bringen will: Wie schnell schlagen sich diese Rahmenbedingungen auf die Psyche? Wie lange hält man diese Situation aus? Dazu interessant: Laut Studien erhöht sich das Sterberisiko sozial isolierter Menschen übrigens um 30 Prozent. „Fies an dem, was du vorhast, ist ja, dass du nicht weißt, wie lange es dauert“, meinte der Psychologe zum Journalisten.
Kritik: „Blanker Hohn für alle Betroffenen“ „Hey, ich sperre mich ein bisschen ein, dann werde ich depressiv und dann komme ich wieder raus. Nein, einfach nein. Dass das Thema enttabuisiert wird, ist ja gut. Aber die Durchführung dieses Experiments ist blanker Hohn für alle wirklich Betroffenen“, kritisierte da bereits jemand auf Twitter. „Seid doch mal froh, dass jemand das Thema öffentlich anspricht!“, hält eine vormals Depressive dagegen.
Zum Deal vorweg: Sowohl Von Wilmsdorff als auch seine Redaktion konnten das Experiment im Fall des Falles zu jeder Zeit abbrechen. Bei einer stabilen Person könne eine vorübergehende Isolation aber keine Depression auslösen, ließ Psychologe Windscheid die Zuseher wissen. Jenke von Wilmsdorff machte sich indes zunächst gut in der Einsamkeit. Eine rote Linie? „Nicht erkennbar“, so seine Worte am zweiten Tag.
Hassbotschaften für Jenke von Wilmsdorff Für eine Depression gebe es nie nur eine Ursache, erklärte Windscheid. Und diese Ursachen seien immer sehr individuell. Was den einen belaste, könne ein andere Person mitunter sogar als positiv empfinden. Hatte sich Von Wilmsdorff im Vorfeld auf seine Zeit alleine gefreut, war es zuerst die Langeweile, die ihm zu schaffen machte, was ihn auf die Idee brachte, mit Alkohol dagegen anzutreten, und dazu veranlasste, mit Gegenständen zu sprechen oder sich im Freestyle-Rap zu versuchen.
„Es gibt nicht für alles eine psychologische Erklärung“, kommentierte Windscheid mit einem Zwinkern das das Geschehen in der Isolation, die für den Journalisten jedoch zunehmend ungemütlicher wurde. Ablenkungen wie Social Media und Streaming strich die Reaktion nun, die ihr prominentes Versuchskaninchen zudem jetzt lediglich noch mit schlechten News versorgte und an Hassbotschaften aus dem Netz knabbern ließ. Gefüttert wurde es auch weiterhin nur mit Süßem, Kalorienreichem und Verarbeitetem – also mit Lebensmitteln, die im Verdacht stehen, fette Depressionstreiber zu sein.
Am fünften und sechsten Tag der Abgeschiedenheit kam dann das große Grübeln. „Das Gedankenkarussell nimmt immer mehr Fahrgäste auf. Wie eine Horde wilder Affen hüpfen die Gedanken durch meinen Kopf und sind einfach nicht zu bremsen“, so Jenke von Wilmsdorff in dieser Phase. Den Kontakt zu Menschen, die ihm nahestehen, vermisste er da besonders, während er sich mit Yoga abzulenken versuchte. Das mit dem Schlafen wollte auch nicht mehr klappen.
Die Kindheit im Rückspiegel Durch Isolation und dieses Gefühl der Einsamkeit fühle er sich, wie er sagte, in den Stubenarrest zurückversetzt, den er als acht- oder neunjähriger Junge erleben musste. Seine Eltern ließen sich scheiden, als Jenke von Wilmsdorff drei Jahre alt war. Danach sei er oft traurig und einsam und vor allem stets auf der Flucht vor den eigenen Gefühlen gewesen. „Mein Vater war von einem auf den anderen Tag weg und hat sich Jahre nicht mehr bei uns gemeldet“, offenbarte Von Wilmsdorff, der sich mit seinem Erzeuger dann sporadisch in einem Café traf. „Da gab‘s ein Stück Kuchen, eine Cola zu trinken und dann saß ich da und wusste nicht mal, wie ich ihn ansprechen sollte. Ein ‚Vater‘, oder ‚Papi‘ kam mir nie über die Lippen – ich habe es vermieden, ihn anzusprechen“, plauderte der Journalist nun aus dem Nähkästchen.
Redaktion bricht Experiment ab Irgendwann habe es diesem „entsetzlich traurigen und zurückgezogenen Kind“ gereicht, so Von Wilmsdorff weiter. Seine damals neue Strategie: „Genau das zu machen, wovor ich Angst habe, womit ich immer besser umgehen und leben konnte.“ Auch im Experiment folgte eine Zäsur: Am achten Tag der Isolation – nach einer weiteren „richtig beschissenen“ Nacht – entschied die Redaktion, ganz im Sinne des Probanden übrigens, es abzubrechen. „Das Denken wurde so anstrengend und so viel und resultierte in einem echten Synapsenkrieg in meinem Kopf. Und was für mich das Schlimmste war: Ich konnte mit niemandem darüber reden“, so Von Wilmsdorff nach dem vorzeitigen Schlusspfiff, den er auch ein bisschen rechtfertigen wollte: „Mein Ziel war niemals, mich psychisch ernsthaft zu gefährden oder das Thema Depression zu vereinfachen.“
Die richtige Ernährung bringt‘s Danach widmete sich Jenke von Wilmsdorff noch dem Themen Yoga und richtiger Ernährung, die beide, was zahlreiche Studien natürlich belegen, auch der emotionalen Gesundheit zuträglich sind. Mit dem Ernährungsmediziner Matthias Riedls sprach der Journalist etwa über seine Blutwerte direkt nach dem Experiment. Riedl nahm dabei Rekurs auf L-Carnitin, eine körpereigene Substanz, die bei der Fettverwertung und Muskelversorgung eine essenzielle Rolle spielt. „Zu Beginn des Versuchs war dein L-Carnitin-Wert sehr hoch. Danach ist er so in den Keller gegangen, dass du dir durch das Junkfood quasi eine Neigung zur Depression angefuttert hast“, so der Mediziner zu Von Wilmsdorff.
Von wegen „Die spinnen, die Finnen“ Am Ende seines Experiments ging Jenke von Wilmsdorff noch dem Phänomen Finnland nach. Das Land schaffte es innerhalb von ein paar Jahrzehnten vom Land mit den meisten Depressiven und höchsten Selbstmordraten zum glücklichsten Land der Welt. Schon zum fünften Mal in Folge nahm Finnland im „World Happiness Report“ die absolute Spitzenposition ein. Der Bericht nutzt die Daten einer weltweiten Umfrage und zeigt auf, wie die Menschen in weltweit mehr als 150 Ländern ihr eigenes Leben bewerten. „Die Frauen haben in Finnland sehr viel zu sagen, ihre Position ist gleichgestellt“, lässt der Schweizer Peter Dörig, der sich vor Jahren in Finnland niedergelassen hat, eine Vermutung durchblicken. Zwölf von 19 der politischen Köpfe im Amt sind in Finnland zudem Frauen. Weiters ist im Land der tausend Seen die Kriminalitätsrate niedrig und die soziale Gerechtigkeit sehr hoch. Und natürlich gibt es dort ja auch noch die Sauna. „Wenn Schnaps, Teer und Sauna nicht helfen, dann ist die Krankheit tödlich“, lautet ein finnisches Sprichwort.
Genügsames Finnland Von Tarja Halonen, der ehemaligen Präsidentin Finnlands, wollte Von Wilmsdorff eine Erklärung, wie ihr Land eine solche Entwicklung habe hinlegen können. „Diejenigen, die sagen, wir seien das glücklichste Volk, haben weniger das Glücklichsein, sondern das Unglücklichsein untersucht. Wir sind die am wenigsten Unglücklichen. Die Schweden und die Dänen etwa sind viel fröhlicher. Da gibt es ja auch dieses Sprichwort: Schwedische Beerdigungen sind fast wie finnische Hochzeiten“, relativierte Halonen. Ihre Landsleute sind offenbar einfach genügsamer. Und das ist schon mal was.
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