Als smarter Gangster Omar Little revolutionierte Michael K. Williams die Serienwelt. Die Figur des schwarzen, schwulen Outlaws im HBO-Hit „The Wire“ machte ihn berühmt – und zerstörte sein Leben.
Es gibt Schauspieler, da genügt es bereits, diesen einen, berühmt gewordenen Satz zu hören und schon weiß jeder, um wen es geht. Humphrey Bogart war so jemand („Schau mir in die Augen, Kleines“), Arnold Schwarzenegger („Hasta la vista, Baby“), und auch Michael K. Williams. „Omar coming“, zischte es durch die Straßen, wenn er in der US-Kultserie „The Wire“ auftrat. Dann wussten die Dealer und Eckensteher, dass es ernst wird und dass man sich besser verdünnisiert, weil Omar ansonsten ihr Leben aushauchen würde.
„Omar coming“ wurde zur Losung für die Ankunft des eiskalten Außenseiters. Michael K. Williams verkörperte diesen Gesetzlosen als modernen Robin Hood. Mit wehendem Ledermantel rauschte Omar Little durch die grasgeschwängerten Häuserschluchten der Baltimore Projects, jener vornehmlich von Schwarzen bewohnten Sozialviertel, in denen die Arbeitslosigkeit genauso hoch ist wie die Scheidungsrate und nahm von denen, die von anderen nahmen.
Er brachte die Dealer um ihre Drogen, nur um sie dann selber zu verkaufen. Unter seinem Mantel trug Omar Little stets eine abgesägte Schrotflinte mit der er jeden zur Strecke brachte, der sich seinen Beutezügen in den Weg stellte. „You come at the King, you best not miss“, war ein weiterer dieser messerscharfen Sätze, mit denen die Figur sich ins popkulturelle Gedächtnis einbrannte. Wer nicht schnell genug zog, fand sich mit einer Ladung Schrot im Leib in der Gerichtsmedizin wieder.
Mordender Outlaw und sensibler Lover
Michael K. Williams verlieh dieser Figur eine Gravitas, die an die ganz großen Außenseiterrollen der Filmgeschichte erinnerte, von Charles Bronsons „Mundharmonika“ in „Spiel mir das Lied vom Tod“, über Alain Delons ähnlich wortkarge Rächer-Interpretation in „Eiskalter Engel“ bis zu den großen Jesse-James-Verfilmungen. Dieser Omar Little vereinte alles, was modernes Maveriktum ausmachte.
Michael K. Williams als Omar Little: In der Rolle des eiskalten Drogen-Gangsters verlor sich der Schauspieler(Quelle: Ronald Grant Archive / Mary Evans)
Das Spektakuläre war, dass „The Wire“-David Simon den Außenseiter- Topos völlig gegen den Strick bürstete, indem er Omar Little eine queere Identität gibt. Omar tritt nicht nur als Schrecken der Gettos auf, als mordender Outlaw, der nur nach seinem eigenen Code lebt, sondern auch als sensibler Lover, der auf Männer steht und sich nach seinem Tagwerk als Serienkiller der gleichgeschlechtlichen Liebe widmet. Das war eine unerhörte Provokation, die Serienschöpfer David Simon fünf Staffeln lang ausbuchstabierte. Einen schwarzen Bösewicht mit Pumpgun und weißem Boyfriend hatte es bis dato noch nicht gegeben.
Williams schaffte es mit seiner Darstellung, den hartgesottenen Machismo der kleinkriminellen Dealer-Milieus zugleich abzufeiern und zu zerstören. Er wurde zum Vorbild einer ganzen Generation von Serienjunkies und zum gefeierten role model der queeren Community, lange bevor Genderdebatten im Mainstream ankamen. Omar Little reüssierte als Rächer in eigenem Auftrag, als homosexueller Mann ohne Agenda und ohne Moral, dafür mit einer Coolness gesegnet, die sich aus einem gerüttelten Maß an Auflehnung gegen die Verhältnisse und tiefen Selbstzweifeln speist und bereits alle Merkmale postmoderner Identitätskrisen zeitigt.
Das Gesicht einer epochalen Zäsur
In „The Wire“ kulminierten so ziemlich alle gesellschaftlich relevanten Debatten, die sich Anfang der 2000er in der Nach-9/11-Ära denken ließen. Rassismus, Homophobie, Sexismus, Sozialdarwinismus, Terrorismus, Korruption, und natürlich politische Repression. Die Serie ist auch deswegen so außergewöhnlich, weil sie am Beispiel Baltimores nicht nur den Niedergang einer Stadtgesellschaft illustriert, sondern geradezu schablonenhaft die gewaltigen Umwälzungen aufzeigt, die der Übergang vom industriellen zum postindustriellen Zeitalter für den Einzelnen bedeuteten: Arbeitslosigkeit, Entwurzelung, spirituelle Heimatlosigkeit, um nur einige zu nennen. Dieser epochalen Zäsur gab Michael K. Williams ein unverwechselbares Gesicht.
Michael K. Williams (r.) an der Seite von Erik LaRay Harvey in der HBO-Serie „Boardwalk Empire“ (Quelle: Macall B. Polay/HBO/courtesy Everett Collection)
Es war das Gesicht eines nicht nur an der Seele Schwerbeschädigten. Auch physisch vagabundierte Williams Omar Little als gespaltene Persönlichkeit über die Bildschirme. Die lange, fast 30 Zentimeter lange Narbe, die Williams ein Angreifer bei einer Auseinandersetzung im New Yorker Stadtteil Queens mit einer Rasierklinge zufügte, zeichnete ihn ein Leben lang. Sie zog sich von seiner Stirn über die Nase bis zum Mund und war Sinnbild der Ambivalenz nahezu alle seiner Figuren, die er verkörperte.
Suizidversuch mit 17 Jahren
„Er ist ein Top 10-All-Time-Fernsehcharakter“, tweetete der amerikanische Filmkritiker Daniel Fienberg. „Er stellt eine komplett einzigartige Form einer queeren, schwarzen Männlichkeit dar, die ebenso stark vom Begehren wie vom Kapitalismus getrieben ist. David Simon erschuf diesen Charakter, Michael K. Williams füllte ihn mit Leben.“ Er sei „ein Schauspieler für die Ewigkeit“, twitterte Williams Kollege Joel McHale.
Williams kannte die Probleme, die seine Figuren plagten, zur Genüge. Schon mit 17 Jahren, so erzählte er es in einem Interview, bekam er selber Probleme mit Drogen und unternahm zum ersten Mal einen Selbstmordversuch. „Ich erinnere mich nur daran, dass ich dachte: ‘Die Welt wäre besser ohne mich dran‘. Also nahm ich eine ganze Flasche Tabletten und wachte erst wieder auf, als sie mir den Magen auspumpten.“ Er begab sich in Therapie, doch die Probleme blieben.
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Dass seine Schauspielkarriere ausgerechnet mit der Figur eines Drogen-Gangsters so richtig Fahrt aufnahm, war also vielleicht kein Zufall. Er stürzte sich wie ein Besessener in die Rolle, wie er einmal berichtete, mäanderte gemeinsam mit echten Drogendealern nachts durch die Straßen von Baltimore – und verkraftete den Ruhm, dem ihm „The Wire“ einbrachte, nicht. Er habe sich in dem Filmcharakter selbst verloren, bekannte er. Irgendwann wusste er nicht mehr zwischen fiktivem und echtem Leben zu unterscheiden. Dazu nahmen die Drogen immer mehr überhand und ließen ihn laut eigener Aussage bis zuletzt nicht los.
„The game is out there, and it’s either play or get played“, lautet ein anderer, längst kanonisch gewordener Satz, mit dem Williams als Omar Little aufwartete. „Das da draußen ist ein Spiel, entweder du spielst es mit oder dir wird mitgespielt.“ Am Ende hat Michael K. Williams wohl die Kontrolle über dieses Spiel verloren. Am Montag wurde der Schauspieler in seinem New Yorker Apartment tot aufgefunden. Er wurde nur 54 Jahre alt.
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