Eine KritikvonChristian Vock Diese Kritik stellt die Sicht des Autors dar. Hier finden Sie Informationen dazu, wie wir mit Meinungen in Texten umgehen.
„Noch keine Kinder? Ist aber nicht ausgeschlossen?“, will Moderatorin Andrea Kiewel am vergangenen Sonntag im „ZDF-Fernsehgarten“ von Lili Paul-Roncalli wissen. Die zögert kurz, dann antwortet Paul-Roncalli: „Solche Fragen stellt man doch 2022 einer Frau nicht mehr.“ „Doch, gerade, weil man das fragen kann“, gibt sich Kiewel unbeeindruckt vom offensichtlichem Wunsch der Artistin nach Privatsphäre.
Nun kann man wiederum Andrea Kiewel erstens fragen, wie vielen männlichen Gästen sie eine solche Frage schon gestellt hat, zweitens, was sie in ihrer Superseichtsendung denn gemacht hätte, wenn Paul-Roncalli mit einem unerfüllten Kinderwunsch oder gar einer Fehlgeburt geantwortet hätte und drittens, warum sie das denn unbedingt wissen will. Nur weil man es fragen kann? Besonders interessiert scheint die Moderatorin jedenfalls nicht an einer Antwort ihres Gastes gewesen zu sein, fragt danach noch willkürliche Dinge ab, etwa in welcher Sprache Paul-Roncalli zählt oder welche drei italienischen Wörter jeder kennen muss.
Klar, der „ZDF-Fernsehgarten“ ist kein Arthouse-Kino und wenn hier Dinge gefragt werden, dann eher auf Frisörbesuchtratsch-Niveau oder darunter. Und natürlich kann bei Andrea Kiewel in einer zweistündigen Live-Moderation nicht jede Frage und jeder Satz perfekt sitzen. Aber diese Wurstigkeit, mit der da versucht wurde, im Privatleben eines Gastes zu bohren, lässt doch aufhorchen und fragen, ob, allen mildernden Umständen zum Trotz nicht auch Fernsehmoderatoren ein bisschen darauf achten dürfen, was sie sagen.
„ZDF-Fernsehgarten“: Andrea Kiewel und die Powerfrauen Und genau das haben wir einmal gemacht und nicht zufällig genau eine Woche nach der Kinderwunsch-Frage in der neuesten Ausgabe des „ZDF-Fernsehgarten“. Der hat sich, zur Einordnung des Ganzen, diesmal das Motto „Einfach tierisch!“ gegeben. In der Praxis bedeutet das, dass sich Kiewel verschiedene Tiere und deren Besitzer in den „Fernsehgarten“ hat kommen lassen, dazwischen treten wie gewohnt Künstler und Künstlerinnen aus den Bereichen Pop und Schlager auf.
Die erste dieser Künstlerinnen ist Sonia Liebing – und bei ihr nutzt Kiewel bereits die Gelegenheit, im Fundus sinnfreier Floskeln zu wühlen: „Sie ist die Powerfrau des deutschen Power-Schlagers“, kündigt Kiewel die Sängerin an und da muss man doch mal fragen, was genau Kiewel damit meint. Eine „Powerfrau“, so glaubt der Duden, ist eine „tüchtige Frau voll Kraft und Stärke“. Da will man doch gerne wissen, warum genau jetzt Sonia Liebing eine solche Frau ist, wodurch sie sich von anderen Frauen unterscheidet und in welchen Bereichen man Kraft und Stärke haben muss, um eine Powerfrau zu sein.
Denn offenbar muss es ja Frauen geben, die keine Powerfrauen sind, also ohne Kraft und Stärke leben müssen. Oder gibt es den Begriff „Powerfrau“ vielleicht gar nicht, um „Powerfrauen“ von Nicht-„Powerfrauen“ zu unterscheiden, sondern um zu vermitteln, dass sie einem Mann ebenbürtig sind? Den Begriff „Powermann“ hört man jedenfalls nie. Offenbar geht man davon aus, dass Männer ohnehin Power haben, Frauen aber nur, wenn sie „Powerfrauen“ sind. Ist das nicht reichlich diskriminierend?
Fernsehgarten-Eklat: Deshalb verweigerte Lili Paul-Roncalli die Nachwuchs-Frage Andrea Kiewel: „Stell dir vor, du kuppelst und der Mann ist nicht frei“ Die Frage, was genau ein „Powerschlager“ sein soll, will man gar nicht erst stellen, sehr gerne aber die Frage, was überhaupt mit „Power“ gemeint sein soll? Allerdings kann man ahnen, dass die Antwort eher mit Begriffen wie Durchsetzungsfähigkeit, Entschlossenheit oder (Laut-)Stärke zu tun hat, als mit Wörtern wie Nachdenklichkeit, Besonnenheit oder Klugheit. Es lohnt sich, an dieser Stelle einmal über die Gewichtung von Charaktereigenschaften nachzudenken und ob es sinnvoll ist, sie in stumpfen Floskeln immer wieder zu reproduzieren. Auch und gerade bei so harmlosen Gelegenheiten wie der Ansage einer Schlagersängerin.
Dass Andrea Kiewel in ihren Moderationen aber eher in schlichten Vorstellungen von der Welt zu Hause ist, zeigt sie am Sonntagmittag noch weitere Male. Zum Beispiel, als sie ein Spiel mit einer Gruppe Frauen spielt, die Bilder von Haustieren ihren Besitzern zuordnen soll. Als sie einen der Besitzer dazu bittet, fällt Kiewel nichts anderes ein, als ihm eine der Damen mit einem kuppelnden Unterton vorzustellen: „René, schauen Sie mal, das ist Christine!“ Doch René wehrt ab: „Ich bin vergeben!“
„Stell dir vor, du kuppelst und der Mann ist nicht frei“, lacht Kiewel die Situation weg, aber wir spinnen sie gerne für sie weiter und stellen es uns vor. Dann wäre die Antwort, dass es doch reichlich schlicht ist, beim Aufeinandertreffen von Mann und Frau zuerst an eine Kuppelei zu denken. Oder dass es zutiefst übergriffig ist, so etwas dann einfach ungefragt zu tun. Oder eingebildet, zu denken, dass man Kiewels Kuppelei überhaupt braucht. Egal, was man sich vorstellt, Kiewel kommt nicht gut dabei weg. Das gilt auch für ihren nächsten Wortbeitrag.
Erst denken, dann reden Als Kiewel in ihrer Show erklären will, wie man Hundehütten selber baut, zeigt sie Fotos von Hunden und ihren Hütten und ein Hund erregt ihren Unmut: „Das ist aber ein Fettie, der da vorne drin liegt, oder? Also dünn ist er nicht.“ Es ist egal, ob es sich dabei um einen Hund handelt oder nicht: So ein Spruch ist auf so vielen Ebenen deplatziert und verrät, mit welchem Weltbild Andrea Kiewel unterwegs ist.
Wenn einem beim Anblick eines Lebewesens, egal, ob Hund oder Mensch, zuerst das Gewicht auffällt, dann zeugt das doch von einer interessanten Gewichtung. Dass sie glaubt, das auch noch kommentieren zu müssen, verrät, welchen Stellenwert sie sich selbst einräumt. Und dass sie das auch noch mit einem herablassenden Begriff wie „Fettie“ macht, zeigt, in welchen Kategorien sie denkt – selbst wenn man das Argument gelten lässt, es sei „nur“ ein Hund.
Um es einmal klar zu benennen, denn solch ein Verhalten hat sich auch gegenüber Menschen etabliert: Das Körpergewicht eines anderen geht niemanden etwas an und eine Bemerkung verbietet sich auf so vielen Ebenen.
Kinderwunschfragen, das Verbreiten von sinnfreien Floskeln, plumpe Kuppelversuche, Bodyshaming-Sprüche – ja, das Bewusstsein, wie man mit Worten umgeht, ändert sich gerade und für manchen vielleicht zu schnell. Aber es ist gut, dass sich etwas ändert. Worte haben Macht und können verletzen. Und Worte spiegeln Weltbilder wieder. Daher lohnt es sich, sich über das Gedanken zu machen, was man sagt. Auch in Shows wie dem „ZDF-Fernsehgarten“.
"Der muss mich nicht ansehen": Sarah Engels sendet nach Body-Shaming-Kommentar wichtige Botschaft Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel