Tony Marshall: Die Stimmungskanone der Nation wird 85
Was macht der Sänger?
Die Töne sind leiser geworden und der Mann schmaler, viel schmaler. Die wuschelige Lockenperücke, einst sein Markenzeichen, trägt er nicht mehr. Seine pralle Bühnendominanz hat sich in eine altersmilde Freundlichkeit gewandelt. Am 3. Februar wird Tony Marshall 85 Jahre alt.
Noch vor wenigen Jahren hatte ihm die Unterhaltungsbranche das Motto zugeteilt: einmal Tony Marshall, immer Tony Marshall! Es war so verführerisch, das Leben des Schlagerstars auf diese eingängige Formel zu reduzieren. Doch so einfach ist es nicht.
Einerseits befand der „Fröhlichmacher der Nation“, bei dessen Superhit „Schöne Maid“ halb Deutschland mitklatschte und mitstampfte, dass der deutsche Schlager viel zu „stiefmütterlich“ behandelt werde und er eine größere Bühne brauche. Andererseits beklagte er vor Jahren in einem Interview mit der „Zeit“, er sei „fast erstickt in der Schublade ‚Schlagerfuzzi'“.
Gern und oft hat Tony Marshall darauf hingewiesen, dass er ja eigentlich von der klassischen Musik herkomme und an der Karlsruher Musikhochschule als Opernsänger ausgebildet wurde. Das stellte er 2005 als Papageno in der Mozartoper „Die Zauberflöte“ auch unter Beweis.
Und 2008 trat er im Musical „Anatevka“ als Tevje auf - zur Begeisterung von Publikum und Kritik. Eine israelische Journalistin kam nach der Vorstellung auf die Bühne und sagte über seine Darstellung des jüdischen Milchmanns: „Ich hab‘ sie alle gesehen, alle Tevjes dieser Welt. Und wissen Sie was? Tony Marshall ist der Beste!“
Das war die andere Seite der Stimmungskanone, der ursprüngliche Tony Marshall, wenn man so will. Der Junge aus der Zeit, als er noch Herbert Anton Bloeth hieß. Später nannte er sich Hilger nach seiner Mutter, weil seine Kinder nicht Bloeth heißen sollten und das auch kein vorteilhafter Name für einen angehenden Künstler ist.
Gesungen hat er schon immer gern und gut. So bewarb er sich 1954 als 16-Jähriger in seiner Heimatstadt Baden-Baden für den Chor des damaligen Südwestfunks (heute SWR) als Tenor. Der Film „Der große Caruso“ hatte ihn inspiriert. Er wurde nach dem ersten Vorsingen genommen.
Es war sein erster persönlicher Kontakt mit der Welt der Unterhaltung. „Da wurde ich mit großen Künstlern konfrontiert, die man bislang nur aus dem Rundfunk kannte. Für alle, die hier Aufnahmen machten, haben wir den Chor gesungen“, sagte er dem SWR. Zu diesen Stars gehörte zum Beispiel auch die internationale Sängerin Caterina Valente (92).
Nach dem Musikstudium in Freiburg und Karlsruhe wollte der junge Mann Chansonsänger werden, wie die großen Chansonniers Adamo (79), Gilbert Bécaud (1927-2001) oder Jacques Dutronc (79). Sein Vorbild: Charles Aznavour (1924-2018). Er bekam den Künstlernamen Tony Marshall. Man schrieb für ihn den Song „Aline“, die deutsche Version des französischen Superhits von Christophe 1965.
„Aline“ war seine erste Schallplatte. Weil ihr Erfolg so bescheiden war, machte Tony Marshall erstmal eine Kneipe in Baden-Baden auf. Dort besuchte ihn 1968 der Musikproduzent Jack White (82). Dieser stellte gleich am ersten Abend fest, dass zum Tony fröhliche Musik viel besser passen würde, als dieses doch sehr melancholische Lied von der großen Liebe „Aline“, die verschwunden war und ihn traurig zurückgelassen hatte.
Und weil Jack White ein Volkslied von der Südseeinsel Tahiti mitgebracht und auch einen deutschen Text auf Lager hatte, entstand 1971 „Schöne Maid“. Anfangs war Tony Marshall nicht begeistert. „Wenn man aus der klassischen Musik kommt, dann anspruchsvolle Chansons interpretierte und plötzlich soll man „Hopsasa und Trallala“ singen – das war eine Phase, daran musste ich mich erst einmal gewöhnen“. Doch er war junger Familienvater und brauchte das Geld.
Eigentlich wollte er das Lied überhaupt nicht singen. Also trank er vor der Aufnahme reichlich Chianti-Wein und ging angeschickert ins Studio, in der Hoffnung, Jack White würde ihn rausschmeißen, wenn er seinen Zustand mitbekäme. Es kam alles ganz anders.
„Schöne Maid“ wurde ein Volltreffer. Die Schallplatte kam zur Karnevalszeit heraus. In der TV-Sendung „Mainz, wie es singt und lacht“, einem absoluten Quoten-Hit, hatte er mit „Schöne Maid“ seinen ersten großen Auftritt vor der Kamera. Die Leute tobten vor Begeisterung. Von da an war er der „Fröhlichmacher der Nation“.
Allein im ersten Jahr verkaufte er über eine Million Platten, kam in die Charts, trat in TV-Shows auf – die Geburt eines großen Schlagerstars. Es folgten weitere Hits wie „Junge, die Welt ist schön“, „Holla Hopsassa“, „Täterätätätä“, „Heute hau’n wir auf die Pauke“, „Die Hände zum Himmel“ und viele mehr. Tony Marshall machte Welttourneen (Japan, Nordamerika, Afrika), verkaufte über 20 Millionen Tonträger, wurde Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Baden-Baden – und von Bora Bora.
Er hatte 1978 das Südsee-Atoll besungen, wiederum nach einer exotischen Volksweise, die Jack White aus Polynesien mitgebracht hatte. Als Tony die Insel „nach 24 Stunden Flug“ besuchte, „da standen die Einheimischen aufgereiht vor dem Hotel und sangen lauthals mein Lied ‚Bora Bora'“, berichtete er der „Zeit“.
Im Gegensatz zu vielen Kollegen seiner Branche hat sich der „Fröhlichmacher“ keine Skandale geleistet. Er lebt immer noch mit seiner ersten Frau Gabi - “sie ist meine Göttin“ - zusammen. Am 2. Juni 2022 feierte das Paar die Diamantene Hochzeit (60 Jahre verheiratet). Seine beiden Söhne Marc (59) und Pascal (56) sind ebenfalls Sänger und Entertainer. Tochter Stella (44) leidet seit ihrer Geburt an einer cerebralen Bewegungsstörung und Epilepsie.
Die vielen Jahre sind an Marshall nicht spurlos vorübergezogen. Nach einer Diabetes-Erkrankung nahm er fast 40 Kilo ab, und die Locken-Perücke trägt er seit über zehn Jahren nicht mehr. Hinzu kamen weitere gesundheitliche Tiefschläge: Er hat einen Herzschrittmacher und leidet an der Nervenkrankheit Polyneuropathie mit Lähmungserscheinungen am Bein.
Außerdem erlitt er 2019 einen Schlaganfall und erkrankte später schwer an Corona, worüber er zu „Bunte“ sagte: „Ich bin hart im Nehmen, aber es hatte mich böse erwischt, ich lag zwei Wochen auf der Intensivstation. Ich muss dreimal die Woche zur Dialyse, habe Herzprobleme und schmerzhafte Folgeschäden aufgrund von Diabetes. Mein Körper war eigentlich kaum in der Lage, diese Krankheit zu überstehen, aber ich hatte mal wieder Glück.“
2022 hatte er seine letzten Auftritte. Im Theater seiner Heimatstadt Baden-Baden. Bewegt notierte die Regionalzeitung „Badische Neueste Nachrichten“: „Ein greiser Mann mit Hut nimmt an Krücken langsam Platz an einem Holztisch und schaut im Halbschatten in die Kamera… Sein Gesicht ist schmal geworden, die Augen groß und wach, die Stimme noch kraftvoll. Marshall nimmt Abschied, so scheint es.“
Dann singt er: „Schaut mich an, den alten Mann, voller Glück war mein Leben.“ Es ist ein Lied aus seinem letzten Album „Der letzte Traum“ von 2021. Mittlerweile hat er sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Keine große Sause zum 85. Geburtstag, ein gutes Essen, ein Glas Wein im engsten Familienkreis. Für ihn sei „jeder Tag Jetzt-Zeit! Und das feiere ich!“, sagte er dem „Schlager Radio“.
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